Als ich die Augen aufschlage, ist es bereits hell im Zimmer. Ich bemerke, dass ich allein im Zimmer bin, Ascan ist also nicht mehr hier. Wo er wohl ist? Was für eine Uhrzeit ist nun? Gute Frage. Ich blicke mich suchend nach einer Uhr um. Auf dem Beistelltisch steht ein digitaler Wecker, der gerade anzeigt, dass es schon fast zwei Uhr ist. Wie lange habe ich denn bitte geschlafen? Normalerweise bin ich nämlich Frühaufsteherin. Egal. Andere Frage, wo ist Asan? Ich glaube, er sagte gestern noch etwas von Besprechung um ein Uhr. Wahrscheinlich ist er dort. Ach ja, stimmt.
Es behagt mir nicht, dass sie besprechen, was aus meinem Verfolger werden sollte und ich nicht dabei bin. Doch es betrifft auch sie und sie haben mehr Erfahrung als ich, also werde ich mich nicht einmischen. Ich bemerke mein Hungergefühl, als schwinge ich mich aus dem Bett und verlasse mit schnellen Schritten das Zimmer. Was für einen Tag haben wir eigentlich? Freitag meine Liebe. Freitag. Gut zu wissen. Ich durchquere die grosse Eingangshalle und betrete das Wohnzimmer. Auch doch dieses laufe ich hindurch, jedoch nicht, ohne dem Bild auf der Seite einen sehnsüchtigen Blick zuzuwerfen. Die Zeichnung ist nun wieder an seinem Platz wie auch zuvor.
Ich öffne die Tür, durch die Ascan gestern auch schon gegangen ist und trete ein. Die Küche ist weder gross, noch klein. Eigentlich hätte ich bei der gewaltigen Grösse des Hauses gedacht, dass sie grösser wäre. Aber umso kleiner, desto besser. Nur kurz zögere ich, doch als dann mein Bauch zu knurren anfängt, mache ich mich daran, etwas zu essen zu finden. Nur kurz darauf sitze ich essend am Küchentisch und versuche, nicht zu viel nachzudenken. Angesichts der Geschehnisse fällt mir das aber nicht besonders leicht. Um mich abzulenken konzentriere ich mich auf meine Sinne und die Umgebung.
Ich vernehme das Rauschen des Geästs der Bäume, Vogelgesang und Unverständliches Gerede von vielen Menschen. Sehr vielen Menschen. Das scheint dann wohl das Dorf des Rudels zu sein. Allerdings ist die Entfernung doch recht schwer einschätzbar. Überhaupt nicht! Das ist leicht. Der Anfang des Dorfes befindet sich etwa 200 Meter entfernt, genauer gesagt 237 Meter. Jedenfalls befindet sich dort der erste, der redet. Wahrscheinlich besitzt das Dorf einen Hauptplatz, von dort könnten die lauten Stimmen kommen. Dieser ist schätzungsweise so um die 454 Meter entfernt sein. Genauer könnte ich es im Moment nicht sagen. Aha. Danke für diese total nötigen Informationen.
Gern geschehen, für dich doch immer. Na super. Nachdem ich zu Ende gegessen habe, räume das Geschirr ab und stelle es die halbvolle Geschirrspülmaschine, die ich nach kurzem suchen gefunden habe. Nach kurzem? Seit wann sind zehn Minuten kurz?! Wir haben schon länger etwas gesucht, vergiss das nicht. Ja, da kommen Erinnerungen hoch. War das längste mal suchen am Stück nicht so fünf Stunden, als wir im Wald waren und etwas dort vergessen haben? Ich glaube da waren wir zehn oder so. Es könnte sein, dass das die längste Zeitspanne gewesen ist. Was haben wir dort eigentlich gesucht?!
Das weiss ich nicht mehr. Das haben wir sowieso nach zwei Stunden suchen vergessen und haben dann eigentlich nur nach gesucht, ohne zu wissen was. Oh stimmt, daran erinnere ich mich auch noch. Als alles aufgeräumt ist, stehe ich ratlos im Raum. Was könnte ich machen? Erst sollten wir etwas Richtiges zum Anziehen finden. Und dann sollten wir mal unser Handy suchen. Vielleicht haben wir eine Nachricht bekommen, die wichtig ist. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Warum also sollten wir dieses Ding suchen? Womöglich brauchen wir es irgendwann wieder. Ausserdem war es nicht ganz billig, also suchen wir das Teil.
Jaja, in Ordnung. Dann suchen wir es halt. Aber erst suchen wir etwas Richtiges zum Anziehen. Mit raschen Schritten gehe ich zu Tür, betrete das Wohnzimmer und schliesse die Tür wieder hinter mir. Ich durchquere den Raum, öffne die Tür und lasse sie dann hinter mir ins Schloss fallen. Dann gehe ich die Treppen hinauf und trete in Ascans Zimmer ein. Die Kleidung von gestern kann ich nicht anziehen, selbst wenn ich wüsste, wo sie wäre. Mein Blick fällt auf einen Kleiderschrank. Rasch gehe ich auf ihn zu und öffne ihn. Ascans Kleidung hängt hier.
Was für eine Überraschung. Das ist ja auch nicht sein Zimmer, oder?! Ich meine ja nur. Kurz frage ich mich, ob ich nicht einfach Sachen von ihm nehmen sollte, doch diesen Gedanken verwerfe ich rasch wieder. Erstens könnte er nicht einverstanden sein und zweitens ist er im Vergleich zu mir recht gross. Immerhin ist er gut fünfzehn Zentimeter grösser als ich, also müsste alles, was er an Kleidung hat, mir definitiv zu gross sein. Das wäre doch niedlich! Ich werde bestimmt nicht seine Sachen anziehen, das kannst du sowas von vergessen! Wie du meinst. Rasch durchsuche ich die Schulbladen, ob dort nichts Brauchbares ist.
Jedoch kann ich nichts finden, also muss ich Sachen von mir aus meinem Zimmer holen. Kurzerhand versuche ich Dylan per Mind-Link zu erreichen, doch die Verbindung scheint fast schon gegen eine Wand zu prallen. Nun gut, dann eben ohne, dass jemand darüber Bescheid weiss. Mit raschen Schritten verlasse ich das Zimmer, eile die Treppe hinab und durchquere die Eingangshalle. Nachdem ich die Tür geschlossen habe, gehe ich in die Richtung von Dylans und meinem Haus. Nach ein paar Metern fange ich an zu joggen, um schneller voranzukommen. Ich versuche, im menschlichen Tempo zu bleiben, da man nie wissen kann, wer oder was einen beobachtet.
Während dem Joggen suche ich mit meinem Gehör, meinem Geruchsinn und meinen Augen die Gegend ab. Vielleicht sind wir etwas zu paranoid. Ich möchte nur auf Nummer sicher gehen! Schliesslich erreiche ich, kaum ausser Atem, die Haustür. Mühsam hebe ich den Topf an und nehme den darunterliegenden Schlüssel an mich. Dann schliesse ich die Tür auf und trete ein. Rasch ziehe ich die Schuhe aus und begebe mich dann nach oben. Ich schnappe mir meinen Koffer und verstaue alles darin. Wahrscheinlich muss ich sowieso bei Ascan bleiben, also kann ich gerade so gut alles mitnehmen.
Nachdem alles fertig gepackt ist, setze ich mich seufzend auf das Bett. Plötzlich durchfährt mich ein ungeheures Gefühlschaos. Nichts davon kann ich richtig zuordnen. Was ist das?! Schnell stehe ich auf und gehe ins Bad, um etwas zu trinken. Nur kurz betrachte ich mich im Spiegel. Ich war noch nie eine Schönheit. Auch wenn ich nicht gerade scheisse aussehe, bin ich wirklich nicht das, was man als wunderschön bezeichnen könnte. Ich bin recht kräftig, ziemlich normal und eher stämmig als zierlich. Auf Menschen mag ich vielleicht recht hübsch wirken, doch unter den Werwölfen gehöre ich doch eher zu den weniger schönen.
Die Meisten Werwöflinnen sind schlank und dennoch nicht zu dünn, ziemlich gross und nicht zu vergessen haben sie bildhübsche Gesichter. Und dann komme ich und das Bild von perfekten Werwölfen ist zerstört. Ach komm, ein wenig übertrieben ist das schon! Es geht. Wenn man all die anderen anschaut, bin ich alles andere als schön. Aber darum geht es ja auch nicht. Ich drehe den Wasserhahn auf und trinke ein paar gierige Schlucke, dann richte ich mich auf, drehe den Hahn wieder zu und gehe, ohne einen weiteren Blick auf mein Spiegelbild zu werfen, aus dem Badezimmer.
Noch immer tobt dieses Chaos von Gefühlen in mir, doch nun ist es wenigstens etwas besser. Gerade als ich meine Koffer nehmen will, höre ich auf einmal Dylan mithilfe des Mind-Links panisch fragen: *Tal?! Wo bist du? Du bist doch nicht schon wieder geflüchtet, oder?!* Also ist die Besprechung wohl zu Ende. Ruhig antworte ich ihm: *Alles gut Dyli. Ich hole nur gerade meinen Koffer von zu Hause. Und ich habe dich versucht zu erreichen, aber es ging nicht. Ich bin in wenigen Minuten zurück, also fang bitte nicht an, Panik zu schieben.* Ich spüre regelrecht seine Erleichterung, doch erst einmal erfolgt keine Antwort.
Nach einer Weile antwortet er: *Ich habe keine Panik geschoben, oder wenigstens nicht so heftig wegen dir. Eher wegen einem gewissen Werwolf, der vorher fast alles zerfetzt hätte. Er müsste gleich bei dir sein, viel Spass!* Entsetzt reisse ich die Augen auf. Stimmt, den gibt es ja auch noch... Perplex frage ich nach meinem Bruder: *Dylan?* Keine Antwort. *DYLAN?!* Im gleichen Moment höre ich, wie die Haustür aufgestossen und etwas Grosses die Treppe hochsprintet. Das könnte lustig werden...

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The Night Wolf
Serigala JadianTalya (16) ist anders als andere. Sie ist eine Werwölfin. Doch sie gehört keinem Rudel an. Sie versteckt, zusammen mit ihrem Bruder, ihre Identität als Werwolf vor anderen ihrer Art. Doch als sie umziehen, trifft sie auf ihren Mate und alles ändert...