Kapitel 16

14.4K 526 40
                                    

Ich wende meinen Blick von Ascan ab und richte ihn auf Dylan. Mit leiser Stimme frage ich ihn: ,,Können wir nach Hause?" Fast sofort beginnt Ascan wieder zu Knurren: ,,Nach Hause?! Dylan, betrügst du etwa meine Cousine oder was? Ich habe mich schon die ganze Zeit über gewundert, warum sie deinen Geruch an sich trägt! Das erklärt das Ganze natürlich!" Seine Hände sind zu Fäusten geballt und vor Wut zittert er am ganzen Leib. Überrascht über so eine Sichtweise von Dylan und mir starre ich Ascan mit grossen Augen an. Dylan seufzt genervt auf. Warum ist er genervt?!

Ich habe verdammt Angst, bin komplett verwirrt und der ist genervt?! Dylan halt. Wir sind definitiv verschieden. Du lebst noch Fog? Wow, hätte ich nicht geglaubt. Ich weiss. Mit ruhiger Stimme erklärt Dylan: ,,Alpha. Sie ist meine Cousine." Nun ist Ascan der Überraschte. Seine Lippen formen ein Stummes 'Oh'. Sein Blick trifft meinen und ich begehe den Fehler, nicht wegzuschauen. Seine hellblauen, fast silbernen Augen fesseln mich. Ich kann keine Wut darin Erkennen. Nur Reue, Zuneigung und merkwürdigerweise Entschlossenheit. Dieser Typ ist echt verwirrend. Erst will er unserem Bruder was antun, dann droht er und bringt uns fast um. Nun sind wir Mates und du und ich versuchen ihn irgendwie loszuwerden.

Und das funktioniert übrigens nicht, wenn du nicht bald den Blickkontakt abbrichst. Sonst schmelzen wir noch dahin... Schnell richte ich meinen Blick nicht zu Ascan sondern auf Dylan. Er lächelt mich kurz sanft an und wendet sich dann an Ascan: ,,Können wir gehen?" Ich traue mich nicht, zu Ascan zu schauen. Hoffentlich stimmt er zu. Und wenn nicht, komme ich irgendwie weg. Weit weg von hier. Das hätte ich schon tun sollen. Wenn ich nach Hause komme, werde ich das Nötigste zusammenpacken und dann weit fort von hier gehen. Dann werde ich meine Kräfte trainieren, um Kyle Vodrej, den Mörder meiner Eltern, zu stellen.

Feines Mädchen! Ich weiss. Endlich erfolgt Ascans Antwort: ,,Sie bleibt hier." Ich erstarre noch mehr, als ich es sowieso schon getan habe. Dylan scheint es nicht anders zu gehen. Zähneknirschend fragt er Ascan: ,,Muss das sein? Sie hat Angst, Alpha." Dieser erwidert Dylans Blick und sagt bestimmt: ,,Sie bleibt hier." Die Frage ist nur, wie lange Schätzchen! Definitiv. Ascan geht einen kleinen Schritt auf mich zu, doch ich zucke zurück. Dies musste ich noch nicht einmal gross schauspielern, ich hätte auch normalerweise genauso reagiert. Ein letztes Mal versucht es Dylan: ,,Alpha, bitte. Sie braucht Zeit..." Jep. Zeit, um zu flüchten.

Noch habe ich Hoffnung, dass ich erst noch meine Sachen zusammenpacken kann. Und dass ich keine Zeit alleine mit Ascan verbringen muss. Jedoch ist seine Antwort erschütternd: ,,Sie bleibt!" Es ist mehr ein Knurren als ein Ausruf, der mich unwillkürlich zusammenzucken lässt. Dylan steht nun seufzend auf. Er streicht mir noch einmal liebevoll über den Kopf, was von Ascan mit einem leisen Knurren quittiert wird. Dann geht er auf ihn zu. Vor ihm bleibt Dylan stehen. Er ist nur etwa vier Zentimeter kleiner als Ascan, doch ein Alpha muss nicht unbedingt der Grösste sein, um Macht auszustrahlen.

Mit drohender Stimme knurrt Dylan: ,,Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst, wirst du es bereuen!" Dann verlässt er, mit einem letzten liebevollen Blick in meine Richtung den Raum. Ascan starrt meinem Bruder nur verwirrt hinterher. Anscheinend kommt es selten vor, dass ihm jemand aus seinem Rudel droht. Unser Bruder ist einfach toll, nicht? Ja und wie. Und vor allem deswegen müssen wir weg von hier. Und auch wegen Ascan. Zum einen um sein Rudel zu schützen, zum anderen weil ich Angst vor ihm habe. Und nun bin ich allein mit ihm. Allein mit dem, der mich gestern noch fast getötet hat.

Der Mond scheint durch die Fenster des Zimmers. Werwölfe brauchen nur selten Licht, da sie im Dunkeln besser sehen als Menschen. Ich habe meinen Blick stur auf die hellgraue Bettdecke gerichtet. Ich kann ich nicht ansehen. Schon ohne ihn zu sehen, sondern nur wegen seiner Anwesenheit bin ich verdammt verwirrt. Von den Geschehnissen des letzten Tages. Von Ascan. Von meinen Gefühlen. Ich höre, wie Ascan langsam ein und dann wieder ausatmet. Dann macht er einen Schritt auf mich zu. Angstvoll rutsche ich so weit es geht an den Bettrand. Leise höre ich Ascans Stimme: ,,Wenn du möchtest, kannst du dich umziehen.

Ich habe noch alte Sachen von meiner Schwester da, die könntest du anziehen. Umziehen kannst du dich Im Bad. Gleich diese Tür geradeaus, siehst du sie?" Seine aussergewöhnlich sanfte Stimme überrascht mich. Ich blicke in die Richtung, die Ascan gemeint hat. Tatsächlich erblicke ich dort eine Tür. Allerdings muss ich so tun, als würde ich auf diese Entfernung und im Halbdunkel fast nichts sehen. Dylan muss uns noch unsere Brille bringen! Ouh, stimmt ja. *Dylan? Könntest du bitte-* Bevor ich meine Frage ausformulieren kann, antwortet mir Dylan schon: *Bin schon unterwegs Tal, mit Brille. Bin in vier Minuten und achtunddreissig Sekunden bei euch.*

Leise dringt Ascans Stimme zu mir durch: ,,Kann ich dich etwas fragen?" Nein. Ich bringe ein minimales Nicken zustande. Ascan lacht kurz peinlich berührt auf und fragt dann etwas zerknirscht: ,,Darf ich deinen Namen wissen?" Dieser Trottel weiss noch nicht mal deinen Namen? Okay, wir hauen so schnell wie nur möglich ab! Wenn ich nicht mit Ascan in einem Raum wäre, oder noch besser, weit entfernt von ihm wäre, hätte ich jetzt gelacht. Aber danach ist mir nun echt nicht zumute. Ich schweige erstmal. Stille herrscht im Raum. Hören kann ich nur sein unregelmässiges, schnelles Herzklopfen. Von Sekunde zu Sekunde wird er unruhiger.

Ich hingegen immer verwirrter und ängstlicher. Dann höre ich, wie er sich bewegt. Seine Schritte gehen auf die Tür zu. Dort angekommen dreht er sich noch einmal auf dem Absatz um und ich spüre seinen Blick auf mir. Ich schaue jedoch mit leeren Augen auf die Bettdecke. Ascan räuspert sich kurz, dann setzt er an: ,,Du musst ihn mir nicht sagen. Noch nicht. Ich suche schnell die alten Kleider von meiner Schwester." Er scheint keine Antwort meinerseits zu erwarten, denn er dreht sich um, und macht sich daran, aus dem Raum zu gehen. Sag ihm deinen Namen! Sieh ihn an, antworte ihm... tu doch irgendetwas!

Ich zögere kurz, doch dann steht meine Entscheidung fest. Ich werde ihm nicht antworten. Allgemein will ich nicht mit ihm reden. Ich weiss, umso mehr ich mit ihm rede, ihn ansehe oder was auch immer, wird die Zuneigung die Oberhand gewinnen. Und dies will ich verhindern. Ich werde noch heute fliehen, das steht fest. Und du Fog, bist hoffentlich auf meiner Seite! Ja, bin ich. Aber es ist verdammt schwer von ihm wegzukommen. Vor allem wenn er so nah ist. Aber er hat uns fast getötet, er hätte unserem Bruder fast etwas angetan! Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird er darauf kommen, dass ich kein Mensch bin.

Wenn er es nicht schon weiss. Als Mate nimmt er deinen Geruch wahr. Allerdings anders, als wenn du deinen Geruch nicht verdeckst. Heisst? Bedeutet, er nimmt die wölfische Seite nur schwach wahr. Und so, wie er bisher reagiert hat, weiss er es noch nicht. Ausserdem habe ich einen Plan, wie wir nachher türmen können. Nachher? Nachher. Sonst kommen wir nie mehr weg. Es tut weh, aber es muss sein. Du wirst ja noch richtig erwachsen! Ich weiss, aber schliesslich frisst in der Not auch der Teufel Fliegen. Alter Spruch, aber ja. Man kann es so ausdrücken. Was ist eigentlich dein Plan?

Verrate ich später. Dein Ernst jetzt? Ja. Und Ascan kommt wieder. Jaja. Die Tür öffnet sich und er kommt mit ein paar Kleidungsstücken auf dem Arm hinein. Die Tür lässt er offen. Ich fange wieder an zu spielen, um ihn nicht misstrauisch zu machen. Panisch blicke ich in seine Richtung, tue aber so, als könnte ich ihn nicht richtig erkennen. Er legt die Kleidung vor der Badezimmertür ab und will auf mich zukommen. Sofort weiche ich ängstlich vor ihm zurück. So gut es geht jedenfalls. Dann kauere ich mich möglichst klein zusammen.

Ascan bleibt stehen, dann fragt er mit leiser Stimme: ,,Trägst du eine Brille?" Ja, du Vollpfosten. Du hast mich bisher nur mit Brille gesehen. Bis ich sie nun mal Zuhause abgenommen habe. Ignoranter Idiot! Ich antworte ihm nicht, sondern kauere mich noch mehr zusammen. ,,Dein Cousin kommt gleich. Er wird sie dir bringen. Geh ruhig ins Bad, ich werde sie dir vor die Tür legen. So weit kannst du sehen, oder?" Ich nicke leicht, dann höre ich Dylan die Treppe zum Eingang hochkommen und dann Klingeln. Ascan dreht sich um, geht aus dem Zimmer und schliesst die Tür hinter sich.

Nun stehe ich schnell auf, schnappe mir die Kleidung und laufe ins Bad. Fast sofort entdecke ich den Schlüssel und beginne mit dem Versuch, die Tür abzuschliessen. Ich würde sagen, neuer Rekord! Jep. So schnell waren wir noch nie! Nun zu meinem Plan. Gibt es hier einen Medizinschrank? Warum einen Medizinschrank?! Das kann ja mal lustig werden. Ich blicke mich um. Das Bad ist sehr gross, grösser als mein Zimmer Zuhause. Zuhause... Was bedeutet das überhaupt? Diese Frage stellen wir uns ein anderes Mal. Such weiter! Ich unterdrücke einen Seufzer, dann schaue ich mich weiter um. Alles sieht sehr edel und teuer aus, sogar eine Eckbadewanne hat es. Und dann entdecke ich das Gesuchte. Den Medizinschrank.

The Night WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt