Kapitel 33

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Ich fühle ein Stechen und zusammenziehen. Sind das Ascans Emotionen? Womöglich. Noch immer folge ich ihm durch den Wald. Ohne auch nur einen Blick nach hinten zu werfen, läuft Ascan vor mir. Habe ich etwas Falsches gesagt? Ich glaube, das war wie ein Schlag ins Gesicht für ihn... Aber es ist nun mal so! Ich weiss, es sollte nicht möglich sein. Ich weiss, es dürfte nicht sein. Aber du musst auch zugeben, dass ich Gründe habe, mich vor ihm zu fürchten. Das stimmt schon, aber möglicherweise hättest du ihm auch sagen sollen, dass du nicht nur Angst vor ihm hast. Das da auch noch etwas anderes ist, was dich dazu bringt, nicht weiter wegzurennen.

Meinst du? Ich bin mir ziemlich sicher. Nun gut. Ich werde es ihm schon noch sagen. Aber bitte bevor es vielleicht zu spät ist. Ja, ich weiss. Ist ja schon gut. Langsam kommt Ascans Haus in Sicht. Ob ich es ihm jetzt sagen sollte? Aber ich traue mich nicht. Ich kann mich nicht überwinden. Frustriert beisse ich mir in die Unterlippe. Wir kommen zu Eingangstür, er öffnet sie und wir treten ein. Ohne mich zu beachten geht er die Treppe hoch und ich ihm hinterher. Er stellt den Koffer im Zimmer ab und verabschiedet sich mit den Worten: ,,Ich gehe die Grenzen kontrollieren."

Bevor ich auch nur ein Wort herausbringen kann, verlässt er mit raschen Schritten den Raum und verschwindet durch die Tür. Mit leerem Blick starre ich die Tür an, durch die er verschwunden ist. Seine Gefühle scheinen zu eskalieren. Doch nicht nur seine. Auch meine sind völlig durcheinander. Ich gehe zum Fenster und sehe nach draussen. Gerade noch kann ich ihn in seiner Wolfsgestalt erspähen. Sein silberner Pelz glänzt metallisch im Sonnenlicht. Doch dann verschwindet er im dichten Unterholz des herbstlichen Waldes. Wie hypnotisiert starre ich noch immer auf die Stelle, an der er verschwand.

Ich weiss nicht, wie lange ich am Fenster stand. Jedenfalls recht lange, denn die Nachmittagssonne ist bereits der ziemlich tief gesunken. Noch nicht so weit, dass man es als Abend bezeichnen könnte, allerdings dürfte es bis dahin nicht mehr lange dauern. Auch sieht es so aus, als würde es noch regnen. Möglicherweise ist sogar ein kleines Gewitter in der Nähe. Mit einem leisen Seufzer wende ich mich vom Fenster ab. Ich muss raus. Sofort. Ich muss in den Wald und nachdenken. Über alles. Kurzerhand verlass ich das Zimmer und dann nah der Treppe und der Eingangstüre auch das Haus.

Nach ein paar Meter beschleunige ich mein Tempo und schliesslich jogge ich in den Wald. Ich behalte meine Umgebung mit all meinen Sinnen im Blick und dringe immer tiefer in den Wald ein. Irgendwann verlangsame ich mein Tempo und bleibe stehen. Behände klettere ich eine schon etwas ältere Buche empor. Sie ist gross. Schon nach kurzer Zeit bin ich in beachtlicher Höhe. Ich entdecke eine geeignete Astgabel nahe des Stamms und setze mich dorthin. Mit dem Rücken an den Baum gelehnt mustere ich die Umgebung, bevor ich dann die Augen schliesse und wiederholt nochmal die Gegend absuche, diesmal mit meinem Gehör- und Geruchssinn.

Nach der Inspektion atme ich tief durch um mich einigermassen zu entspannen. Meine Gedanken schweifen von der Umgebung ab. Wann wird Kyle sich zeigen? Wann wird das Unvermeidliche geschehen? Bald... Wahrscheinlich. Ich habe ein mieses Gefühl dabei, dass Ascan und das Rudel sich einmischen. Es ist nicht ihre Sache und dennoch wollen sich helfen. Ascans Vater, George, möchte vor allem seinen besten Freund rächen. Seinen engsten Vertrauten. Auch wenn sie sich Jahre nicht gesehen haben, George Damien nie richtig verabschiedet hatte und er dachte, Damien würde lügen. Niemals hat er aufgehört Damien wie einen Bruder zu lieben.

Das mag stimmen. Dennoch... Wenn es soweit ist, werden wir schon sehen. Und soweit wir wissen, haben Ascan, George und weitere heute eine Besprechung über dieses Thema abgehalten. Na gut. Also lassen wir das. Anderes Thema. Ich habe noch immer keine genaue Ahnung, wie ich zu Ascan stehe. Fürchte ich mich vor ihm? Vertraue ich ihm? Oder nicht! Mag ich ihn? Kann ich ihn womöglich sogar lieben? Ich weiss es nicht! Hasse ich ihn? Verabscheue ich ihn? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich weiss es einfach nicht. Ich kann dir dabei nicht helfen. Nur du selber kannst dir etwas eingestehen.

Denke aber daran, dir nichts vorzumachen. Du musst herausfinden, wie es wirklich ist. Nicht wie du denkst, dass es sein könnte! Ich versuche es ja! Aber es ist gar nicht so einfach... es wäre viel einfacher, mir einzugestehen, dass ich essen ziemlich gerne schätze. Oder herumliegen. Oder das ich es liebe, wenn ich alleine bin, zu singen. Auch wenn ich es nicht kann und keinen Ton nur ansatzweise treffe. Da könntest du Recht haben. Aber zurück zum Thema. Geh einfach jede deiner Fragen einzeln durch und beantworte sie dir selbst ehrlich. Wie du meinst. Was war noch einmal die erste Frage?

Bei der Mondgöttin, bist du vergesslich! Aber gut. Die erste Frage lautete, ob du dich vor ihm fürchtest. Ich versuche mir vorzustellen, wie es wäre, wenn Ascan hier wäre. Würde ich mich fürchten? Nicht wirklich. Oder doch? Ich schliesse die Augen und führe es mir vor Augen. Seine hellblauen Augen blicken mir entgegen. Einzelne, dunkle Strähnen hängen ihm etwas in die Stirn. Ich fürchte mich. Aber nicht vor ihm. Ich fürchte, dass er bald sterben könnte. Diese Erkenntnis trifft mich doch etwas. Habe ich tatsächlich schon darüber hinweggesehen, dass er Dylan und mich beinahe getötet hätte?

Nein, habe ich nicht. Ich würde ihm das nie vergessen. Allerdings bin ich bereit, es ihm zu verzeihen. Gut, dann die nächsten Fragen. Vertraust du ihm? Magst du ihn? Liebst du ihn bereits? Ich denke nach. Ich mag ihn. Das steht fest. Aber vertrauen kann man nicht einfach so. Ich jedenfalls nicht. Die Menschen, die dazu in der Lage sind, finde ich bewundernswert. So eine Naivität und Reinheit an den Tag zu legen, ist vielleicht nicht immer gut. Aber es sind dennoch keine Negativen Charaktereigenschaften. Und ob ich ihn liebe? Das weiss ich nicht. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.

Bei der Mondgöttin, du kannst dich ja auch nicht entscheiden! Klar liebst du ihn, auch wenn es nur durch das Band so sein sollte. Das kann ich dir als deine innere Wölfin nur allzu gut bestätigen. Wie gesagt, es könnte sein. Nächste Frage? Das Nächste wäre, ob du ihn verabscheust oder hasst. Ich hasse niemanden. Das ist eine negative Gefühlsregung, die ich noch nie verspürt habe. Und wie könnte ich ihn verabscheuen, wenn ich ihn mag? Das wäre sehr unlogisch, nicht? Es könnte ja sein... Das glaubst du ja nicht einmal selber! Wie auch immer. Wie lautet die Schlussfolgerung dieses Gesprächs?

Ich fürchte vor allem, dass er sterben könnte und ich schuldig bin, da ich ihn da hineingezogen habe. Auch fürchte ich, dass er Irgendjemandem wehtun könnte, wenn er die Kontrolle über sich verliert. Ich mag ihn, vertraue ihm aber nicht unbedingt. Es besteht die Möglichkeit, dass ich ihn liebe. Verabscheuen oder gar hassen tue ich ihn keinesfalls. Gut, dann haben wir das ja geklärt. Und jetzt geh zu ihm und sag ihm das! Gute Idee! Nein, ernsthaft. Bist du irre?! Niemals! Oh doch! Nö. Doch! Nope. Doch das tust du! Das kannst du so etwas von vergessen. Darf ich dir mal etwas sagen? Was denn?

Mir ist es so etwas von egal, dass du dich nicht traust. Es geht mir am Arsch vorbei, dass du denkst, er wird schon auf dich zukommen und alles wieder ins Lot bringen. Aber wir sind hier nicht in einem Roman, an dem alles gut wird, obwohl sich die Hauptperson wie die eingebildetste, nur auf sich achtende Nutte, Zicke und Idiotin benimmt! Aber so denke ich doch gar nicht! Nein, natürlich nicht! Du lässt ihn nur warten und stösst ihn immer wieder von dir ab, obwohl du genau weisst und spürst, dass er daran zerbricht. Du merkst es wirklich nicht? Spürst du wirklich nicht diese beinah schon physisch schmerzhaften Gefühle?

Es sind Ascans, begreifst du das nicht?! Er ist verletzt, weil du ihn augenscheinlich nicht willst und ihn nicht einmal in der Nähe haben willst. Doch, natürlich spüre ich das. Wie könnte ich das nicht spüren? Aber ich denke trotzdem nicht so wie du es behauptest! Also, wenn du wirklich nicht so bist und nicht so denkst, beweis es hier und jetzt. Beweg deinen Hintern zu unserem verdammten Mate und versuche ihm klar zu machen, dass er dir mehr bedeutet, als du in deinem Erbsenhirn auch nur verstehen kannst, bevor es zu spät ist!

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Wie steht ihr zu Fogs Ausraster? Könnt ihr sie verstehen?

Und ja, Fog spielt auf etwas an, was ich persönlich in Büchern manchmal als ziemlich nervenaufreibend empfinde... Aber nicht zu ernst nehmen bitte! ^^

Noch weiterhin viel Spass beim Lesen

Eure SalvisObscurus

The Night WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt