- F Ü N F U N D D R E I ß I G -

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Harry Styles

Am nächsten Morgen werde ich automatisch um meine gewöhnliche Zeit wach beziehungsweise zehn Minuten vorher. Mein Körper ist derart daran gewöhnt, dass ich wochentags keinen Wecker mehr brauche, sondern ganz von selbst zur richtigen Zeit wach werde.

Den zehnminütigen Vorsprung nutze ich normalerweise, um einfach nochmal meine Augen zu schließen, doch heute tue ich das genaue Gegenteil.

Ich schaue aufmerksam und nicht gerade unauffällig auf das Gesicht der auf mir liegenden Frau, wobei Lou außer ihrem Alter wenige Zeichen für diesen Titel aufweist. Sie ist eher ein großes Mädchen, das sich nicht einmal anstrengt, erwachsen zu wirken.

Vermutlich ist das auch eine der Sachen, die mich magisch an sie anziehen.

Ich sehe jeden Tag nur aufgemachte Frauen im Büro, die versuchen möglichst ernst und seriös zu wirken, da sie glauben, auf diese Weise einen ebenfalls seriösen Mann zu bekommen. Lou hingegen ist nicht einmal ansatzweise so; sie weiß zwar wann sie ein wenig erwachsener wirken sollte, aber den restlichen Teil er Zeit sagt sie einfach was sie denkt und versucht nicht sich irgendwie zu verstellen, um damit edler zu wirken.

Lou ist Lou und das ist perfekt.

Selbst im Schlaf hat sie ein leichtes Stirnrunzeln, das in Kombination mit einem leichten Schmunzeln echt zum Grinsen aussieht.

Als sie einmal kurz die Augen zukneift und blind die Decke ein bisschen nach oben ziehen möchte, ziehe ich sie automatisch näher an mich heran. Sofort fallen ihre weißen Haare über ihren Rücken, da sie ihr Gesicht in meinem Hals vergräbt, sodass die Luft ihres regelmäßigen Ein- und Ausatmens angenehm über die Haut dort streift.

Es ist traurig, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wann ich das letzte Mal mehrere Nächte bei jemandem übernachtet habe, dazu noch, ohne dass etwas gelaufen ist. Normalerweise ist es bei einer Nacht geblieben, aber bei Lou kann ich nicht anders.

"Ich muss aufstehen", meine ich nach erst fünfzehn Minuten, da ich mich nicht dazu durchringen konnte, vorher etwas zu sagen. Sie anzusehen war viel zu ablenkend.

"Mmh", grummelt sie daraufhin müde und dreht sich ein bisschen, vergräbt ihr Gesicht noch weiter in meinem Hals. Ich kann spüren wie sie ihre Augen öffnet, wie ihre Wimpern entlang meines Halses streifen.

"Du hast dein Auto doch gar nicht hier?" Sie seufzt und rollt sich auf den Rücken, berührt mich nun nicht einmal mehr.

"Ich kann jemanden anrufen", meine ich bescheiden auf meinen Chauffeur bezogen, der mich normalerweise während der Arbeitszeit vom Hauptgebäude zu denen von anderen Firmen fährt. Heute wird wohl das erste Mal sein, dass er mich bei einem anderen Wohnhaus abholen muss.

"Dorota?" Lou lacht leise und reibt sich zeitgleich über die Augen. Bevor ich weiß was ich da tue rücke ich nahe genug an sie heran, um sie auf die Wange zu küssen, zu entgegnen: "So ähnlich."

Sie lacht rau aber doch relativ laut auf. "Sklaventreiber."

"Im Gegensatz zu deinem Chef bezahle ich aber genug", antworte ich und bereue sofort es gesagt zu haben. Es ist mir mehr oder weniger raus gerutscht und ich warte nur darauf, dass Lou mir die kalte Schulter zeigt oder sonst irgendwie gekränkt reagiert, aber stattdessen schlägt sie mir reif wie sie ist mit einem der kleinen Kissen ins Gesicht.

"Im Gegensatz zu dir bin ich genügend", erwidert sie gespielt schmollend, muss aber über meinen Gesichtsausdruck lachen, sodass sie es nicht lange durchhält. Obwohl auch das, was sie gesagt hat, ziemlich angreifend sein könnte, grinse ich ebenfalls darüber, während ich mich schon aufsetze und nach meinem Hemd von gestern greife.

Im Büro wird sicher niemand bemerken, dass ich das gleiche wie gestern trage; außer wenn ich reingehe sehen mich nicht sonderlich viele Leute dort, die mich darauf ansprechen würden.

"Du stehst auch auf?" Ich drehe mich irritiert zu Lou, die sich inzwischen aus dem Bett gekämpft hat und vor ihrem Kleiderschrank steht.

"Jetzt kann ich sowieso nicht mehr einschlafen." Sie zuckt mit den Schultern und zieht im nächsten Moment eine graue Sweathose und ein schwarzes T-Shirt aus dem Kleiderschrank; zeitgleich ziehe ich meine Anzughose an meinen Beinen hoch.

"Dann hätte ich dich nicht wach machen sollen." Ich knöpfe die letzten Knöpfe meines Hemdes zu und fahre mir einmal durch die Haare, um sie zu richten.

Wieder zuckt Lou mit den Schultern, sieht dabei verboten kindlich aus.

"Ich war sowieso schon wach", meint sie und streicht sich ebenfalls einmal die Haare aus dem Gesicht.

Verdammt.

Hat sie gemerkt, dass ich sie angeschmachtet habe?

"Sag nicht, dass du immer so früh wach wirst", versuche ich mich selbst auf andere Gedanken zu bringen und lenke nervös ein neues Thema ein.

"Nein, aber gestern haben wir ja was getrunken und davon kann ich besser schlafen", gesteht sie daraufhin und beißt sich auf die Unterlippe, als wäre es ihr unangenehm, das zu offenbaren.

"Musst du heute zur Uni?", frage ich noch, um entgültig vom Thema Schlafen wegzukommen.

"Eigentlich schon, aber ich schwänze die Vorlesung und gehe ins Atelier, um an meinem Bild weiterzuarbeiten."

"Bist du immer noch daran?" Sie hat schon vor einer Weile flüchtig erwähnt, dass sie an einem Bild am arbeiten ist. Ich habe geglaubt, sie wäre schon längst fertig damit.

"Es wird stark gewertet, deswegen will ich wenig für die Technik abgezogen bekommen."

Ich nicke verständnisvoll und denke darüber nach, wie verdammt erfüllend dieses Studium für Lou sein muss. Denn obwohl sie keinen Job mit Bestbezahlung hat, reicht nur das Erwähnen von diesem Thema dazu, sie wie eine Idiotin grinsen zu lassen.

Auch wenn sie des öfteren über ihren Professor oder über ihre Mitstudenten knausert, macht sie einen relativ ausgeglichenen Eindruck.

Was auch ein Liebesbeweis für Kunst sein muss, ist dass sie nur um irgendwie damit ihren Beruf auszuüben sich in diesem Studio verkriecht und diese ganzen Motive vorzeichnet, ohne nur einen Funken der verdienten Anerkennung zu bekommen.

"Ich glaube aber du solltest wirklich zur Arbeit Harry", sagt sie eigentlich im selben Atemzug, doch meine ganzen Gedanken konnten sich irgendwie dazwischen schleichen.

Noch dazu fängt sie schüchtern an zu lachen, als ich sie einfach nur ansehe, wie sie mit ihren Klamotten in der Hand dasteht. Sie hat ein genauso gutes Talent dafür, beim Versuch zu vertuschen, wie unangenehm eine Situation für sie ist, sie noch unangenehmer für sich selbst zu gestalten.

"Ich schätze schon." Ich nicke abgelenkt und folge meiner Intuition, die mich anschreit, sie jetzt noch schnell zu küssen; gerade erst ausgestanden oder nicht.

Also überwältige ich die kleine Distanz von nicht einmal zwei Schritten, um diese viel kleinere Person leicht an der Hüfte zu halten und letztlich kurz zu küssen.

Wie bisher jedes einzelne Mal, das ich sie geküsst habe, frage ich, ob es sich für sie genauso gut anfühlt wie für mich.

Am Anfang unserer Bekanntschaft als ich mich noch wie ein komplettes Arschloch benommen habe, dachte ich, dass dieses Gefühl nur von Aufregung davor, dass es in irgendeiner Art verboten ist, kommt. Aber wie dumm musste ich sein, um diese Tatsache, dass sie diese Bilder malt, als eine Art Einschränkung für das Verhältnis zwischen uns zu sehen.

Ich grinse breit als Lou ihr T-Shirt überfordert fallen lässt und küsse sie sofort noch ein weiteres Mal, das das Gefühl nur noch besser werden lässt.

"Wie kann man ohne Zähneputzen so schmecken?", fragt sie gegen meine Lippen und bringt mich wieder dazu wie ein verguckter Schuljunge zu grinsen.

Und wie verguckt ich bin.

*Geht das zwischen den beiden euch eher zu schnell oder zu langsam? Würde mich interessieren :). (Ändere nichts daran, aber nur so)*

Inked. (h.s.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt