Bevor ich die Tür zum Dach öffne, atme ich noch einmal tief durch und ermahne mich selbst. Ermahne mich, dass ich hier bin, um endlich Antworten zu bekommen und nicht um ihm zu verzeihen oder noch besser mit ihm zu knutschen. Ein letztes Mal atme ich tief durch. Dann öffne ich die Tür und betrete das Dach. Wie beim letzten Mal zucke ich leicht zusammen als die Tür hinter mir ins Schloss fällt.
Langsam wandert mein Blick über das Dach und die Skyline Melbournes bis er an Danny hängen bleibt. Besser gesagt an seinem Rücken. „Du wusstest was ich meine", seine Stimme klingt rau, weiterhin sitzt er mit dem Rücken zu mir. „Ja", langsam gehe ich näher und höre wie er angespannt die Luft ausstößt. „Ich schätze, ich hab dir einiges zu erklären", immer noch schaut er mich nicht an, aber ich lasse mich trotzdem neben ihm nieder. „Scheint so!" Es herrscht Schweigen. Ich warte einfach stumm ab bis Danny anfängt zu sprechen. „Ich...", beginnt er schließlich, „ich habe mit niemandem darüber geredet, keiner weiß von alldem. Und es fällt mir verdammt schwer das zu erzählen", sagt er leise. Eigentlich will ich irgendetwas sagen, ihm irgendwie Mut machen, aber ich weiß nicht, was ich hätte sagen sollen. Stattdessen greife ich nach seiner Hand, verschränke seine Finger mit meinen und drücke sie leicht. Er erwidert den Druck sanft und beginnt schließlich leise zu erzählen.
„Ich bin am Stadtrand aufgewachsen, in dem Haus neben Margret. Als ich zehn war, sind Mum und mein Vater mit mir in die Stadt gezogen. Ich habe damals nicht verstanden wieso. Ein Jahr später, ich war gerade elf, wusste ich dann warum. Mum ist ins Krankenhaus gekommen. Diagnose Krebs, Endstadium; keiner konnte ihr mehr helfen. Sie wusste es die ganze Zeit und hat uns nichts gesagt. Nicht einmal eine Woche später ist sie gestorben. Es hat mich zerrissen, so wie es dich zerrissen hat. Ich habe bei meinem Vater Halt gesucht, aber er hat mich von sich gestoßen. Ich habe mich immer mehr zurückgezogen, bin am Tod meiner Mutter fast zerbrochen. Auf der einen Seite hat mein Vater mein Leben gerettet, aber auf der anderen hat er es nur noch mehr zerstört. Er hat Mum's Tod nie verkraftet, hat sich in den Alkohol gestürzt. Erst waren es nur abends ein paar Bier zu viel, dann ging es auch morgens und mittags los. Er hat seinen Job verloren, hat mich angebrüllt, mich geschlagen. Ich war gerade mal zwölf. Mit dreizehn habe ich mir kleine Jobs gesucht, mit vierzehn illegal in einer Bar geschuftet und nebenbei irgendwie versucht die Schule zu machen. Ich habe meine Mum an den Krebs verloren und meinen Dad an den Alkohol." Er stoppt kurz. Ich schlucke hart und muss die Tränen zurückhalten, doch das Bild des kleinen Danny, der mit dem Tod seiner Mutter kämpft und seinen Vater immer mehr verliert, lässt mich nicht los. „Ich habe mich jede Nacht in den Schlaf geweint, ob aus Schmerz oder aus Verzweiflung. Ich glaube, ich bin einfach viel zu schnell erwachsen geworden. Mit fünfzehn habe ich mir geschworen nie wieder jemanden mich so zu verletzen zu lassen. Ich wollte nie wieder so ein Häufchen Elend sein, nie wieder. Ich habe angefangen eine Art Mauer aufzubauen, habe alle ausgesperrt, meine Gefühle eingesperrt. Seitdem habe ich niemanden mehr an mich herangelassen. So konnte mich auch niemand so sehr verletzen, wie meine Eltern es damals getan haben."
Sein Blick ist auf die Stadt gerichtet und er scheint in seiner eigenen Welt versunken. Eine Träne rinnt meine Wange herunter. „Als du an die Schule kamst, wusste ich sofort, dass du besonders bist. Ich habe versucht dieses Gefühl zu unterdrücken, habe mit dir geflirtet wie mit jeder anderen. Ich muss ehrlich sagen, dass es für mich anfangs nur ein kleiner Spaß war mit unserer Beziehung, aber irgendwann habe ich gemerkt, dass alle Gefühle echt waren. Und ich habe Panik bekommen! Angst, dass du mich irgendwann verletzt und ich wieder zu diesem Häufchen Elend werde. Ich habe dich ohne es zu merken näher an mich herangelassen als jeden anderen. Du hast meine Mauer zerstört und ich wollte alles daran setzen sie wiederherzustellen. Also habe ich Jennifer geschrieben, dich abserviert und versucht weiterzuleben wie vorher. Aber dann ist mir klargeworden, dass das nicht geht. Ich habe gemerkt, dass es für all das schon viel zu spät ist. Du hast mir schon den Kopf verdreht und mein Herz gehört allein dir. Verdammt, ich habe erst danach gemerkt, wie sehr ich dich brauche und liebe!"
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Broken Home #CA19
Teen FictionFür Layla bricht eine Welt zusammen. Ihre Eltern trennen sich und sie muss mit ihrer Mutter nach Australien ziehen. Doch in Melbourne wird alles nur noch schlimmer: Ihre Mutter klebt nur so an ihrem Neuen, ihre Stiefbrüder scheinen sie zu hassen, ih...