Nur Millisekunden darauf steht ein bebender Ascan in der Tür. Seine Augen leuchten gefährlich, wahrscheinlich ist er im Moment mehr Wolf als Mensch. Mit zusammengezogenen Augenbrauen blicke ich ihn an. Bevor ich das Wort ergreifen kann, brüllt er schon fast: ,,Tu das nie wieder!" Etwas verwirrt schaue ich ihn an. Was meint er? Er scheint zu begreifen, dass ich nicht ganz begreife, was er meint, denn er fährt fort: ,,Einfach so verschwinden, ohne irgendetwas zu sagen! Und dann noch so angezogen!" Perplex sehe ich an mir hinunter. Was könnte er meinen? Die Shorts und das relativ leichte Shirt du Vollpfosten! Oh. Könnte sein, dass er diese meint.
Bevor ich etwas erwidern kann, fällt Ascans Blick auf den Koffer. Mit fragendem Blick sieht er zwischen dem Koffer und mir hin und her: ,,Warum packst du? Du wolltest doch nicht schon wieder abhauen?!" Ich verdrehe nur die Augen und erwidere möglichst gelassen: ,,Nein, ich wollte nicht abhauen. Ich habe gepackt, da ich wahrscheinlich bei dir bleiben muss, richtig?" Etwas perplex starrt er mich an. Etwas? Er sieht gerade aus, als hätten wir uns in ein tanzendes Einhorn in knalligen Regenbogenfarben verwandelt hätten! Das könnte hinkommen. Bei dieser Vorstellung versuche ich das Lachen zu unterdrücken, was mir glücklicherweise auch gelingt.
Nach ein paar, seinerseits verwirrten, Augenblicken, räuspert er sich und erwidert: ,,Nun, wenn du dich so gar nicht damit hättest abfinden können, hätten wir das auch irgendwie anders lösen können. Allerdings ist das tatsächlich der einfachste und auch beste Weg, wie ich finde." Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Aber er ist definitiv toll, nicht wahr? Keine Ahnung. Um das beurteilen zu können, kenne ich ihn noch nicht lange genug. Wie du meinst. Ich wende meinen Blick von ihm ab und sehe zu meinem Koffer. Kurz frage ich mich, ob ich noch etwas vergessen habe. Nein, hast du nicht.
Ich bin tatsächlich stolz auf dich. Ist das traurig, dass ich wegen so etwas auf dich stolz sein kann?! Nein, es gibt noch viele andere, die auch so sind. Hoffe ich zumindest. Auf einmal höre ich Ascan fragen: ,,Hast du alles schon fertig gepackt?" Ich nicke leicht und hebe meinen Blick, um ihm in die Augen zu sehen. Schöne Augen. Sehr schöne Augen. Ja, wir haben es alle verstanden, dass du Hals über Kopf in einen fasst Fremden verschossen bist, der Dylan und uns vor wenigen Tagen beinahe umgebracht hätte. Aber er ist unser Mate! Ja, das habe ich mittlerweile leider auch gemerkt...
Wieder reisst Ascan mich aus meinen Gedanken: ,,Soll ich dir den Koffer tragen?" Ich schüttle den Kopf und lächle kurz dankend: ,,Wirklich nett, aber es geht schon. Danke für das Angebot." Ascan zieht die Augenbrauen etwas hoch und antwortet schulterzuckend: ,,Egal. Ich tu es trotzdem." Bevor ich auch nur blinzeln konnte, hat er sich den Koffer geschnappt, ihn richtig geschlossen und steh wieder vor mir. Mit zusammengezogenen Augenrauen schaue ich ihn an und meine etwas perplex: ,,Das musst du echt nicht..." Ich versuche nach dem Koffer zu greifen, doch Ascan hält ihn zu schnell aus meiner Reichweite. Ich seufze leise und gebe resigniert auf.
Ich blicke kurz zu ihm hoch und bedanke mich: ,,Na, wenn das so ist... Dankeschön." Eilig gehe ich an ihm vorbei und renne schon fast die Treppe hinunter. Unten ziehe ich meine Schuhe an und gehe dann zur Haustür. Fieberhaft denke ich darüber nach, wo ich den Schlüssel haben könnte. Oben auf der Kommode? Auf dem Bett? Im Koffer? Keine Ahnung, wo er sein könnte. Ich werfe Ascan rasch einen entschuldigenden Blick zu und sage kurz: ,,Ich hole noch schnell den Schlüssel. Als ich die Treppe schon halb hochgerannt bin, höre ich plötzlich Ascan belustigt sagen: ,,Du hast ihn in der Hand!"
Ich erstarre regelrecht auf der Treppe und sehe dann langsam auf meine Hände. Verdammt, ich hatte ihn wirklich die ganze Zeit in der Hand! Das ist jetzt peinlich... Ich fluche laut auf und laufe die Treppe wieder hinunter. Im Verbeigehen versuche ich das belustigte Grinsen von Ascan nicht zu beachten. Als wir dann beide aus dem Haus heraus sind, schliesse ich schnell ab. Die Betonung liegt auf schnell. Sogar ein Maulwurf könnte besser Türen auf und abschliessen als du... Halt doch einfach die Klappe! Anschliessend hebe ich mühsam den Topf hoch. Ascan hat den Koffer kurz abgestellt und hilft mir.
Als wäre der grosse Topf leichter als eine Feder, hebt er ihn an und ich lasse den Schlüssel darunter fallen, ehe Ascan den Topf wieder langsam hinablässt. Kein dummer Spruch. Keine herablassenden oder kränkenden Worte. Nur diese wirklich zuvorkommende und nette Geste. Den habe ich doch gut erzogen, oder? Bist du seine Mutter oder was?! Oh Gott, hör auf! Heilige Mondgöttin, einfach nein. Dann benimm dich. Bin ich jetzt dein Hund oder was? So wie du andere behandelst, wirst du ebenso behandelt. Das kennst du doch bestimmt. Ist ja schon gut. Na also, geht doch. Ich nicke Ascan dankend zu.
Dann machen wir uns wortlos auf den Weg zurück zu seinem Haus. Seiner Villa. Sei bitte ruhig. Ich hätte lieber so ein Haus, wie es hinter uns steht! Ich weiss, ich weiss. Meinst du wirklich, es ist klug, wenn wir bei ihm bleiben? Natürlich! Warum denn eigentlich? Ich verstehe das alles nicht so ganz... Erstmal ist er unser Mate. Wir würden ohne ihn zugrunde gehen. Zusammen sind wir stärker. Das spürst du doch auch, oder nicht? Ich weiss nicht. Als wir abgehauen sind, ging es doch auch! Ach ja? Du warst zu kaum etwas fähig, weil der Schmerz so ausgeprägt war. Ausserdem warst du es doch erst, die ihn nicht vergessen konnte.
Aber dann warst du die, die mich dazu brachte ihn zu vergessen! Weil ich ebenfalls dachte, dass es die einzige Möglichkeit ist. Aber als Dylan dann bei uns war... Ich merkte, dass es keine wirkliche Möglichkeit ist. Bei Ascans Rudel und ihm zu bleiben, ist die einzige Variante, in der am Meisten geschützt sind. Denn wie du vielleicht bemerkt hast, stehen zumindest das ehemalige Alphapaar und auch dein Mate, der derzeitige Alpha hinter dir! Du hast ja recht... aber bei der Mondgöttin, musst du mich daran erinnern, dass wir Luna des Rudels sein werden?! Ja, tut mir leid. Wir müssen bald unser Amt übernehmen, das weisst du?
Ja leider. Ich unterdrücke einen leichten Seufzer. Ich und Luna? Das konnte ja nur schiefgehen! Ich reisse mich selber aus meinen Gedanken, da ich realisiere, dass Ascan mich merkwürdig anschaut. Ich blicke ihn fragend an. Doch statt seine Gedanken zu äussern, geht er nur stumm weiter, mich immer im Auge behaltend. Verwirrt laufe ich neben ihm her. Auch als wir schon die Hälfte des Weges hinter uns haben, weiss ich noch immer nicht, was das sollte. An was er wohl denkt? Keine Ahnung. Dich habe ich nicht gefragt. Ich versuche, seine Gefühlswelt zu spüren. Doch es sind zu viele, viel zu viele Gefühle seinerseits.
Ich konzentriere mich wieder auf den kaum sichtbaren Pfad, den wir entlanglaufen. Die Nachmittagssonne bricht vereinzelt durch das dichte Geäst der Bäume. Einzelne Vögel zwitschern ihr ganz eigenes Lied. Kurz schliesse ich die Augen und geniesse einfach den Gesang der Vögel und das leichte Rascheln der Blätter. Auf einmal fragt Ascan leise: ,,Hast du Angst vor mir?" Abrupt bleibe ich stehe und sehe ihn mit einem undefinierbaren Blick an. Habe ich Angst vor ihm? Ja und nein. Einerseits hatte er Dylan und mich fast getötet, andererseits ist er mein Mate. Ich sollte mich gar nicht vor ihm fürchten können!
Ascan ist auch stehen geblieben und sieht mich nun einfach an. Was sollte ich ihm sagen? Die Wahrheit. Immer die Wahrheit. Ich unterdrücke einen leisen Schluchzer. Das sagte mein Vater immer, ebenso meine Mutter. Mit etwas rauer Stimme erwidere ich: ,,Ja und nein. Ich weiss, dass es eigentlich unmöglich ist, aber dennoch ist es manchmal so. Er nickt abwesend. Ob er mir glaubt? Bevor ich noch irgendetwas sagen kann, sieht er weg und meint nur: ,,Wir sollten den Weg fortsetzen." Ohne auf meine Antwort zu warten, geht er wieder los und ich folge ihm verwirrt und in Gedanken versunken.

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The Night Wolf
WerewolfTalya (16) ist anders als andere. Sie ist eine Werwölfin. Doch sie gehört keinem Rudel an. Sie versteckt, zusammen mit ihrem Bruder, ihre Identität als Werwolf vor anderen ihrer Art. Doch als sie umziehen, trifft sie auf ihren Mate und alles ändert...