Meine Augen suchen unsicher das Gesicht meines Vaters ab, gleich darauf aber auch dir Umgebung hinter ihm, falls meine Muuter oder gar mein Bruder noch im Anmarsch sind.
"Die beiden sind nicht da", antwortet er und ich erreiche wieder sein Gesicht, das mir erschöpfter und müder denn je erscheint. Jegliche Strenge und über alles gestellte Disziplin ist seinem Blick gewichen.
Mein Mund ist geöffnet, als auf einmal alle sich zu meinem Vater drehen. Mary und Desmond schweigen verhalten, lassen mich noch verwunderter als sowieso schon da stehen. Harry hingegen behält seinen Arm um mich gelegt und beißt sich sichtlich auf die Unterlippe.
"Ähm.. Können wir kurz reden?" Er streicht sich seine Haare nach hinten und ich ringe mit mir. Ob ich ihm die kalte Schulter geben soll, oder ihm die Gelegenheit geben soll, etwas zu sagen, weiß ich dabei nicht.
Innerhalb kürzester Zeit versuche ich es abzuwägen und zähle alle Punkte dafür und dagegen auf. Dagegen spricht, dass meine Mutter dazu kommen könnte, egal wie sie es schafft plötzlich dieser Veranstaltung beizuwohnen; dafür, dass mein Vater bisher noch nicht so mit mir umgegangen ist wie sie beziehungsweise hat er mich noch nicht vor allen und schmerzfrei an den Pranger gestellt.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir das, deswegen nicke ich einmal kurz. Als der kräftige Arm immer noch nicht von mir ablässt, wende ich mich zu Harry, dessen durchbohrender Blick auf meinem Vater ruht. Dann dreht er sich zu mir und sieht mich überprüfend an, als frage er, ob ich mir wirklich sicher bin, oder ob es gar nur eine unkontrollierte Zuckung war. "Okay", beantworte ich daher noch einmal die Frage, sehe dabei aber immer noch Harry statt meinem Vater an.
Mit einem sichtbaren Zähneknirschen, lässt dieser so langsam locker, aber nicht, ohne noch einmal versichernd meine Hand zu drücken. Ich beiße mir auf die Unterlippe und nicke knapp, sehe auch Mary und Desmond einmal kurz entschuldigend an.
Ich glaube es ist Harry gar nicht recht, aber ich habe das Gefühl, wenigstens heute einmal mit meinem Vater sprechen zu müssen.
"Sollen wir kurz vor die Tür?", fragt mein Vater schüchtern, woraufhin ich nickend zustimme und meinen letzten Kontakt zu Harry löse, als ich seine Hand loslasse.
"Ich komme gleich wieder", meine ich kurz und Harry nickt ein weiteres Mal, drückt mir noch vor meinem Vater und seinen Eltern einen kleinen Kuss auf die Stirn.
Mein Vater sieht mich wohlwollend an und wartet schließlich, bis er vorne voran zur Tür geht, gemeinsam mit mir die Menschenmenge verlässt. Während dem Gehen klammere ich mich förmlich an mein Sektglas, das jetzt leider schon leer ist. Mein Vater öffnet sie und hält sie für mich auf, sodass wir nun nicht mehr innen von der großen Glasfront stehen, sondern davor.
Wir bleiben an der Stelle stehen und ich warte darauf, dass er anfängt zu sprechen. Ich weiß selbst nicht so genau, wie ich anfangen könnte, daher überlasse ich es ihm.
"Wie geht es dir?", bricht mein Vater nach wenigen Momenten die Stille und steckt seine Hände verhalten in die Taschen seiner Anzughose. "Ganz gut.." Ich sehe kurz auf den gepflasterten Boden runter und weiß nicht so recht, was ich weiter sagen soll. Soll ich ihn fragen, wie es ihm geht?
"Das kommt vielleicht ein bisschen spät Lou, aber ich glaube, in unserer Familie ist eindeutig zu viel falsch gelaufen. Ich kann das nie wieder gut machen und es tut mir unheimlich leid." Er beißt sich auf die Unterlippe wie ich es auch oft tue und senkt seinen Blick. Ich weiß nicht was in ihn gefahren ist, aber ihm scheint es wirklich nach all der Zeit bewusst geworden zu sein.
"Wie kommst du genau jetzt darauf?", versuche ich gefasst zu fragen und schaue zur Ablenkung nach Innen, um dann Desmond und Harry bei einer wohl geheimen Unterhaltung zu sichten. Mit einem Augenverdreher sehe ich wieder zu meinem Vater. Vielleicht erklärt 'Dessy' Harry ja jetzt warum genau er eben so war.
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Inked. (h.s.)
Hayran KurguDie Kunststudentin Lou ist der Inbegriff von einem Tollpatsch und bezeichnet sich selbst gerne als einen der seltsamsten Menschen der Welt; Harry ist CEO eines großen Konzerns und entflieht seinem stressigen Arbeitsalltag im Tattoo-Studio. Man könnt...