Kapitel 35

9.5K 365 21
                                    

Ich gehe einem schmalen Wald Pfad entlang. Alles ist still. Kein noch so kleines Geräusch dringt an meine sensiblen Ohren. Ich schlucke schwer. Es ist so dunkel, dass ich kaum meine eigene Hand sehen kann. Wo bin ich hier nur gelandet? Die Bäume um mich herum sind blätterlos. Jeder sieht anders aus, jeder scheint alt und schon bei jeder noch so kleinen Berührung zusammenzufallen. Ich setze meinen Weg fort, auch wenn ich nicht weiss, wohin dieser Weg führen wird. Auch wenn ich nicht die leiseste Ahnung habe, wo ich hinsollte und warum. Plötzlich vernehme ich ein leises Geräusch.

Es ist das Murmeln eines Baches. Ich beschleunige meine Schritte. Ich muss dorthin. Das Geräusch des Wassers wird immer lauter. Dann lichten sich die finsteren, beinahe schwarzen Bäume auf einmal. Ich trete auf eine baumlose Ebene. Der Himmel ist schwarz. Kein Stern, keine Wolke, kein Mond ist zu entdecken. Einfach nur pure Finsternis. Der Bach, den ich gehört habe, liegt nur etwa fünfzig Meter vor mir. Über dem Bach ist eine kleine, schmale Brücke. Dahinter ist nur Nebel. Ich steuere auf die Brücke zu. Etwas steht auf ihr. Etwas... Undefinierbares. Ich gehe noch etwas schneller.

Je näher ich jedoch an die Brücke komme, umso mehr spüre ich, wie sich eine Leere in mir ausbreitet. Abrupt halte ich inne. Dieses Gefühl ist merkwürdig und alles andere als gut. Doch ich muss weiter. Etwas drängt mich regelrecht dazu. Ich versuche, die Leere zu ignorieren und setze meinen Weg fort. Mein Körper kühlt immer mehr ab und auch mein inneres leert sich von all der Wärme. Dennoch gehe ich weiter. Ich bin nur noch wenige Meter von der Brücke entfernt. Der Nebel auf der Brücke formt sich langsam zu etwas zusammen. Aber auf einmal scheint sich alles zu drehen.

Der tote, blätterlose Wald, der Bach, die Brücke, der Nebel darauf und der dahinter verschwimmen zu einer merkwürdigen Masse. Dann ist alles weg und nur noch endlose Finsternis macht sich breit. Ich habe das Gefühl zu fallen, im Wissen, dass ich niemals aufkommen werde. Immer weiter. Bis ein leises Geräusch die endlose Finsternis und Stille durchbricht. ,,Talya!" Abrupt fahre ich auf. Allerdings war das wohl eine schlechte Reaktion, denn nun dreht sich alles. Panisch blicke ich mich um. Wo bin ich!? Alles scheint zu verschwommen. Mir ist eiskalt. Warum nur? Habe ich geträumt? Oder hatte gar eine Vision? Ich weiss es nicht mehr.

Ich kann mich nicht erinnern, an rein gar nichts. Auf einmal berührt mich etwas Warmes an meiner Schulter. Reflexartig zucke ich weg. Langsam wird meine Sicht schärfer. Ich bin in Ascans Zimmer. Er selbst sieht mich besorgt und verwirrt an. Sanft hebt er die Hand und streicht mir über die Wange, um mir ein paar Haarsträhnen zurückzukämmen. Er mustert mich kurz, bevor er besorgt nachfragt: ,,Ist alles in Ordnung? Hast du schlecht geträumt?" Ich zucke bloss die Schultern: ,,Ich weiss es nicht. Ich kann mich nicht mehr erinnern.“ Er nickt nachdenklich.

Nach ein paar Augenblicken sieht er mich wieder an und erklärt: ,,Ich würde dich heute gern dem Rudel bekanntgeben. Aber wenn es dir nicht gut geht, können wir es auch verschieben!" Ich winke ab und meine nur: ,,Mir geht es gut." Beruhigend lege ich ihm eine Hand auf den Arm. Er zuckt kurz zusammen. Ernst blickt er mich an und streitet meine Aussage ab: ,,Gut? Du macht gerade dem Inneren eines Eisschrankes Konkurrenz..." Ich fange bei diesem Vergleich an zu Lachen und antworte ihm: ,,Mir geht es gut, wirklich. Mir ist nur etwas kalt." Er sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und wiederholt kopfschüttelnd: ,,Etwas... der war gut."

Er mustert mich noch einmal, dann legt er seufzend einen Arm um mich, um mich an sich zu ziehen. Er ist unfassbar warm. Oder einfach heiss. So ist das nicht gemeint! Jaja, und die Mondwölfin frisst Bleistifte. Ta, der Typ hat nicht nur, wie viele Werwölfe, eine hohe Körpertemperatur. Er ist auch anders heiss, und dass weisst du genauso gut wie ich. Ich verdrehe innerlich die Augen. Fogs Seufzen ignorierend kuschle ich mich noch etwas mehr an Ascan. Seine Körpertemperatur ist echt hoch. Schön wie du das umschreibst, nur um nicht wieder in die gleiche Diskussion zu fallen.

The Night WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt