Kapitel 28

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Oben Bild

Das Bild, das sich mir zeigt, ist kein Geschehnis aus der Zukunft. Auch ist es kein Zeugnis der Gegenwart. Es entspringt der Vergangenheit. Zu sehen ist das Unterholz eines Waldes und auf einer Lichtung kann ich schliesslich zwei Gestalten erkennen. Der Wald ist dunkel und meine Sicht noch zu verschwommen, als dass ich etwas erkennen könnte. Als sich dann meine Sicht scharfstellt, stelle ich fest, dass es zwei Männer sind. Der eine hat eine Kapuze auf und einen Mantel an, der andere ist klar zu erkennen. Das Bild rückt ein wenig vor und nun bin ich näher an den beiden dran.

Der Mann ohne Kapuze kommt mir irgendwie so bekannt vor, allerdings weiss ich nicht woher. Da ich alles nur wie bei einem Bild sehe, kann ich keine Gerüche erschnuppert. Der ohne Kapuze stiert sein Gegenüber wütend an, dieser scheint jedoch ziemlich gelassen zu sein. Auf einmal kommt Bewegung in das Bild und die Männer unterhalten, oder vielmehr streiten sich. Der ohne Kapuze flucht völlig ausser sich: ,,Verdammt, das kann doch gar nicht sein! Du musst dir das einbilden, so etwas ist noch nie vorgekommen!" Nun scheint auch sein Gegenüber nicht mehr ganz so gelassen und spannt sich merklich an.

Doch als er dann antwortet, klingt seine Stimme noch immer recht ruhig: ,,Ich weiss doch auch nicht wie das geschehen konnte oder wie das möglich war. Bitte George, ich kann nicht ohne sie! Ich dachte auch nicht, dass das möglich sein könnte, aber nun ist es geschehen. Sie ist meine Mate, meine Liebe und mein Herz. Lass uns doch einfach in Frieden und Freundschaft auseinandergehen." Gegen Ende seiner Antwort klingt die Stimme des Kapuzenträgers eindringlicher als zuvor. Ich sehe, wie der andere, vom Kapuzenträger George genannt, sichtlich mit sich kämpft. Er scheint ein Alpha zu sein, denn trotz dessen, dass ich nur Bilder sehe, ist seine Präsenz sehr stark und schreit regelrecht nach dem Rang des Alpha.

Ich sehe, wie die braunen Augen des Mannes sich etwas verdunkeln. Ob vor Trauer oder vor Wut kann ich nicht genau bestimmen. George tritt kaum merklich den Kopf schüttelnd etwas zurück. Mit gepresster Stimme meint er leise: ,,Du warst immer mein Freund. Ich habe dir immer vertraut und dir alles anvertraut. Ich hätte für dein Beurteilungsvermögen und deine Ehrlichkeit die Hand ins Feuer gelegt. Und nun kommst du mit so etwas?! Es ist unmöglich, verstehe doch!" Ärgernis und Traurigkeit spiegeln sich in seiner Stimme und seinen Augen wieder. Doch so schnell scheint der Kapuzenträger nicht aufzugeben.

Schnell tritt er einen Schritt vor und zieht demonstrativ seinen rechten Ärmel hoch. Nun nicht mehr so ruhig, sondern eher Traurig, bebt seine Stimme leise bei seinen Worten: ,,Ich habe mir das nicht ausgesucht Areon. Ich kann nichts dagegen machen. Ich muss gehen, wenn es sein muss auch ohne dein Einverständnis, tut mir leid." Sofort braust der andere auf: ,,Nenne mich nicht so, du Lump! Ich bin dein Alpha, du wirst nicht einfach so gehen! Das kannst du nicht!" Eine kurze Pause entsteht. Dann aber seufzt der Kapuzenträger leise auf und meint nur: ,,Ich schwöre, ich habe dich nie angelogen, sondern bin immer auf dem Pfad der Wahrheit gewandelt.

Und so sehr du mir nun auch misstrauen, gar verabscheuen oder hassen wirst, ich muss gehen. Von nun an warst du mein Alpha. Ich sage mich von diesem Rudel los. Es tut mir leid, dass du mir nicht glauben willst oder kannst. Für mich wirst du immer mein treuster Freund bleiben, so wie du es immer warst, egal was kommen mag!" Er wendet sich ab und macht sich auf den Weg ins Unterholz. Völlig ungläubig, traurig und zeitgleich wutentbrannt schreit George ihm nach: ,,Das kannst du nicht machen! Lässt du uns alle einfach so im Stich? Lässt du mich im Stich?!"

Der Angeschriene dreht sich noch einmal um. Mit vor Trauer erstickter Stimme erwidert er: ,,Ich habe dir meine Gründe bereits genannt, mein Freund. Ich werde euch und auch dich, niemals im Stich lassen. Aber ich kann nicht anders, es zerreisst mich sonst, das tut es schon jetzt! Leb wohl Areon. Ich werde dich niemals vergessen..." Mit diesen Worten verlässt er die Lichtung. George tobt erst, schreit, er solle auf der Stelle zurückkehren. Doch sobald der Kapuzenträger ausser Sicht ist und nichts mehr von ihm zu hören oder zu sehen ist, erstarrt er. Ich sehe, wie eine einzelne Träne sich einen Weg von seinem Augenwinkel über die Wange bahnt. Dann verschwimmt das Bild und wieder umfängt mich die nur allzu gut vertraute Dunkelheit.

The Night WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt