Kapitel 24

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Dunkelheit umhüllt mich. Es ist weder kalt, noch warm. Auch stehe ich nicht. Ich bin hier, aber irgendwie auch wieder nicht. Körperlos, nur mit dem Bewusstsein hier. Das würde diesen Zustand ganz gut beschreiben. Auf einmal tauchen Bilder auf und verdrängen die Dunkelheit. Auf jedem der Bilder ist er zu sehen. Unsere erste Begegnung, die alles andere als positiv verlaufen ist. Unsere zweite Begegnung, als er mich beinahe umbrachte. Noch immer fürchte ich mich vor ihm, da ich seitdem weiss, zu was er fähig ist. Als nächstes folgt ein Bild davon, als er vor meiner Tür stand. Das Nächste zeigt, wie ich panisch davonrenne.

Ich versuche, die Bilder nicht zu sehen. Wegzuschauen, zu blinzeln. Doch ich kann es nicht, da ich im Moment scheinbar gar keinen Körper besitze. Was soll das alles überhaupt? Warum bin ich hier? Wo bin ich eigentlich? Ich erinnere mich an nichts, ausser an Ascan und an unsere Begegnungen. Doch ich kann meinem Gedankengang nicht weiter folgen, da eine weitere Bilderreihe auftaucht. Wie er mich zurückträgt, dann wie mein Bruder mich untersucht und anschliessend, wie ich verschreckt reagiere. Das letzte dieser Bilderreihe zeigt, wie ich im Badezimmer stehe und hin und hergerissen zwischen den Entscheidungsmöglichkeiten bin, zu bleiben oder zu gehen.

Nach einer kurzen Pause erscheint ein weiteres Bild. Es zeigt, wie ich Ascan überrasche und zu Boden bringe. Ein Nächstes taucht auf. Ich verabreiche Ascan gerade den Wolfswurz. Anders als bei dem wahren Geschehnis, sehe ich sein Gesicht nun klar und deutlich. Zu diesem Zeitpunkt sah ich nur die Überraschung in ihnen und erst im Nachhinein fragte ich mich, ob ich nicht auch einen verletzten Ausdruck erblickt hatte. Aber jetzt kann ich seine Gefühle zuordnen. Instinktiv weiss ich, dass er nicht nur verletzt war, sondern dass dieses Geschehnis ihm beinahe das Herz gebrochen hätte. Plötzlich wird mir bewusst, wie sehr ich ihn brauche.

Egal was er getan hat, ich werde ihm eine zweite Chance geben. Und hoffentlich wird er es mir gleich tun. Denn nun weiss ich, dass ich nicht ohne ihn kann. Und was mein Schicksal angeht die Mondgöttin wird sich schon etwas gedacht haben, als sie mich zu seiner Mate machte. Ich muss also zurück. Sofort. Obwohl ich tief in mir drin weiss, dass ich eigentlich noch nicht so weit bin, muss ich zurückkehren. Zurück zu Ascan, ihm vergeben und vor allem hoffen, dass er mir vergeben wird. Mit meinem gesamten Willen erzwinge ich regelrecht meine Rückkehr. In meinen Gedanken herrscht nur ein Name: Ascan.

Langsam spüre ich meinen Körper wieder und nehme auch wieder meine Umgebung wahr. Ich liege auf einem Bett und bin anscheinend zugedeckt. Ich möchte meine Augen öffnen, doch ich habe noch keine Kraft dafür. Allerdings rieche ich unmissverständlich Ascans Geruch, jedoch ist weder er, noch sonst jemand im gleichen Raum wie ich. Ich höre weitere Herzschläge in der Umgebung, die ich im Moment aber noch nicht ganz zuordnen kann. Alles tut mir weh, insbesondere meine Halsbeuge. Und mit einem Schlag kehrt die Erinnerung zurück, weshalb es wehtut. Er hat mich markiert! Deshalb war ich wohl ohnmächtig, denn nach der Markierung fällt man in einen Komaähnlichen Schlaf.

Bei Werwölfen dauert dieser um zwölf Stunden und bei Menschen vierundzwanzig. Dass Menschen länger ohnmächtig sind liegt wahrscheinlich daran, dass sie dann zum Werwolf werden. Also dürfte ich etwa zwölf Stunden weg gewesen sein. Ich kann mich aber nicht erinnern, ob ich geträumt habe oder nicht. Es ist als hätte ich geschlafen und könnte mich dann am nächsten Morgen an nichts mehr erinnern. Aber etwas muss geschehen sein, denn irgendetwas ist anders. Irgendetwas fühlt sich anders an. Das ist die Verbindung, du Holz. Und du hast geträumt, jedenfalls so etwas in der Art. Du hast dich nämlich endlich entschlossen, ihm trotz allem eine Chance zu geben und zu hoffen, dass er das selber tun wird. Denn ich nehme an, er hat dein Verhalten als Verrat aufgenommen. Hat jedenfalls so gewirkt.

Na dann will ich hoffen, dass ich es nicht bereuen werde, ihm eine Chance zu geben und auf eine zu hoffen. Wieder versuche ich, meine Augen zu öffnen, doch sie fühlen sich an, als hätte man sie zugeklebt. Ich versuche mich zu bewegen, doch das Einzige was mein Körper zustande bringt, ist ein leiser Schmerzenslaut. Ich fühle mich, als wäre ein Zebra auf mich draufgesprungen und auf mir herumgetrampelt. Sehr angenehm. Nicht. Definitiv. Plötzlich höre ich schnelle Schritte und dann die Tür aufgehen. Ascan... Ja, ich weiss. Plötzlich spüre ich seine Hand an meinem Handgelenk.

Mit beruhigender Stimme flüstert er: ,,Bleib liegen und beruhige dich, das ist im Moment besser.“ Ich versuche auf den Rat zu hören und versuche es umzusetzen. Dennoch tut mir noch alles weh. Als Ascans Hand dann mein Handgelenk verlässt, wimmere ich leise auf, denn sofort verschlimmern sich die Schmerzen noch mehr. Nun legt er seine Hand an meine Wange und sein Daumen streicht sanft über sie. Sofort klingen die Schmerzen wieder ein wenig ab und umso länger er bei mir ist, desto besser geht es mir. Den Schmerz, den ich auf der Lichtung in meinem Inneren verspürte verschwindet nun immer mehr.

Langsam öffne ich meine Augen. Anfangs noch etwas verschwommen, doch dann immer schärfer sehe ich direkt in Ascans Gesicht. In seinen hellblauen, fast silbernen Augen spiegeln sich so viele Gefühle, von denen ich kaum eines Zuordnen kann. Sofort werde ich etwas nervös unter seinem Blick, allerdings kann ich nicht wegsehen. Zu gefangen bin ich in seinen unfassbaren Augen und seinen markanten Gesichtszügen die mein Herz schneller schlagen lassen. Er sagt nichts und ich bin unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen. Und du wüsstest auch gar nicht, was sagen, stimmt es? Kann sein. Ich atme einmal tief ein und aus und überlege mir, was ich sagen sollte.

Wie ich ihm erklären sollte, dass ich weg gegangen bin. Wie ich ihm meine blosse Existenz erklären sollte. Wie ich ihm sagen sollte, warum ich Angst vor ihm habe. Ich denke die Angst wird sich schon legen, wenn ihr euch vertraut und liebt. Vielleicht auch nicht. Sehr aufmunternd Fog. Gerade als ich etwas sagen will, stellt er fest: ,,Du bist kein Mensch.“ Ich schlucke einmal schwer. Wenn er erfahren würde, dass Dylan gelogen hatte, wird Dylan bestraft werden. Und das ist das Letzte was ich möchte, denn ich habe ja bereits von Ascans Aggressivität gehört, vor der sich sogar seine eigene Cousine fürchtet.

Ich versuche etwas zu sagen, irgendetwas. Doch ich kann nicht. Ich bin wie gelähmt, unfähig, Wörter oder gar Sätze zu bilden. Und dann kommt genau der Satz, vor dem ich mich fürchte. ,,Also hat Dylan mich angelogen.“ Ich sehe ihm seine Wut an. Anscheinend mag er es nicht besonders, angelogen zu werden. Wer mag das schon? Na gut, niemand. Gerade als er aufstehen will, frage ich ihn: ,,Wie lange war ich weg?“ Meine Stimme klingt rau und brüchig, doch ebenso schwingt eine gewisse Ruhe mit, die ich von mir selber nicht einmal kenne. Verdattert starrt er mich an. Etwas verwirrt antwortet er mir: ,,6 Stunden, wenn überhaupt.“

Was?! Das kann gar nicht sein! Ich glaube das liegt erstens an unseren überdurchschnittlichen Heilungskräften und zweitens an deinem Willen, zurückzukommen. Vielleicht. Also sollten wir es ihm erklären? Ich weiss nicht, ob das alles für ihn schlüssig ist. Er wird es schon verstehen! Aber pass auf, was du sagst... Jaja. Ich bemerke, wie Ascan mich noch immer verwirrt anblickt. Ich hole tief Luft und versuche ihm mit abgewandtem Blick alles zu erklären: ,,Alles was Dylan nicht wahrheitsgemäss gesagt hat, sagte er wegen mir. Er ist absolut unschuldig, wenn nicht sogar bemerkenswert hilfsbereit dir gegenüber. Er hat zum ersten Mal in seinem Leben ein Versprechen mir gegenüber nicht gehalten, nur um dir zu helfen.

Und ja, ich bin kein Mensch Ascan. Jetzt nicht und ich war es noch nie. Ich bin allerdings auch nicht ganz wie du und dein Rudel. Ich war es nicht, bin es nicht und werde es auch nie sein. Ich weiss nicht, was sich die Mondgöttin dabei gedacht hat, als sie mich zu deiner Mate machte. Jedoch weiss ich, dass sie einen Grund dazu hatte und hat. Nur deshalb bin ich so früh zurückgekehrt.“ Ich atme noch einmal tief durch und setzte dann leise hinzu: ,,Dylan ist der Letzte, den ich noch habe. Ich weiss nicht ob du das verstehst. Ich weiss auch nicht wie du die folgenden Geheimnisse, die ich dir anvertrauen werde, aufnehmen willst. Allerdings bin ich die einzige Schuld tragende an allem. An allem, was Dylan und mir das Leben schwer gemacht hat...“

The Night WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt