Kapitel 39

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Eine Berührung an meinem Arm. Hektisch öffne ich die Augen und bin drauf und dran aufzuspringen, doch dann stelle ich fest, dass Ascan der Auslöser dieser Berührung ist. Augenblicklich beruhige ich mich wieder. Leise seufzend lasse ich mich wieder auf die weiche Matratze hinabsinken. Vorsichtig streicht Ascan mir eine helle, verirrte Strähne meiner Haare aus dem Gesicht und hakt sanft nach: ,,Was ist los? Ich schliesse kurz die Augen, geniesse seine zarte Berührung. Mit noch immer geschlossenen Augen versuche ich ihm zu erklären, was in mir vorgeht, weshalb ich morgen so kritisch gegenüberstehe, dass ich mich lieber selbst opfern würde.

Nach kurzem Zögern beginne erst stockend: ,,Du... Ich... Nun ja..." Ich halte kurz inne und atme einmal tief durch, dann habe ich mich einigermassen gefangen und fange schliesslich mit leiser Stimme an: ,,Ich habe Angst Ascan. Um das Rudel, meinen Bruder und dich. Es kann morgen alles passieren. Womöglich werden viele sterben, Vertraute und Familien zurücklassend. Das klingt schon nicht so schön, doch dann habe ich mir vor Augen geführt, was das für die Zurückgebliebenen bedeutet. Eine Existenz ist komplett ausgelöscht. Für immer und unwiderruflich. Sie werden sich nie mehr in den Armen halten können und einander sagen, wie wichtig sie einander sind.

Sie können nie wieder alle zusammen an einem Tisch sitzen und amüsierende Gespräche führen, nie mehr ruhige, spannende oder schöne Momente miteinander teilen. Nie mehr können sie sich über belustigende oder beängstigende Erlebnisse austauschen. Sie werden weg sein. Nicht mehr da, nur noch die Erinnerungen an sie werden sie erhalten. Genau diese Angst habe ich. Angst, dass das Rudel für immer weg sein könnte. Dylan. Du. Ich weiss nicht ob ich das überleben kann, möchte. Am liebsten würde ich mich einfach..." Ich halte inne. Würde ich das tun? Sterben für das Wohl des Rudels, von Dylan und Ascan?

Ich brauche nicht lange, um zum Schluss zu kommen, dass ich es tun würde. Ich war bereits einmal kurz davor Selbstmord zu begehen, damals hielt Fog mich auf. Doch wie wird es diesmal sein? Bevor ich diesen Gedankengang weiterführen kann, unterbricht mich Ascan: ,,Ich weiss Talya. Aber weisst du was?" Ich blicke ihn nur verwirrt an. Ernst fährt er fort: ,,Falls ich morgen sterben sollte, wirst du das überleben. Ich weiss, dass ich ohne dich nicht mehr leben könnte. Aber du kannst das, dass weiss ich. Das hast du schon bewiesen, als du geflüchtet bist. Ich würde ohne dich zugrunde gehen, wie das Rudel auch.

Ich weiss, dass mein Vater neulich mit dir geredet hat. Und ich habe dieselbe Vermutung. Falls ich in diesem Kampf sterben sollte, wirst du wissen, was wir schon ahnen. Doch egal was passiert, ich möchte, dass du mir zwei Dinge versprichst." Er hält kurz inne. Ich bin hin- und hergerissen. Was sollten das für Versprechen sein? Vorsichtig frage ich ihn: ,,Was für Versprechen wären das? Er rückt ein wenig näher an mich heran, bevor er mit antwortet: ,,Erstens möchte ich, dass du leben wirst. Selbst wenn mir etwas zustösst. Tu es für das Rudel, für Dylan. Und am allermeisten für mich. Bleib stark und gib nie auf."

Ich nicke leicht: ,,Ich verspreche es." Er lächelt mich sanft an, dann fährt er fort: ,,Gut. Und Zweitens, falls ich sterben sollte..." Er stoppt kurz und richtet seinen Blick zu Boden: ,,Falls ich sterbe, vergiss mich bitte nicht. Ich starre ihn an. Rechnet er schon selber damit, dass er sterben wird? Ich schlucke schwer. Nein. Es wird nicht passieren. Oder doch? Was wenn doch Fog? Es wird nicht passieren. Hoffentlich. Ich richte meinen Blick auf ihn, bevor ich sanft meine Hand in seine lege und leise verspreche: ,,Niemals. Das könnte ich nicht." Ein kleines Lächeln bildet sich auf seinen Lippen.

Dankbar blickt er mich an und drückt sanft meine Hand. ,,Danke. Ich merke, dass er sich mit diesem Dank nicht nur für meine Versprechen bedankte, sondern auch dafür, dass ich ihm vergeben habe, ihn zugelassen habe. Ebenfalls sanft lächelnd erwidere ich: ,,Es brauchte seine Zeit, aber nun kann ich es dir wirklich versprechen. Ich hatte keine andere Wahl, dass weisst du genau. Aber die Mondgöttin hat es bestimmt, so wird es auch einen tieferen Sinn haben. Und auch ich bin nicht mehr so sehr davon abgeneigt davon, für die Ewigkeit an dich gebunden zu sein. Trotz allem. Sein Sturm aus verwirrenden Gefühlen legt sich.

Ich spüre seine Erleichterung. Und auch ich fühle mich, als hätte ich einen schweren Stein von meinem Herzen entfernt. Sanft schliesst er mich in seine Arme und drückt mich an sich. Sein Duft streicht mir um die Nase, ich seufze leise auf und drück ihn nun auch meinerseits an mich. Schweigend harren wir in sitzender Position aus. Seine Nähe gibt mir Sicherheit und Ruhe. Das Schweigen ist nicht, wie man möglicherweise denken könnte, unangenehm oder merkwürdig, sondern einfach nur angenehm. Dennoch lassen wir uns nach einer Weile langsam los und legen uns schlafen. Er greift mich vorsichtig und ich umschlinge ihn meinerseits mit meinen Armen. So aneinander gekuschelt schlafe ich schon nach kurzer Zeit ruhig ein, ohne einen weiteren Gedanken an den nächsten Tag zu verschwenden.

Ascans Pov.

Ruhig schlafend liegt sie in meinen Armen. Ihre Arme um mich geschlungen, schläft sie friedlich und mit gleichmässigen Atemzügen. Ein leichtes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, doch dann schweifen meine Gedanken wieder zum morgigen Tag ab. Morgen könnte mein letzter Tag sein. Wir haben mehrere Einheiten gebildet und den Kampf genau durchgeplant. Ich werde mit etwa der Hälfte meiner Rudelgefährten eine direkte Konfrontation wagen, mitten im Wald. Ein Viertel meiner Kämpfer werden in den Bäumen ausharren und warten, bis das gegnerische Rudel auftauchen würde. Der letzte Viertel wird versuchen um die Gegner herumzuschleichen und diese von hinten einzukesseln.

Und dann ist da noch Talyas Plan. Er ist riskant, schliesslich wird auch sie im Wald anwesend sein, wenn auch versteckt. Auf dem vorgesehenen Kampfplatz liegt so einiges an Geröll herum. Sobald der Kampf beginnt, wird sie einige dieser schweren Steine auf die Gegner herabrieseln lassen. Bei dir klingt das, als wäre das Schnee. Du weisst, wie ich das meine. Doch falls ich trotz alledem nicht überleben sollte, ist es nun mal so. Früher fürchtete ich mich vor dem Tod, doch wenn Talya aus der Welt scheiden würde, hätte ich ihr zu folgen.

Dies klingt nun ungemein übertrieben, doch den Schmerz eines Werwolfs der seine Mate verlor, ist schlimmer als jeder andere. Nur wenige haben dies überlebt. Doch Talya wäre dazu imstande, da sind mein Vater, mein Beta, die Monddeuterin und ich uns sicher. Falls Talyas Plan aufgehen wird, hätten wir kaum bis gar keine Verluste. Aber wenn er aus irgendeinem Grund schiefgehen würde, dann wird der Kampf blutig werden. Sehr blutig. Ich schüttle leicht den Kopf. Es wird gutgehen. Da bin ich mir sicher. Ich atme leise seufzend einmal tief durch und ziehe Talya noch etwas näher an mich. Liebevoll betrachte ich meine an mich gekuschelte, schlafende Mate.

Bei der Mondgöttin, wenn ihr etwas geschehen sollte, könnte er sich dies nie wieder verzeihen. Es muss alles gutgehen. Er hatte sie doch gerade erst gefunden. Lieber würde er sterben, als das sie es tun müsste. Er hatte ein schönes, frohes Leben, ganz anders als sie. Und seit er Talya gefunden hatte, war sein Leben voll und ganz vollkommen. Ich verlasse diese Gedankengänge an morgen und befasse mich mit dem hier und jetzt. Ich könnte sie noch lange betrachten, wie sie so friedlich daliegt, doch auch ich brauche meinen Schlaf und so schliesse die Augen und lasse mich in einen ruhigen Schlaf gleiten.

The Night WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt