Kapitel 8

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Alles was ich sehe ist schwarz. Doch plötzlich stehe ich am Ufer eines Sees. Als Wolf. Ich betrachte mein Spiegelbild. Ich kann deutlich mein schwarzes Fell und meine goldenen Augen erkennen. Doch auf einmal taucht etwas in meinem Blickfeld auf. Auf der anderen Seite des Sees steht ein Wolf. Er ist unscharf, ganz im Gegensatz zu der restlichen Gegend. Plötzlich wir meine Sicht wieder schwarz. Doch dann taucht ein Bild vor mir auf. Ich sehe einen graubraunen Wolf, einen Werwolf, den ich leider nur zu gut kenne. Es ist der Werwolf, der meine Eltern getötet hat und auf der Suche nach mir ist. Mein ganzer Körper zuckt vor Angst zusammen.

Ich fange an, unkontrolliert zu zittern und schluchze auf. Er ist derjenige, den ich am Meisten von allen fürchte. Kyle Vodrej. Auf einmal erblicke ich ihn in seiner menschlichen Gestalt. Seine grünen Augen fixieren mich mit einem machtgierigen Blick. Seine braunen Haare wirken durcheinander und er grinst mich hämisch an. Kalt lacht er: ,,Ich werde dich finden! Und wenn ich dich finde, gehörst du mir. Durch dich werde ich mächtig sein und alle werden sich mir unterwerfen. Ich finde dich, Nachtwölfin mit den Sonnenaugen!" Dann wird das Bild schwarz und ich fühle nichts mehr.

Völlig verschwitzt und fertig rieche ich einen Geruch. Ich sehe noch immer nichts und auch den Geruch kann ich nicht genau einordnen. Ich spüre, dass ich auf einer Wiese liege. Ich frage mich kurz, was ich hier soll und was passiert ist, doch dann fällt mir wieder alles ein. Nun kann ich auch den Geruch einordnen. Es ist Ascan. Vor Schreck zieht sich alles in mir zusammen. Alle, aber nicht er! Das war die komischste, längste und anstrengendste Vision, die wir je hatten! Na danke, ist mir gar nicht aufgefallen. Ich öffne mühsam meine braunen Augen und blicke mich um.

Etwa zwei Meter von mir entfernt steht Ascan und blickt mich erschrocken und verwirrt an. Mit aufgerissenen Augen fragt er: ,,Was zur Hölle hast du?!" Er blickt mich erwartungsvoll an. Doch ich schweige. Niemals würde ich ihm davon erzählen. Niemals würde er erfahren, wer ich wirklich bin und warum ich hier bin. Du musst irgendetwas sagen, ich glaube er rastet gleich wieder aus. Erschrocken blicke ich wieder zu Ascan. Tatsächlich wirkt er schon wieder wütend. Er kommt mit schweren Schritten auf mich zu und ich versuche mich verzweifelt aufzurichten um zu fliehen. Doch er ist zu schnell für mich.

Er packt mich an der Kehle und fragt mit zusammengebissenen Zähnen: ,,Was hast du für eine verdammte Störung?!" Ich antworte ihm nicht. Selbst wenn ich wollte, ich könnte nicht. Die Vision hat mir fast alle Kräfte geraubt und meine Aufmerksamkeit liegt im Moment darauf, dass man mich nicht als Werwolf erkennen kann. Ascan drückt kräftiger zu und ich spüre bereits, wie sich meine Luftzufuhr stark verringert. Verzweifelt versuche ich meinen Bruder per Mind-Link um Hilfe zu rufen. *Hilfe!* Fast sofort reagiert er. *Wo bist du!?* Mit letzter Kraft antworte ich ihm. *Park der Schule.* Dann wird mir wieder schwarz vor Augen.

Ascans Pov.

Als ich heute Morgen in die Schulde gekommen bin, dachte ich nicht, dass ich sie treffen würde. Die, die mich gestern blamiert hat. Die, die mir kein bisschen Respekt gezollt hat. Sie ist ja auch ein Mensch, du Dummkopf. Halt die Schnauze Silver. Nur weil du mein innerer Wolf bist, kannst du mich nicht dumm nennen. Wir sind nämlich eine Person, schon vergessen? Also rein theoretisch gesehen, haben wir eine gespaltene Persönlichkeit, die sich ein Körper teilt. So gesehen wäre Still jetzt. Sie muss irgendwo hier in der Schule sein. Warum können wir sie nicht wahrnehmen?! Naja, du weisst ja. Menschen können wir meist eh weniger gut riechen.

Ich habe jemanden aber noch nie gar nicht gerochen. Das ist auch so gut wie unmöglich! Nun ja, vielleicht hat sie wirklich einfach einen sehr schwachen Duft. Wahrscheinlich. Suchend blicke ich mich um. Vielleicht hat sie versucht in den kleinen Park zu flüchten! Eilig mache ich mich auf den Weg. Mitten drin halte ich an und lausche angestrengt. Tatsächlich höre ich einen Herzschlag. Er ist schneller als normal. Viel schneller. Ich knurre auf, orte das Geräusch genau und laufe dann zielsicher auf ein dichtes Gebüsch zu. Als ich nur noch wenige Meter von ihrem wahrscheinlichen Standpunkt entfernt bin, steht sie auf einmal auf.

Sie blickt mich an. Doch ihre braunen Augen wirken leer und kalt. Ich habe noch nie einen Gesichtsausdruck so wenig deuten können! Ich auch nicht. Und gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass sie mich liest wie ein Buch. Dann sind wir schon zwei. Und für uns ist sie wie ein Buch mit sieben Siegeln, die kaum einer brechen kann. Finde ich auch. Aber nun zum Wichtigen. Denn niemand widerspricht uns oder stellt uns bloss. Ich fange an zu grinsen. Sie kann hier niemanden um Hilfe rufen und nochmal kommt sie mit diesem Trick nicht durch. Bringen wir ihr mal ein paar Manieren bei!

Spöttisch frage ich sie: ,,Was willst du nun tun? Hier ist niemand, der dir helfen kann." Sie verschränkt ihre Arme vor ihrer Brust und fragt mich mit hochgezogenen Augenbrauen: ,,Was willst du von mir?!" Etwas verwirrt starre ich sie an. Wie kann sie es wagen! Sie widersetzt sich schon wieder! Wieder kocht eine fast unbändige Wut in mir hoch. So gut wie es geht, halte ich sie zurück und frage sie drohend: ,,Du weisst ganz genau, was du getan hast. Sonst wärst du nicht die ganze Zeit geflüchtet." Zum ersten Mal kann ich eine Emotion in ihrem Gesicht ablesen.

Doch sie passt überhaupt nicht zu ihren bisherigen Reaktionen. Für wenige Sekunden sehe ich ihre blanke Panik. Doch warum sollte sie plötzlich Panik bekommen? Vielleicht verbirgt sie etwas. Etwas was wir nicht wissen sollen. Wenn es so wäre, was könnte so wichtig sein, das sie Panik bekommt? Ich weiss es nicht. Aber wir werden es herausfinden! Ich blicke sie kalt an. Ihre plötzliche Panik ist verschwunden und fast habe ich das Gefühl, sie mir nur eingebildet zu haben. Doch ich weiss, was ich gesehen habe und ich werde den Grund dafür herausfinden. Wir werden den Grund herausfinden!

Vielleicht hat sie auch Angst vor uns? Doch ihre Antwort widerlegt den Punkt wieder: Wüsste nicht was du meinst. Nach diesem Satz kann ich meine Wut definitiv nicht mehr zurückhalten. Wütend mache ich einen Schritt auf sie zu. Doch bevor ich auch nur etwas sagen oder machen kann, krümmt sie sich auf einmal. Ihr Gesicht ist schmerzverzerrt. Dann klappt sie plötzlich zusammen. Überfordert stehe ich vor ihr. Sie liegt starr da, die Augen geschlossen. Auf einmal fängt sie an zu zucken und um sich zu schlagen. Entsetzt starre ich sie an, unfähig mich zu rühren. Aus Reflex prüfe ich die Luft. Dies habe ich mir angewöhnt, um Krankheiten direkt festzustellen.

Doch ich rieche keine Krankheit und auch ihr Herz schlägt gleichmässig. Aber ich wittere einen schwachen Geruch, kann ihn nicht genau zuordnen. Noch einmal prüfe ich die Luft, doch der Geruch ist so plötzlich verschwunden, wie er gekommen ist. Sie hat aufgehört zu zittern und liegt still da. Dann öffnet sie langsam und vorsichtig ihre Augen. Verwirrt blicke ich sie an und frage sie entsetzt: Was zur Hölle hast du?! Sie schweigt, blickt mich nur kalt an. Wieder kommt eine Wut in mir hoch, die ich nur schlecht beherrschen kann. Ich gehe auf sie zu. Sie versucht aufzustehen, doch ihre Beine versagen.

Wie in Trance packe ich sie an der Kehle und frage mit zusammengebissenen Zähnen: Was hast du für eine verdammte Störung?! Blind vor Wut drücke ich noch etwas mehr zu. Sie röchelt kurz auf, was sie aber kaum zu bemerken scheint. Ihr Blick wird leer und ihr Körper sackt zusammen. Erschrocken blicke ich auf das, was ich getan habe. Vorsichtig lege ich sie auf dem Boden ab und lausche nach ihrem Herzschlag. Schwach kann ich ihn hören. Eigentlich müsste sie Tod sein. Ein Mensch wäre bei unserer angewendeten Kraft längst nicht mehr am Leben. Vielleicht irrst du dich aber auch.

Ich meine, wir waren beide wie in Trance, weil sie nicht geantwortet hat. Apropos. Ratlos blicke ich auf sie hinunter. Bring sie zu den Schulärzten du Pfosten! Schnell nehme ich sie im Brautstyle hoch und trage sie Richtung des Schuleinganges. Im Krankenzimmer angekommen, halte ich kurz inne. Eine Schulkrankenschwester kommt angelaufen und blickt auf das Mädchen in meinen Armen. Ich erkläre kalt: ,,Sie ist draussen zusammengebrochen. Ich liefere sie hier ab, dann bin ich weg. Verschwende meine Zeit nicht!" Die Schwester nickt kurz und deutet auf ein Krankenbett. Ich lege das Mädchen darauf ab und verlasse das Zimmer. Ich beschliesse, in den Wald zu gehen, da meine Wut noch immer nicht ganz verraucht ist und ich meine Gedanken sortieren muss. Schnell mache ich mich auf den Weg, verwandle mich am Waldrand in meinen Wolf und renne in das Dickicht.

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Ich dachte mir mal, die Sicht von Ascan wäre auch mal ganz interessant...^^

Noch viel Spass beim Lesen, eure SalvisObscurus

The Night WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt