- D R E I U N D S I E B Z I G -

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"Ich- ich muss rein gehen", stottere ich als mir auf einen Schlag alles bewusst wird.

Meine Mutter hat es meinem Vater nie gesagt.

"Ist alles gut Lou?" Mein Vater macht einen Schritt auf mich zu und ich mache automatisch einen zurück, schüttle dabei vehement meinen Kopf, weil mich das Gefühl ereilt, dass ich gleich vor Abneigung gegen meine Mutter auf den Boden kotzen muss.

Ich antworte ihm nicht, sondern laufe wie üblich einfach weg, ziehe die Glastür auf und sage mir, dass ich einfach nur Harry so schnell wie möglich finden muss. Dabei ignoriere ich die Tatsache, dass die Tür hinter mir sich nicht sofort von alleine schließt, sondern mit einem Moment Verzögerung. Statt mich also noch einmal nach meinem Vater umzudrehen, schlängele ich mich durch die Leute, werde dabei nicht einmal krumm angesehen, weil alle in ihre extrem kultivierten Gespräche vertieft sind.

So auch Harry und Desmond, die ein wenig abseits stehen und mich nicht bemerken, deren Stimmen für mich aber über den restlichen Geräuschpegel hinweg klingen. "Tu nächstes Mal einfach nicht so, als wüsstest du es", höre ich Harrys tiefe Stimme grummeln und bleibe starr stehen. Um zu verstehen, worum genau es geht, muss er gar nicht mehr sagen als das.

Über Harrys Schulter hinweg sehe ich nur, wie Desmonds Augen sich drastisch weiten, bevor der mir mit dem Rücken zugewendete Mann den Blick seines Vaters deutet und sich ebenfalls umdreht.

Im ersten Moment sehe ich ihm an, dass er stumm betet, dass ich keine Ahnung habe worum es geht. Mein enttäuschter und verletzter Blick beantwortet ihm das aber innerhalb einer einzigen Sekunde.

"Lou, verdammt, hör mir zu-", beginnt er zu stammeln, wobei seine Augen bereits ins unermessliche geweitet sind, doch ich schüttle nur meinen Kopf und mache auf meinem Absatz Kehrt. Ohne eine Szene zu veranstalten, lediglich meinen Vater fast anrempelnd, schlängele ich mich so schnell ich kann zwischen den ganzen Leuten hier durch.

Die Tatsache, dass Harry es seinem Vater anscheinend gesagt hat, brennt mir tief in der Brust und ich ignoriere den Schmerz als ich die Glastür schwungvoll aufstoße. Ohne den Hauch einer Ahnung was ich tun möchte, entscheide ich, einfach so weit wie möglich von diesem Gebäude weg zu kommen, dafür laufe ich die Treppe runter, auf der vor ein paar Tagen Schuster noch beinahe leblos gelegen hat.

Ich gehe schon längst am Bürgersteig entlang, als ich aus dem Augenwinkel wahrnehme, wie eine Gestalt an der von innen hellen Glasfront vorbeiläuft.

Sofort nehme ich meine Beine in die Hand und mache mich aus dem Staub, bis ich auch nach einigen Minuten von niemandem gestoppt werde. Erst als ich mir dessen sicher bin, gehe ich etwas langsamer und nehme mir die Zeit, meine Haare einmal zu raufen.

Meine Augen wandern einmal über die leere Straße, um festzustellen, dass ich schon jetzt keine Ahnung mehr habe, wie ich nach Hause kommen kann, geschweige denn, wie ich wieder zur Galerie zurück finde. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als einfach in Bewegung zu bleiben und zu hoffen, gleich an irgendeinem Ort, den ich kenne, vorbeizukommen.

In der Zeit, wo ich hier gehe, denke ich darüber nach, wie Harry meine Reaktion aufgefasst haben könnte. Auch wenn es komplett hirnrissig ist, mache ich mir schon wieder Vorwürfe, dass ich ihm wenigstens hätte zuhören sollen, anstatt einfach zu verschwinden. Vielleicht hätte ich das ganze nicht so aussehen lassen sollen, als würde ich ihn verlassen, denke ich mir.

Ich schüttle den Gedanken ab und zwinge meine Konzentration darauf, einfach herauszufinden, wo ich bin. Auch als ich dabei auf Straßenschilder gucke, weiß ich noch immer nicht, wo zum Teufel ich mich gerade rum treibe.

Als sich dann noch ein einzelnes Auto auf diese leergefegte Straße verirrt, bekomme ich es mit der Angst zu tun und gehe noch schneller.

Ich warte luftanhaltend darauf, dass irgendein fahrbarer Untersatz an mir vorbeirauscht, das konstante Geräusch lauter wird und dann wieder verschwindet. Aber das tut es nicht. Das Geräusch hängt mir weiterhin im Nacken, bis zu dem Punkt, dass ich nicht anders kann, als mich einmal kurz umzudrehen.

Inked. (h.s.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt