- D R E I U N D Z W A N Z I G -

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Louisa Wrangler

In die nächste Spalte der Tabelle setze ich meine Unterschrift. Mit einem mentalen Kopfschütteln reiche ich die Liste zwecks Anwesenheitskontrolle zu meinem Nachbarn weiter, den ich übrigens heute zum ersten Mal hier zu sehen scheine. Wahrscheinlich gehört er zu denen, die sich einen Großteil der Lesungen sparen, denen jetzt vorzeitig ein Listenrundgang bei jeder Lesung zu verdanken ist.

Als die Liste von genau ihm weiter nach hinten gereicht wird, lasse ich meinen Kopf auf das Pult vor mir fallen, schließe meine Augen einen Moment, um mir wieder einmal vor Augen zu führen, was für eine Scheiße ich gebaut habe.

Obwohl ich es eigentlich besser wissen müsste, merke ich immer mehr, dass ich für gewissen Mann mit mehreren Persönlichkeiten ein bisschen mehr als positive Besonnenheit empfinde. Ein bisschen viel mehr.

„Geht es dir gut?", höre ich auf einmal vom Platz neben mir. Ohne mich richtig aufzurichten drehe ich meinen Kopf zu ihm und öffne schwerfällig die Augen, um schlicht zu antworten: „Ja, ich bin nur müde."

„Entschuldige, aber du siehst eher so aus, als, naja, als ständest du vor den Scherben deines Lebens", erwidert er in einem leicht humorvollen Ton, der die Hyperbel wohl auch für den letzten Vollidioten offensichtlich machen soll.

Auch wenn das erst der zweite Satz ist, den er zu mir gesprochen hat, muss ich ihm ein wenig Sympathie anrechnen, leicht über seine Worte schmunzeln, die so unverblümt gewählt sind.

„Siehst du, ein Lächeln steht dir schon viel besser." Auch er grinst nun, schenkt dem Professor vorne nicht so wirklich seine Aufmerksamkeit. Aber warum sollte er auch, er ist es gewohnt, den ganzen Stoff zu Hause zu machen.

Leicht meinen Kopf schüttelnd hebe ich diesen von der Platte an, stütze ihn stattdessen auf meiner Handfläche ab.

„Danke für das Retten dieser Vorlesung", wiederhole ich in seinem zuvor gewählten Ton, kann sehen, wie seine Mundwinkel ein Stück mehr zucken. „Immer doch ... Louisa?" Er sieht mich fragend an, woraufhin ich ihn einfach nur irritiert ansehe. „So heißt du doch, so hast du dich zumindest bei der Anwesenheitsliste eingetragen."

„Achso ja." Innerlich schlage ich meine Hand an die Stirn, fasse mich aber, um ihm im Flüsterton anzubieten: „Nenn mich lieber Lou."

„Na gut Lou, dann ..." Er stoppt kurz, um für einen Moment gespielt aufmerksam nach vorne zu schauen, vermutlich wurden wir schon schräg angesehen; führt dann aber fort: „Dann nenn mich einfach Liam."

Hallo Liam", begrüße ich ihn gespielt enthusiastisch, kassiere einen leisen Lacher. Gerade finde ich jegliche Art von Gespräch mit Liam besser als wieder von meinen Gedanken verfolgt nach vorne zu schauen. Die sich im Flüsterton abspielende Unterhaltung mit ihm scheint die Zeit schneller vergehen zu lassen.

„Mr Payne, es freut mich, dass sie uns heute mit Ihrer Anwesenheit beehren, aber könnten sie diese ein wenig unauffälliger halten?", unterbrach ihn unser Professor, bevor er überhaupt etwas sagen konnte. Mir grinsend auf die Lippe beißend beobachte ich, wie der Braunhaarige neben mir freundlich zu grinsen beginnt, dann im passenden Ton antwortet: „Natürlich, entschuldigen Sie."

*

„Warum studiert jemand wie du Kunst?", frage ich als wir gerade durch die große Doppeltür nach draußen gehen. Meine Hände habe ich dabei locker in meinen Jackentaschen.

„Jemand wie ich?" Schief grinsend wendet er sich zu mir, hat seine Hände ebenfalls tief in den Taschen seiner Jacke vergraben.

„Du scheinst nicht gerade so sozial inkompetent wie die meisten- mich eingeschlossen", erkläre ich. Selbst wenn das, was ich sage, ziemlich gemein ist, muss es leider als Wahrheit offenbart werden.

Inked. (h.s.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt