- S E C H S U N D V I E R Z I G -

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"Lou?" Harry spricht sanft in die Dunkelheit, die mein Zimmer erfüllt.

"Ja?" Meine belegte Stimme macht es offensichtlich, dass ich stumm weine.

"Fuck, nicht weinen", springt sofort etwas in ihm um und ich spüre wie er mich im nächsten Moment halb auf seinen Bauch zieht und zeitgleich die Nachttischlampe anschaltet.

Bei der dämmrigen Helligkeit kneife ich kurz meine Augen zu.

"Er hat nur dummes Zeug geredet", versichert Harry mir alles um uns herum ignorierend und sieht mich besorgt an.

Ich will nicht, dass er sich Sorgen macht.

"Ich weiß." Ich schniefe einmal laut im Versuch die Tränen zu unterdrücken.

"Willst du darüber reden?" Er legt seine Handfläche auf meinen Rücken, streicht mit seiner anderen Hand über meine Wange, um die Tränen wenigstens auf dieser Seite aufzufangen.

"Bist du nicht müde?" Ich drücke mich näher an Harry, der mir alleine durch seine Anwesenheit schon unglaublich hilft.

"Nicht wenn wir reden."

Ich beiße auf die Innenseite meiner Wangen.

"Das alles ist nur so viel", platzt es mir heraus. "Was genau?" Seine Finger fahren beruhigend über meine Wirbelsäule.

"Meine Familie", erkläre ich knapp und lasse seufzend meinen Kopf auf seine Brust fallen. "Am meisten, dass sie alles glauben."

"Geht es ihnen darum?" Er klingt ungläubig als er beginnt seine Finger mit meinen spielen zu lassen, um so uns beide abzulenken. Dabei lenkt er mich vielleicht ein Stück mehr ab, damit ich nicht mehr weiter weine.

"Es geht allen darum. Egal wo ich mich blicken lasse reden die Leute."

Ich schließe einen Moment meine Augen und atme durch, spreche dann aber aus, was mir durch den Kopf geht: "Warum hast du nie gefragt, was genau passiert ist?"

"Anfangs dachte ich, dass ich es weiß, aber inzwischen glaube ich es kaum noch. Und.. Naja, ich habe eine Vermutung." Seine Finger stupsen im Dunkeln meine spielerisch an, als lenke er sich selbst auch ab.

"Und wenn die stimmt, weiß ich nicht was ich tue wenn ich ihn sehe", führt er fort und ist mit Aussprechen dieses Satzes, der erste Mensch der mich diesbezüglich vertreten würde. Abgesehen von Nan, die genau das selbe tun würde.

Ich nicke verständnisvoll und dränge alle auftauchenden Bilder aus meinem Kopf, um sie so weit wie möglich von mir zu schieben.

"Warum hast du überhaupt mit mir geredet, wenn du doch weißt, was die Menschen erzählen?", frage ich und öffne damit Gedankengänge in meinem Kopf, die Harry gegenüber das letzte sind. Ich frage mich, ob er sich mir mit gutem Wissen angenähert hat, nur um mich im Namen dieser ganzen Gemeinschaft noch mehr auf den Boden zu bringen als ich es sowieso schon bin.

"Du weißt, dass ich nicht alles glaube, was erzählt wird." Er zieht mich mit seinem einen Arm so, dass ich ihm besser in die Augen schauen kann. "Abgesehen davon bilde ich mir ein Menschenkenntnis zu besitzen. Und genau die sagt mir, dass du so etwas nie tun würdest", erklärt er weiter und sieht mich Grund auf ehrlich an. Als ich im nächsten Moment nichts mehr darauf frage, küsst er meine Wange einige Male.

"Warst du auch bei diesem Essen?", frage ich aus dem Nichts und beziehe mich auf den Abend, an dem alles sich geändert hat. An dem der Start dieses ganzen Lügennetzes geebnet wurde.

Warum auch immer hilft es in der Dunkelheit darüber zu sprechen. Ihm nicht in die Augen sehen zu müssen wenn ich über so etwas sprechen möchte kommt mir entgegen.

Inked. (h.s.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt