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Josh

Lucas blieb hinter Tylers Stuhl stehen. Ich sah, wie Tyler erstarrte und langsam den Kopf drehte. Lucas sagte irgendwas, was ich nicht verstehen konnte, aber ich konnte an Tylers Reaktion erkennen, dass es nichts nettes war. Der neue zuckte auf seinem Stuhl zusammen und senkte den Kopf. Lucas ging um den Tisch herum und redete weiter. Brendon sagte nun etwas an Lucas gerichtet. Er erwiderte etwas und Tyler sprang von seinem Stuhl auf und rannte weg.
Aus Reflex sprang ich ebenfalls auf und lief ihm hinterher. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun wollte, wenn ich ihn eingeholt hätte. Er schien ziellos durch die Gänge zu laufen und ich meinte ihn ab und zu schluchzen zu hören. Irgendwas schien bei diesem Geräusch in mir zu zerbrechen. Ich wollte schneller laufen. Ich einholen und in die Arme schließen. Ich wollte nicht, dass er weinte. Stop! Was dachte ich denn? Ich kannte ihn nicht und konnte ihn somit wahrscheinlich auch nicht trösten.
Doch ich wollte ihn nicht allein in seinem Kummer lassen. Ich versuchte ihm weiter hinterher zu rennen, doch irgendwann verlor ich ihn aus den Augen.
Keuchend blieb ich stehen uns stützte meine Hände auf die Knie. Ich schaute in ein paar Flure, doch ich konnte ihn nicht finden. Schließlich gab ich auf und kehrte zurück in die Mensa.

Als die Pause vorbei war, ging ich zurück in die Klasse. Ich rechnete damit, dass Tyler auch da sein würde, aber er war nirgendwo zu sehen. Er war bestimmt zu spät. Doch als der Unterricht begann, war er immer noch nicht da.
Brendon meldete sich un erklärte unserem Geschichtslehrer:"Herr Niegel, Tyler war in der Pause nicht gut und er ist nach Hause gegangen."
Was? In der Pause war Tyler, für seine Verhältnisse, noch Putzmunter gewesen. Er war wegen Lucas gegangen. Es ging ihm schlecht, das wusste ich.

Tyler

Es klingelte. Ich hatte keine Kraft zurück in den Unterricht zu gehen, also schrieb ich eine Nachricht an Brendon, welcher mir seine Nummer schon in der großen Pause gegeben hatte.

Tyler
Hey Brendon. Ich fühl mich
nicht so gut. Kannst du
mich entschuldigen?
Danke🙂

Schnell verschickte ich die Nachricht und hoffte, dass Brendon sie noch lesen würde. Da vibrierte mein Handy.

Brendon
Klar mach ich😉
Gute Besserung <3

Tyler
Thx😘

Ich mochte Brendon jetzt schon echt gerne. Hoffentlich verscherzte ich es mir nicht wieder mit ihm.

Mühsam stand ich auf und verließ die enge Klo Kabine. Vor dem Spiegel blieb ich stehen und sah den blassen Jungen an, der mich mit, von Augenringen untermalten, braunen Augen ansah.
Ich drehte den Wasserhahn auf und spritzte mir Wasser ins Gesicht. Es tat gut und brachte wieder ein wenig Klarheit in das Wirrwarr meiner Gedanken. Ich hatte die Hoffnung gehabt, dass der erste Schultag nicht allzu schlimm werden würde, doch ich hatte mich gründlich geirrt.
Ich merkte wie mir erneut Tränen in die Augen traten und holte tief Luft. Ich riss mich zusammen und verließ die Toilette.

Zuhause angekommen ging ich direkt in mein Zimmer. Zu meinem Glück war ich allein im Haus, denn meine Geschwister waren alle noch in der Schule oder im Kindergarten. Jay war fünf. Madison war 13 und Zack war in seinem letzten Schuljahr. Er war 18.
Mum und Dad waren noch Arbeiten aber sie würden innerhalb der nächsten Stunde alle nach Haus kommen.
Ich legte mich ins Bett und begann sofort wieder zu weinen. Die Tränen fielen auf mein Kissen und hinterließen dunkle Flecken auf dem Stoff. Ich fühlte mich schlecht. Mein eigener Körper war mir Fremd.
Ich dachte über das nach, was Lucas mir gesagt hatte. Und über die Stimme, die ich neuerdings hörte.
War ich Abschaum? War ich ekelhaft?
Ja
Wer bist du?
Das hab ich dir doch schon erklärt! Du bist echt noch dümmer als du aussiehst.
Wie heißt du? Was willst du von mir?
Ich habe keinen Namen. Du musst mir einen geben. Und ich kann nichts von dir wollen. Ich bin immer bei dir.
Blurryface
Du bist schwach. Mein Name trieft von Angst.

Trigger Warning!!!

Ich wollte wieder in Tränen ausbrechen, doch ich konnte es nicht mehr. Die Tränen waren versiegt. Aber er hatte recht. Ich hatte Angst vor ihm.
Ich fühlte mich so hilflos.
Ich stand auf und ging zu meinem Schreibtisch. Als ich die Kiste aus ihrem versteck holte, musste ich unwillkürlich lächeln. Ich öffnete die kleine Schatulle und blickte auf die Scherben und klingen darin.
Ich nahm eine Rasierklinge heraus und zog den Ärmel meines Pullis hoch. Mit einem Finger fuhr ich über die Narben. Sie waren alle anders. Manche waren kurz, manche lang. Es gab jüngere und ältere, tiefere und feinere, breite und schmale.
Sanft ließ ich die Klinge über meine Haut gleiten. Dann drückte ich ein wenig zu und dort wo ich mich geschnitten hatte, quoll langsam Blut aus der Wunde. Fasziniert von dem Anblick saß ich in meinem Zimmer und beobachtete, wie das Blut langsam meinen Arm hinunter lief und auf den Boden tropfte. Es war, als würde mit dem Blut, auch meine Angst, meine Verletztheit, meinen Körper verlassen.
Wieder und wieder setzte ich die Klinge an und drückte. Irgendwann stand ich auf und ging ins Bad. Ich sah in den Spiegel und augenblicklich, verschwand das Gefühl der Befreiung. Ich schämte mich, denn ich wusste, wenn meine Familie es herausfinden würde, wie sehr ich ihnen damit wehtun würde.
Schnell wusch ich das Blut von meinem Arm und holte den kleinen Verbandskasten hervor. Dann verarztete ich mich und ging zurück in mein Zimmer. Vor den Blutflecken auf dem Boden blieb ich stehen und starrte sie an. Schnell holte ich ein Tuch und wischte alles weg.

Holding On To You [Joshler]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt