Kapitel 2

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Ungeduldig rutsche ich auf dem Sofa hin und her. Warum kommt er nur so spät? Plötzlich vernehme ich ein Schniefen, doch es kommt nicht von mir oder von sonst jemandem im Raum. Ich lege meine Stirn in Falten. Fog, bist du das?! Problem damit? Es sind schliesslich auch meine Eltern. Wir sind ja eine Person, schon vergessen? Ich hasse es, wenn du immer wieder in Gedanken zu dem abschweifst, dann werde ich auch immer an das erinnert. Dabei sollten wir doch an die schönen Momente denken und ihnen für die schöne Zeit dankbar sein, oder?

Okay... Jetzt bin ich baff. Bist du seit neustem Therapeutin, oder was?! Nein, ich bin einfach die Intelligentere von uns beiden. Schon vergessen, wir sind ein und dieselbe Person? Phh... Ich muss mir ein Grinsen verkneifen. Manchmal ist sie schon ziemlich unterhaltsam. Bin ich nicht. Und ich bin trotzdem Intelligenter. Wie du meinst. Ich verdrehe meine Augen und lausche weiter nach Dylan. Und wirklich, ich kann endlich leise Schritte vernehmen. Mit einer fliessenden Bewegung stehe ich auf und gehe langsam zur Haustür. Dylan und ich sind die Einzigen, die ich kenne, die so leise Schritte machen, dass man sie gerade noch mit dem Gehör eines Werwolfs hören kann.

Ich lehne mich an die Wand des Flurs und blicke den hereinkommenden Dylan mit strafendem Blick an. Ich frage mit leiser, aber drohender Stimme: ,,Wo warst du?!" Ich kann keinen Waldgeruch an ihm riechen, aber wo soll er sonst gewesen sein? Er grinst mich an: ,,Ich war an einem Ort?" Ich verdrehe gespielt genervt die Augen. Anstatt ihn dann weiter mit meinem drohenden Blick zu löchern, seufze ich auf und gehe zurück in das Wohnzimmer. Müde lasse ich mich auf das Sofa fallen und warte darauf, dass mir Dylan eine Erklärung liefert.

Man könnte eigentlich schon fast meinen, ich sei die Ältere und nicht er. Jedenfalls bin ich verantwortungsbewusster als er. Nur in wenigen Punkten ist er der klischeehafte, grosse Bruder. Nämlich wenn es darum geht, wenn ich in Gefahr kommen könnte oder bin, oder wenn mich ein Junge auch nur minimal interessiert mustert. Dann gibt es für Dylan fast kein Halten mehr. Jep, und das ist ziemlich nervig! Ja gut, manchmal schon. Aber eigentlich ist es ganz gut zu wissen, dass er wenigstens manchmal ein normaler Bruder ist. Ungeduldig schaue ich ihm zu, wie er sich ebenfalls ein Müsli macht und sich dann langsam auf das Sofa zubewegt.

Kann er nicht schneller laufen?! Das frage ich mich allerdings auch. Wie kann man nur so langsam gehen? Achtung, Achtung! Eine Schnecke überholt Dylan Clark! Dieses Tempo, ich kann es kaum fassen! Ich muss mir ein Lächeln verkneifen. Wie schon gesagt, manchmal ist Fog doch ganz lustig. Phh Find dich damit ab. Endlich hat Dylan sich gesetzt und stellt sein Müsli auf den Tisch. Dann dreht er seinen Kopf in meine Richtung und blickt mich unschuldig an: ,,Ich habe nichts schlimmes gemacht, nur dass das klar ist!" Ich starre ihn mit spöttischem Gesichtsausdruck an.

Ich seufze kurz auf, bevor ich mich dazu äussere: ,,Ach ja. Und weshalb warst du dann bis nach", ich werfe einen kurzen Blick auf die Uhr, die in der Küche hängt: ,,bis nach dreiundzwanzig Uhr weg?!" Er verdreht jedoch nur die Augen und lächelt mich schwach an: ,,Wir werden wieder umziehen. Ich habe eine bessere Gegend gefunden, auch für meine Arbeit als Arzt. Und ein schönes Haus mit kleinem Garten am Rand des Dorfes. Es ist dort nicht besonders gross. Nur etwa um die 4500 Einwohner. Ich werde in der Nachbarstadt arbeiten."

Ich nicke kurz. Wir sind schon so oft umgezogen, dass ich es nicht mehr zähle. Das wievielte Mal werden wir umziehen? Ich glaube es ist etwa das zehnte Mal oder so. Könnte sein. Zehnmal in vier Jahren ist nicht gerade wenig. Ich blicke ihn fragend an: ,,Wann?" Er runzelt kurz nachdenklich die Stirn. Dann antwortet er mir: ,,Wir werden morgen packen. Und dann fahren wir auch gleich am Nachmittag los. Ich habe heute alles abgeklärt." Ich nicke wieder. Das heisst, ich werde mitten im Schuljahr dazukommen, da es ja schon anfangs Herbst ist. Ich hoffe einfach, dass ich nicht allzu viel Aufmerksamkeit errege.

Träum weiter, wenn wir fast mitten im Jahr kommen, werden wir die Neue sein. Überhaupt nicht auffällig oder so. Ich verdrehe innerlich die Augen und widerspreche ihr. Wir kommen nicht mitten im Jahr, es ist immer noch relativ am Anfang des Schuljahres. Wir müssen uns einfach nur menschlich verhalten. Jaja, schon gut. Langsam stehe ich auf und mache mich auf den Weg in mein Zimmer. Ich lege mich auf mein Bett und richte meinen Blick auf die Decke. Dieses Zimmer ist nicht besonders gross, wie unsere ganze Wohnung. Zwar könnten wir uns von dem Geld unserer verstorbenen Eltern auch deutlich teurere Wohnungen oder Häuser leisten, doch wir wollen schliesslich nicht auffallen.

Wenn jemand fragt, wo unsere Eltern sind, sagen wir immer, sie seien auf Geschäftsreisen. Seufzend schliesse ich kurz meine Augen. Ich atme einmal tief durch und zwinge mich dazu, die Augen zu öffnen und aufzustehen. Mit müden Beinen laufe ich zu meinem kleinen Schrank und hole mir meine Schlafsachen, heraus, um mich umzuziehen. Schliesslich lasse ich mich müde ins Bett fallen. Schlaf gut. Du auch Fog. Endlich einmal eine Zeit am Tag, an der wir uns vertragen. Halt die Klappe, ich will schlafen. Diese innere Wölfin ist manchmal echt unmöglich. Nein, ich bin jedenfalls erträglicher als du! Wir sind immer noch eine Person. Jaja, ist gut. Wir sollten jetzt schlafen. Ich schliesse müde meine Augen und bin auch schon bald eingeschlafen.

Wie immer am Morgen, wache ich früh auf. Ich werfe einen Blick zum Fenster. Die Sonne ist noch nicht richtig aufgegangen. Ich drehe mich stöhnend auf den Bauch, um mit dem Arm an meinen Nachttisch zu gelangen, auf dem mein Handy liegt. Mit noch etwas müden Augen starre ich auf das Display. Es ist gerade mal 6.57 Uhr. Da ich aber leider nicht länger schlafen kann und jetzt sowieso schon fast wach bin, beschliesse ich, zum Fenster zu gehen. Guten Morgen! Sei leise! Ich schlurfe etwas müde zum Fenster und blicke hinaus. Da das Fenster immer geöffnet ist, kann ich immer die wenigen Vögel, die in der Stadt leben, hören. Ansonsten ist es ruhig, und ich liebe diese Ruhe. Vor allem wenn sie Fog nicht zerstört. Immer bin ich schuld. Du bist ja auch nie ruhig, also

Ich ignoriere Fogs Gemecker und blicke verträumt aus dem Fenster. Der Himmel ist voller Wolken, die sich bereits orange verfärben. Ich sehe die Dächer der anderen Häuser in das morgendliche Licht getaucht. Ich liebe den Sonnenaufgang sehr. Es ist die einzige Zeit des Tages, wo ich wirklich entspannt bin. Die einzige Zeit, wo ich meine düsteren Gedanken mal vergessen kann. Fasziniert betrachte ich den Himmel, der von Minute zu Minute heller wird. Doch ich bleibe so lange am Fenster stehen, bis überhaupt kein Morgenrot mehr zu sehen gibt. Dann stosse ich mich seufzend vom Fensterbrett ab und drehe mich um.

Langsam nehme ich mir ein paar Sachen, die ich gleich anziehen werde. Danach schleiche ich zum kleinen Badezimmer und schnappe mir ein Badetuch. Ich versuche leise zu sein, denn mein Bruder schläft immer etwas länger als ich. Auch er ist kein Langschläfer, doch bis um acht schläft er bestimmt. Ich ziehe mich aus und gehe unter die Dusche. Ich geniesse das kühle Wasser auf meiner Haut und schliesse kurz die Augen. Nachdem ich mit dem Duschen fertig bin, ziehe ich mir meine mitgenommenen Kleider an und mache mich wieder auf den Weg in mein Zimmer.

Ich hole meinen Koffer vom Schrank herunter und stelle ihn auf mein Bett. Ich öffne ihn und richte meine Aufmerksamkeit dann darauf, dass ich alles sorgfältig einpacke. Also unser sorgfältig. Ich kann mir Fogs grinsen regelrecht vorstellen. Nun, wir sind vielleicht etwas chaotisch, aber wenigstens haben wir immer alles dabei! Das stimmt auch wieder. Jedenfalls wenn es ums Umziehen geht. Nach einer halben Stunde habe ich alles eingepackt. Mein Zimmer, das zuvor schon ziemlich kahl gewirkt hatte, hat nun etwas ziemlich Abstossendes. Es ist so leer. Die Hauptfarben sind grau und weiss, kein Wunder also, dass es so aussieht. Ich suche noch einmal das ganze Zimmer ab, ob ich etwas vergessen habe. Dann begebe ich mich in die Küche, um schon mal das Frühstück zu machen.

The Night WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt