Das zweite Kapitel für heute
"Lou?" Ich wende mich zu Harry, dessen Haare unter dem orangenen Licht der Straßenlaterne seltsam glänzen.
"Deine Schwester ist wie du", stellt er trocken in den Raum und streicht mit seinem Daumen über meinen Knöchel. Sein Ton ist dabei schon so wie den ganzen Abend, sanft und entspannt.
"Tatsächlich?" Ich grinse verschmitzt und schaue nach kürzester Zeit wieder vor uns auf den Bürgersteig. Ein paar Meter weiter hinten kann ich schon Harrys Auto erkennen.
Der Besuch bei meiner Schwester ist eigentlich ziemlich gut gelaufen. Ihr Freund Patrick ist inzwischen wieder auf den Beinen und scheint wirklich lieb zu sein.
Ich wollte nicht direkt fragen, aber ich glaube sie ist inzwischen komplett bei ihm eingezogen. Zumindest hat die Einrichtung diesen Eindruck vermittelt. Oder Patrick steht irgendwie auf viel kleinen Schnick-Schnack, so wie ich es noch von Susie kenne.
Harry ist auch mit den beiden klargekommen und hat mich aus der ein oder anderen unangenehmen Situation gerettet. Dabei musste ich feststellen, dass er sogar Patrick schon irgendwie annähernd gekannt hat. Zumindest wusste er schon grob wer er war.
"Du bist natürlich um Einiges Charmanter", spielt er neckend auf genau die Fähigkeit, die durch meine Tölpelhaftigkeit zerstört wird, an, sodass ich meine Augen verdrehe und mit einhergehend seine Hand einmal kurz drücke.
"Ich glaube Patrick ist gut für sie", wechsle ich das Thema. "Er hält sie am Boden", erkläre ich im selben Atemzug.
"Das kannst du nach einem Treffen sagen?"
"Ich denke schon." Ich nicke abwesend. "Und er bleibt bei ihr, obwohl sie schwanger ist."
"Du siehst das als Trennungsgrund?" In seiner Stimme schwingt Verwirrung mit. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er seinen gesenkten Kopf ein wenig in meine Richtung gedreht hat.
"Es gibt genug, die das tun. Einige würden sich verpissen, wenn sie in so einer Situation sind." Ich drehe mich nun ebenfalls, um ihm ins Gesicht sehen zu können, treffe dabei auf seine Augen.
"Arschlöcher würden das tun", verbessert er mich unseren Augenkontakt haltend.
"Davon gibt es aber genug." Daraufhin sagt Harry nichts mehr und richtet seinen Blick wieder dem Boden zu. Als wir stumm zu seinem Auto gehen, weiß ich nicht so recht, ob ich bereuen soll, das gesagt zu haben.
Aber was soll daran falsch gewesen sein?
~
"Ich muss dir was sagen", breche ich die unbehagliche Stille meiner frisch betretenen Wohnung und drehe mich ruckartig um.
Meine Jacke habe ich noch an im Versuch mich darin notfalls verstecken zu können an.
"Worum geht es?" Er runzelt sofort die Stirn und macht einen Schritt auf mich zu. In seinen Augen wird sofort reine Sorge sichtbar.
"Ich habe etwas dummes getan", gestehe ich. "Etwas unfassbar dummes."
Gott, hätte Jo sich im Laufe des Tages gemeldet oder hätte er auf meine Anrufe reagiert, müsste ich das jetzt nicht tun und über das alles hier sprechen.
Harry kommt noch näher zu mir. Seine grünen Augen schimmern, als er seine Hand auf meinen Ellbogen legt. "Setz dich erst mal hin", schlägt er vor und hilft mir, meine Jacke auszuziehen, nimmt mir damit mein unrealistisches Versteck.
Quasi gegen meinen Willen nehme ich auf der Kante meines Sofas neben Harry Platz.
"Ich habe Jo einen Gefallen getan und bin dafür eventuell in seinem Büro eingebrochen", murmele ich leise und unverständlich wie ein Kind, das seinen Eltern irgendetwas gesteht.
"Wie bitte?" In seinem Blick ändert sich nichts, er scheint absolut nicht verstanden zu haben, worum es geht. Er sieht mich lediglich genauso aufmerksam wie eben noch an.
"Ich bin da in der Nacht rein und habe Kameraaufnahmen für ihn gelöscht. Naja, es ist aufgeflogen."
Harry versteht und schluckt. "Wissen sie, dass du das warst?"
"Nein, es gibt keine Videoaufnahmen, aber ich bin mit Jos Schlüsselkarte rein und wir haben vergessen Handschuhe mitzunehmen." Ich beiße mir ängstlich auf die Unterlippe.
Ich kenne Harry zwar gut, aber nicht gut genug um zu wissen, wie er auf so etwas reagiert.
Er sagt einen Moment lang nichts.
"Es war unüberlegt, aber es war wirklich wichtig", füge ich kleinlaut hinzu und senke meinen Kopf. Noch immer sagt Harry nichts und mein Herz ist im Begriff, mir in die Hose zu rutschen.
Stattdessen zieht er mich komplett überraschend in eine Umarmung, in der ich mein Gesicht gegen seine Schulter drücke, meine Hände auf seinen Rücken lege.
"Lou, manchmal will ich dich einfach nur in den Arm nehmen und trösten", meint er leise gegen meine Haare und streicht mit seinen Fingern meine Wirbelsäule auf und ab.
"Ist die Polizei eingeschaltet worden?", spricht er weiter gegen meinen Kopf und ich schüttle ihn leicht. "Sie wollen erst sehen, was genau da passiert ist."
"Warum machst du sowas?", seufzt er und küsst einige Male meinen Kopf.
"Ich habe nicht nachgedacht." Ich atme tief ein und aus, um die Beherrschung zu halten. Meine Fingerspitzen drücke ich dabei sanft in seinen Nacken, wo ich meine Arme verschränkt habe. Gerade möchte ich etwas sagen, um mich selbst wieder automatisch ein Stück weit schlecht zu machen, als mir zuvor gekommen wird.
"Du wolltest ihm nur helfen." Harry zieht sich ein Stück weit aus der Umarmung zurück und sagt nichts mehr, sondern lächelt mich lediglich verträumt an. Ohne weiter darüber nachzudenken lehne ich mich ein gutes Stück nach vorne und fange an, ihn vorsichtig zu küssen.
Einen Bruchteil von einem Moment reagiert Harry überrascht, aber dann beugt auch er sich weiter in den Kuss hinein.
"Tschuldigung, dass du dir sowas anhören musst", flüstere ich zurückhaltend gegen seine Lippen und lehne meine Stirn einen Moment an seine.
Ich schließe meine Augen einen Moment, öffne sie aber wieder, als Harry mit seinem Daumen vorsichtig die Form meines Kiefers nachfährt. Sicherlich weiten meine Pupillen sich, als sie auf Harrys waldgrüne Iris treffen und von dieser wieder einmal komplett verzaubert werden.
"Du kannst mir alles sagen, Lou." Er küsst ganz kurz meine Lippen. "Und du kannst mir vertrauen." Wieder küsst er mich einen Uhrenschlag.
"Sogar mit sowas?", vergewissere ich mich um einiges aufgeheitert und mit einem kleinen Lächeln. Harry nickt mit einem schiefen Grinsen: "Sogar mit sowas."
Ohne weiter darüber nachzudenken, küsse ich ihn wieder, wobei es fast schon automatisch ein bisschen stürmischer wird. Nicht nur von meiner Seite, auch von Harrys. Denn dessen Hände legen sich fast schon automatisch um meine Taille, um mich an sich zu ziehen.
Als er das so weit macht, bis ich auf seinem Schoß sitze, atme ich zufrieden gegen seinen Mund auf und ziehe ihn an seinem Hals noch näher an mich heran.
Nach einiger Zeit gehen wir auseinander, um nach Luft zu schnappen und ein Blick in Harrys Augen verrät mir, dass es nicht nur dabei bleiben wird.
*Kurzes Kapitel, dafür ist das nächste mit Abstand das längste des bisherigen Buchs.*
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Inked. (h.s.)
FanficDie Kunststudentin Lou ist der Inbegriff von einem Tollpatsch und bezeichnet sich selbst gerne als einen der seltsamsten Menschen der Welt; Harry ist CEO eines großen Konzerns und entflieht seinem stressigen Arbeitsalltag im Tattoo-Studio. Man könnt...