Kapitel 3

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Am frühen Nachmittag haben wir alles in unserem Auto, einem alten, dunkelgrünen Volvo und fahren los. Die fünf Stündige Fahrt verläuft grösstenteils schweigend. Er konzentriert sich einfach nur auf die Strasse und ich blicke aus dem Fenster. Die erste Hälfte der Fahrt habe ich mir noch Gedanken darüber gemacht, wie es dort aussieht, wie die Leute so sind und wie lange wir diesmal bleiben werden. Ich hoffe, dass es dort keine Werwölfe gibt, da es schwer ist, die ganze Zeit meinen wölfischen Geruch und meine übernatürliche Kraft zu verstecken. Und es ist verdammt anstrengend. Das kannst du laut sagen.

Ich würde gerne wieder einmal unsere wahre Kraft zeigen, aber es geht ja nicht. Ich weiss Fog. Ich ja auch. Wie gerne ich wieder mal als Wolf durch den Wald rennen würde. Doch wie Fog schon sagte, es geht nicht. Als mir solche Gedanken zu langweilig wurden, fing ich an, mit Fog das Autofarbenspiel zu spielen. Das geht so, dass man immer eine Farbe sagt, die das nächste Auto, das einen überholt, haben könnte. Der, der richtig geraten hat, bekommt einen Punkt. Kurz bevor wir ankommen, steht es 167 zu 39 für Fog. Ich kann dieses Spiel einfach nicht. Fog errät dagegen etwa jedes dritte richtig. Tia, die Begabungen wurden halt unterschiedlich verteilt. Klappe jetzt!

Wie auch immer, Hauptsache, es vertreibt die Langeweile. Endlich, nach der ewiglangen, fünf stündigen Fahrt, kommt das Dorf in Sicht. Besonders gross ist es wirklich nicht, aber wir waren auch schon in einem Dorf mit nicht mal halb so vielen Einwohnern. Ungeduldig warte ich darauf, dass wir endlich ankommen. Ich werfe einen Blick auf Dylan. In seinen Augen bemerke ich ein Glitzern und er wird von Sekunde zu Sekunde angespannter. Vorsichtig lege meine Hand auf seinen Unterarm und frage ihn leise: ,,Was ist los?" Er dreht seinen Kopf nicht in meine Richtung, sondern starrt weiter aus dem Fenster.

Dann, mit gepresster Stimme antwortet er mir: ,,Sie ist hier. Ich weiss es." Fragend blicke ich ihn an. Dann macht es langsam Klick. Fog jubelt: Er hat seine Mate gefunden! Unser Bruder hat endlich seine Mate gefunden! Ist das nicht toll?...Warum freut er sich nicht? Fog...wenn er zu seiner Mate gehen würde, würde er seine Identität als Werwolf aufdecken. Und das will er wegen mir nicht. Er will nicht, dass wir auf irgendeine Weise entdeckt werden. Okay...es ist doch nicht so toll. Aber wie siehst du das? Könnte er nicht seine Identität auffliegen lassen und so tun, als wäre er dein Cousin und das du kein Werwolf bist, sondern ein Mensch?

Fog...du bist doch nicht so dämlich, wie ich immer dachte! Ich habe nämlich etwas Ähnliches gedacht. Kompliment! Ja danke... Immer wieder gerne. Ich erläutere meinem Bruder meinen Plan. Nein, unseren. Jaja, ich erläutere unserem Bruder unseren Plan und er willigt, wenn auch etwas besorgt, ein. Also, du kannst schon meinen Bruder sagen, ich meinte bloss unseren Plan. Ich verdrehe innerlich die Augen und frage meinen Bruder: ,,Wann muss ich zur Schule?" Dylan wirft kurz einen Blick auf seine Uhr, bevor er mir antwortet: ,,Am Montag, also morgen." Ich nicke kurz und richte meine Aufmerksamkeit wieder darauf, aus dem Fenster zu starren.

Nach kurzer Zeit fährt Dylan langsamer und hält schliesslich an. Ich betrachte das Haus, vor dem wir stehen geblieben sind. Es steht am Dorfrand, die nächsten Häuser sind etwa zweihundert Meter entfernt. Gleich hinter dem Haus beginnt ein Wald, der riesig zu sein scheint. Und sofort steigt mir ein Geruch in die Nase. Hier gibt es Werwölfe! Und nicht gerade wenig. Ich werfe meinem Bruder einen verwirrten Blick zu, der nur einmal in die Richtung des Hauses blickt und mir so bedeutet, dass ich erstmal einfach hineingehen soll. Ich seufze nur, packe meinen Koffer am Griff und trage ihn zum Haus.

Das Haus ist ziemlich hübsch. Es ist ein unauffälliges, etwas älteres Fachwerkhaus, das sich aber in einem sehr guten Zustand befindet. Es hat einen kleinen, etwas verwilderten Garten und sieht im Grossen und Ganzen einfach unauffällig aus. Wahrscheinlich ist es genau das, was ich so toll daran finde. Abgesehen davon, dass ich Fachwerkbauten liebe. Dylan kommt mit seinem Koffer nach und schliesst die Haustür auf. Dann öffnet er die alte Eichenholztür und geht einen Schritt zurück. Er grinst mich schelmisch an und verbeugt sich kurz. ,,Treten sie ein, Madame." Ich lache auf und antworte ihm mit einem Grinsen: ,,Natürlich, edler Herr. Ich danke ihnen für diese überaus charmante Geste!"

Nun beginnt auch er zu lachen und wir betreten das Haus. Von innen sieht das Fachwerkgebäude sehr gemütlich aus. Allerdings nicht zu altmodisch, wie man von aussen vielleicht hätte meinen können. Die Einrichtung besteht grösstenteils aus Holzmöbeln, dennoch sieht es modern aus. Nicht zu modern, sondern eben eine gute Mischung. Das Haus besitzt ein Erdgeschoss und einen 1. Stock. Insgesamt gibt es eine Küche, zwei Badezimmer, zwei Schlafzimmer und ein Wohnzimmer. Ich trage meinen Koffer nach oben und stehe drei Türen gegenüber. Eine führt zum Badezimmer, und jeweils eine zu einem der Schlafzimmer.

Ich öffne per Zufallsprinzip eine Tür und blicke hinein. Zu sehen ist ein Schlafzimmer. Es hat ein Fenster mit einem kleinen Balkon, dessen Aussicht ist jedoch nur die Auffahrt. Ich trete aus dem Zimmer und öffne die nächstbeste Tür. Diesmal stehe ich im Badezimmer. Wie alles hier ist es schön eingerichtet, eigentlich genau mein Geschmack. Nicht zu grosse Räume, in denen man sich verloren fühlt, sondern hübsche, gemütliche Zimmer. Neugierig öffne ich die letzte Zimmertür. Ich stehe in einem hellen, mittelgrossen Zimmer. Die Wände sind wie im ganzen Haus weiss und der Boden wie im ganzen oberen Stock und der Treppe aus Holz.

Bis auf das Badezimmer, das weiss gefliest ist. Auch dieses Zimmer hat ein grosses Fenster, das eigentlich eine Glastür ist, mit einem kleinen Balkon. Doch der Ausblick ist ein ganz anderer. Ich sehe von hier aus direkt in den Wald. Die Baumkronen zeichnen sich in grünlichen Tönen ab und die Nachmittagssonne taucht den Wald in ein goldenes Licht. Ein kleines Lächeln huscht über meine Lippen, als ich dieses wunderschöne Farbenspiel betrachte. Ich stelle meinen Koffer neben den Kleiderschrank. Wie verzaubert gehe ich zum Fenster und öffne es, um herauszutreten.

Mit einem kleinen Lächeln auf dem Lippen stütze ich meine Ellbogen auf dem Geländer ab und beobachte die Gegend. Es ist ein schöner Mischwald. Von Buchen über Birken bis zu Kiefern ist so gut wie alles zu sehen. Die Bäume beginnen nach etwa hundert Metern. Da es anfangs Herbst ist, färben sich einige Blätter bereits gelb. Doch dies sieht fast noch schöner aus, als wenn alle Bäume nur Grün wären. Jaja, toll. Haben wir jetzt genug lange den Wald angestarrt? Wenn wir schon nicht darin laufen sollen, könntest du es lassen, immer so sehnsüchtig zu den Bäumen zu starren?!

Obwohl Fog eigentlich Recht hat, verdrehe ich nur die Augen und drehe mich um, und betrete wieder das Zimmer. Ich blicke mich kurz um. Leise gehe ich wieder aus dem Zimmer und laufe fast gegen Dylan. Er grinst kurz. ,,Du nimmst das Zimmer mit dem guten Ausblick. Ich bin eh nicht immer da, du weisst ja." Ich nicke kurz, drehe auf dem Absatz um und gehe wieder zurück ins Zimmer. In mein Zimmer. Denn mein Bruder klang nicht so, als ob wir nächstens wieder umziehen würden. Vielleicht ist es diesmal etwas Festes. Jedenfalls für meinen Bruder. Denn ich werde wohl in zwei Jahren alleine weiterziehen.

Dann bin ich nämlich offiziell erwachsen. Und Dylan kann hier bei seiner Mate bleiben. Hoffentlich ist sie nett. Jaja, kannst du langsam mal anfangen, das Zimmer ein wenig einzurichten, da wir sowieso vorerst länger hierbleiben müssen? Ich seufze auf und beginne nun wirklich, alles einzuräumen. Am Schluss stecke ich noch schnell mein Handy an und hole ein Bild aus dem Koffer. Liebevoll streiche ich über das alte Bild meiner Eltern. Sie sehen so glücklich aus. Hinter ihnen ist eine schöne, farbenfrohe Blumenwiese. Mein Vater, Damien, hält meine Mutter fest an sich gedrückt. Genauso stellt man sich eigentlich ein typisches Mate-Paar vor.

Ob wir auch bald unseren Mate finden? Ich hoffe nicht. Denn ich weiss, dass man dich schon nur, wenn man seine oder seinen Mate riecht, sich bereits verliebt. Oder besser gesagt, völlig verschossen ist. Stimmt. Bitte, liebe Mondgöttin. Lass mich ihn nie finden, denn es bringt ihn nur in Gefahr. Bitte..

The Night WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt