Mein Blick haftet an dem Gesehenen und wie in Trance laufe ich darauf zu, bis ich davor stehen bleibe. Fasziniert betrachte ich das Gemälde. Es kommt mir so bekannt vor, aber irgendwie auch nicht. Umso länger ich es anschaue, umso mehr bin ich mir sicher, das abgebildete schon einmal gesehen zu haben. Es ist nicht wie auf beinahe allen anderen Bildern hier eine Landschaft abgebildet, sondern eine Art verschnörkeltes Muster. Es ist schwarzweiss gehalten, dennoch kann ich so viele Abstufungen und Nuancen erkennen, dass es mir fast schon zu viel wird. Die filigranen Muster sind wunderschön und verwirrend zugleich, und obwohl das Muster nicht einmal besonders gross ist, kann ich immer wieder etwas Neues entdecken.
Ich weiss nicht genau, warum mir das so bekannt vorkommt. Du Fog? Ich auch nicht so ganz. Keine Ahnung, wie lange ich das Kunstwerk betrachtet habe, aber plötzlich höre ich wie die Tür aufgeht und sich wieder schliesst, durch die Ascan zuvor gegangen ist. Noch bevor ich mich überhaupt umdrehen kann, steht Ascan plötzlich direkt neben mir. Etwas verwirrt fragt er mich: ,,Warum schaust du dir dieses an?" Ich zucke nur mit den Schultern und mache dann einen Schritt zur Seite, weg von Ascan. Kurz meine ich, einen verletzten Ausdruck in seinem Gesicht zu entdecken, doch wahrscheinlich habe ich es mir nur eingebildet.
Zwar merke ich die Verbindung, doch ich versuche, sie grösstenteils zu verdrängen. Ich deute mit einer Kopfbewegung auf das Gemälde mit dem Muster: ,,Was stellt es dar?" Verdattert blickt Ascan mich an: ,,Das weisst du nicht?" Ich schüttle nur verwirrt den Kopf. Mit gerunzelter Stirn hackt er nach: ,,Aber du weisst, was Monddeuter sind, oder?" Ich nicke. Natürlich weiss ich das. Kein Wunder, sogar Welpen wissen das. Noch immer etwas perplex über mein Unwissen über dieses Muster erklärt Ascan: ,,Monddeuter sind, wie du ja weisst, von Geburt an dazu bestimmt, Visionen der Mondgöttin zu erhalten.
Jeder von ihnen trägt so ein Muster auf der Haut, das angeboren ist. Sie sind geprägt und man kann es nicht nachmachen." Eine Frage schiesst mir durch den Kopf und bevor ich es verhindern kann, rutscht sie mir heraus: ,,Was ist, falls sie Kinder haben? Ich meine, sie leben ja gut ein Jahrhundert länger als normale Werwölfe. Sind die Nachkommen dann besonders langlebig?" Ascan lacht leise, dann erwidert er: ,,Weisst du nicht, dass Monddeuter normalerweise keine Mates haben? Und das sie eigentlich nicht fähig sind, Liebe auf dieser Ebene aufzubauen?" Mit gerunzelter Stirn blicke ich ihn an.
Das wusste ich tatsächlich nicht. Aber dennoch fällt mir etwas an seiner Wortwahl auf. Forschend frage ich ihn: ,,Du sagtest normalerweise und eigentlich... also ist es schon einmal Vorgekommen, dass es geschehen ist?" Fast schon beeindruckt blickt er mich an. Als er antwortet, richtet er seinen Blick wieder auf das Gemälde: ,,Es soll einmal vorgekommen sein. Aber das ist schon fast vierzig Jahre her und sie wurden nie wieder gesehen." Etwas verwirrt harke ich nach: ,,Mehr weisst du nicht?" Bedauernd schüttelt er den Kopf. Eine kurze Pause entsteht, auf einmal hellt sich seine Miene wieder auf und er deutet auf das Sofa: ,,Lass uns hinsetzen und anfangen."
Einen leisen Seufzer unterdrückend folge ich seiner Anweisung und setze mich hin, möglichst weit weg von ihm. Es ist gar nicht so schwer, meine Aufmerksamkeit von ihm abzuwenden, da auf dem Tisch ein Tablett mit zwei Gläsern mit Wasser und ein Teller mit Essen darauf steht. Mit einem fast schon sanften Lächeln meint er: ,,Bediene dich ruhig." Etwas zögernd nehme ich das Besteck, das neben dem Teller liegt, und beginne zu essen. Ich fühle mich sehr unwohl dabei, da ich Ascans Blick auf mir bemerke. Ich hasse es beim Essen beobachtet zu werden! Gib zu, er macht dich nervös! Niemals!
Jedenfalls nicht, weil er mein Mate ist und verdammt gut aussieht und so... Jaja, wers glaubt wird selig! Halt die Schnauze du kleines Biest! Das nehme ich nicht als Beleidigung, denn als deine innere Wölfin bin ich ja so eine Art Biest. Aber das klein nehme ich als Anfeindung gegen mich! Mach doch, das ist mir egal. Ich bemühe mich, das Essen nicht hinunterzuschlingen. Ascans Blick ruht auf mir, jedoch versuche ich ihn zu ignorieren. Als allerdings seine Mundwinkel zu zucken anfangen, werfe ich ihm einen bösen Blick zu. Bedauerlicherweise hört er nicht auf und fängt nun auch noch an zu Grinsen.
Er wartet geduldig, bis ich zu Ende gegessen und etwas getrunken habe, dann eröffnet er die Fragerunde: ,,Also, du bist ein normaler Werwolf warum meintest du dann, dass du gleich und doch anders bist?" Ein kleines Lächeln huscht über meine Lippen und mit belustigter Stimme erwidere ich: ,,Und du meinst also, dich mit Werwölfen gut auszukennen?" Verwirrt zieht er die Augenbrauen zusammen. Ich verdrehe innerlich die Augen und gebe ihm dann einen Tipp: ,,Nur so, es hat mit einer Legende zu tun." Ich mag ihn ja, aber im Moment stellt er sich wirklich dumm an... Da kann ich dir bei letzterem nur zustimmen.
Sein Gesichtsausdruck wird auf einmal emotionslos und er spannt sich an, aber auch seine Stimmung schlägt um. Dank des Bisses und der Verbindung spüre ich, wie der zuvor noch recht euphorische Ascan nun so viele Gefühle auf einmal verspürt, dass ich nichts mehr zuordnen kann. Ein kleines Nicken seinerseits bestätigt mir, dass er nun verstanden hat, was ich bin. Ich höre ihn leise etwas flüstern, dass wohl eigentlich nicht für meine Ohren bestimmt sein sollte: ,,Das erklärt so einiges..." Etwas verdattert starre ich ihn an. Was meint er damit? Was erklärt es, dass ich diese Wölfin bin? Und warum ist er auf einmal so angespannt und kalt?
Mit einem schon fast gequälten Lächeln blickt Ascan mich nun ebenfalls an und meint: ,,Du bist übrigens dran. Da mir irgendwie nichts Gutes einfällt, frage ich einfach das, was Fog unbedingt wissen möchte: ,,Wie heisst dein Wolf?" Ich spüre und sehe, wie Ascans Anspannung etwas abnimmt und sein Lächeln nicht mehr gequält wirkt, sondern echt. Und wieder schlägt seine Stimmung etwas um, diesmal ins Positive. Bei der Mondgöttin, ist der irgendwie schwanger oder hat seine Tage?! Mit erfreuter Stimme antwortet er mir: ,,Er heisst Silver, der mich und sich übrigens immer noch für alles hasst, was wir dir angetan haben. "
Eine kurze Pause entsteht. Als ich nicht antworte, fragt er mit beinahe sanfter Stimme weiter: ,,Und wie lautet der Name deines Wolfes?" Ist er nicht unglaublich freundlich und niedlich?! Er kann sich noch so oft entschuldigen, ich kann ihm das niemals vergessen! Und vergeben kann ich ihm erst, wenn er es durch Taten gezeigt hat, dass es ihm Leid tut. Etwas kurz angebunden antworte ich ihm: ,,Nightfog. Allerdings hasst sie den Namen, also Fog." Er nickt leicht. Erwartungsvoll blickt er mich an, wahrscheinlich um mich aufzufordern, die nächste Frage zu äussern. Allerdings fällt mir im Moment nicht viel ein, daher gebe ich Ascan ein Zeichen, dass er einfach weiterfragen sollte.
Doch ich höre nicht, wie seine Frage lautet, sondern sehe nur, wie seine Lippen sich bewegen. Fast sofort setzen heftige Schmerzen ein, so heftige wie noch nie zuvor. Nicht schon wieder. Ich versuche aufrecht sitzen zu bleiben, mir nichts anmerken zu lassen. Doch mein Körper versagt mir den Dienst. Leise jaulend krümme ich mich vor Schmerzen. Wie tausende, nein Millionen Nadelstiche brennt sich der Schmerz in meinen Körper. Ich sehe nur verschwommen, wie Ascan auf mich zu kommt und etwas überfordert zu mir blickt. Ich versuche eine Gedankliche Verbindung zu ihm zu erschaffen, da mir die Kraft zu reden fehlt.
Doch auch dies kann ich vor Schmerzen nicht mehr. Ich schliesse meine Augen und werfe mich vor Schmerzen herum. Doch auf einmal werden sie gedämpft. Vollkommen verblüfft öffne ich meine Augen etwas und blicke Ascan genau ins Gesicht. Seine hellen Augen sind voller Sorge und auch Angst. Er hat mich in seine Arme geschlossen und eine seiner Hände streicht mir beruhigend über den Kopf. Ich vergesse meine Furcht vor ihm und schenke ihm einen dankbaren Blick. Mit deutlich weniger Schmerzen als sonst falle ich ins Nichts, bereit die nächste Vision zu empfangen.

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The Night Wolf
LobisomemTalya (16) ist anders als andere. Sie ist eine Werwölfin. Doch sie gehört keinem Rudel an. Sie versteckt, zusammen mit ihrem Bruder, ihre Identität als Werwolf vor anderen ihrer Art. Doch als sie umziehen, trifft sie auf ihren Mate und alles ändert...