Entgeistert blicken mich sämtliche Leute im Café an. Ich sehe, wie Dylan seine Mate an der Hand nimmt und mit ihr losrennt. Gespielt entsetzt schlage ich mir die Hand vor den Mund. Doch am entgeistertsten schaut mich der furchteinflössende Typ an, der, wie die die meisten Werwölfe, glatt eine Modelkarriere hinlegen könnte. Das rosane Getränk tropft von seinem Kinn und der grösste Teil seines Shirts ist ebenfalls etwas verfärbt. Er tut mir sogar ein bisschen leid. Dieser Volltrottel wollte unserem Bruder etwas antun, das hat er verdient! Da bin ich mir auch sicher. Du solltest dich vielleicht mal auf deine Umwelt konzentrieren, ich glaube der Typ rastet gleich aus.
Ich blicke wieder zu dem Typ. Sein Atem ist gefährlich schnell geworden und seine Hände ballen sich zu Fäusten. Gleichmütig entschuldige ich mich: ,,Sorry, ich habe dich nicht gesehen." Ich glaube, er bringt uns gleich um. Ich glaube auch. Aber gut, wenn so viele Leute dabei sind, wird er sich wohl oder über zurückhalten müssen. In seinen ungewöhnlich hellblauen Augen, die fast silbern wirken, erscheint ein gefährliches Funkeln. Du hast übrigens Zuschauer. Tatsächlich ist es im Café totenstill geworden. Die Gäste blicken dem Geschehen ängstlich zu. Sie scheinen zu fürchten, was als nächstes kommt.
Der Typ packt mich am Handgelenk und zerrt mich nach draussen, in eine Seitengasse. Ich versuche vergeblich, mich zu wehren und zu befreien. Die Stelle, wo er mich gepackt hat, schmerzt bereits sehr. In der dunklen Seitenstrasse drückt er mich an die Wand. Wütend fragt er mich: ,,Was sollte das?!" Seine tiefe, kalte Stimme lässt mich vor Angst zittern. Er verstärkt seinen Griff noch mehr und ich wimmere auf. Die Schmerzen sind unerträglich geworden und ich versuche mich aus seinem Griff zu winden. Doch es gibt keine Hoffnung für mich, um loszukommen. Er ist leider zu stark. Benutz doch unseren Lieblingstrick 12. Stimmt, den habe ich fast vergessen!
Ich blicke ihn noch einmal kurz an, dann knalle ich ihm mein Knie zwischen die Beine. Er jault vor Schmerz auf und geht zu Boden. Ich hatte noch versucht, es nicht mit meiner ganzen Kraft zu tun, damit ich noch menschlich wirke. Ich gehe mit eiligen Schritten aus der Gasse. Ich werfe noch einen letzten Blick zurück. Noch immer windet er sich vor Schmerzen am Boden. Dann drehe ich mich um und trete den Heimweg an. Das hast du toll gemacht! Ich glaube aber, wenn wir ihn das nächste Mal sehen, wird das nicht besonders gut enden. Ich grinse kurz gehässig. Er ist selber schuld daran. Und wir kennen jetzt seinen Geruch, und da unserer nicht wahrnehmbar ist, sind wir klar im Vorteil!
Unser Geruch ist schon wahrnehmbar, aber nicht für normale Werwölfe. Nur für solche wie wir und unser Mate ist unser Geruch leicht wahrnehmbar. Woher willst du das bitte wissen?! Instinkt vielleicht. Keine Ahnung. Ich verdrehe innerlich die Augen. Doch ich vertraue Fog, denn wenn sie mal etwas Ernstes sagt, stimmt es eigentlich immer. Na danke. Willst du damit etwa sagen, dass ich die meiste Zeit nur Unsinn rede? Ja, tu ich. Danke. Ich finde zwar alles was ich sage, äusserst relevant und angebracht, aber ich will jetzt nicht streiten. Aha. Mal was Neues. Seit wann so verhandelfreudig?
Bevor wir uns erneut streiten können, höre ich plötzlich Dylans Stimme in meinem Kopf. *Alles in Ordnung? Jalina und ich sind vor Angst um dich fast gestorben!* Etwas verwirrt denke ich über seine Worte nach. Stimmt, warum waren noch mal alle so verängstigt gewesen? Keine Ahnung, fragen wir die Beiden nachher doch einfach. *Ich bin in ein paar Minuten da.* antworte ich ihm und beschleunige meine Schritte noch etwas. Ich kann bereits unser Haus erkennen. *Gut, beeil dich bitte!* Ich bekomme langsam fast Angst. Was ist bloss passiert, dass alle so in Panik geraten? Klar, der Typ ist furchteinflössend, aber gleich in Panik verfallen?
Endlich komme ich bei der Haustür an und trete kurzerhand ein. Fast sofort stürzt sich Dylan auf mich und untersucht mich. ,,Hat er dich verletzt? Ist alles in Ordnung?! Bei der Mondgöttin, hatte ich Angst um dich!" Verwirrt antworte ich ihm: ,,Was sollte denn passiert sein? Warum habt ihr so Panik?!" Dylan und Jalina atmen erleichtert aus. Ich verschränke meine Arme vor der Brust und mustere die Beiden ärgerlich: ,,Könnt ihr mir das Ganze bitte mal erklären?!" Sie nicken zögerlich und Dylan gibt mir ein Zeichen, das ich ihm folgen soll. Na toll. Unser erstes Gespräch mit seiner Mate wird eine Krisensitzung.
Scheint so Fog. Doch ich folge ihnen in das kleine Wohnzimmer und setze mich auf das Sofa, das ihnen gegenüber steht. Nachdem wir uns alle gesetzt haben, wirft Dylan seiner Mate einen Blick zu der wohl bedeuten sollte, dass sie mir alles schildern soll. Sie räuspert sich kurz: ,,Also, erstmal möchte ich mich dir vorstellen. Ich weiss dass du seine Cousine bist und du keine Werwölfin bist, aber gut davon Bescheid weisst. Ich bin Jalina und bin dreissig Jahre alt, also zwei Jahre jünger als dein Cousin." Sie unterbricht sich kurz und sie wirft ihm einen verliebten Blick zu. Dylan hat sie sowieso die ganze Zeit verträumt angestarrt.
Ich muss mir wirklich ein Lachen verkneifen. Awww! Die sind so niedlich! Ich will auch endlich meinen Mate! Nein! Und hör endlich auf mit diesem Mate Zeug. Es ist besser so, glaub mir. Es würde ihn nur in Gefahr bringen. Aber... Klappe. Es ist besser so und fertig. Ich will nichts hören. Nichts! Was meinst du damit? Du hast gesagt, du willst nichts hören, nicht ich. Du musst dich schon klar ausdrücken. Klappe jetzt. Sie fängt an zu erklären. Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf Jalina: ,,Jedenfalls ist der Junge im Café mein Zukünftiger Alpha und mein Cousin mütterlicherseits. Sein Name ist Ascan.
Er ist eine Beschützernatur, also ist er erstmal ausgerastet, als er Dylan und mich gesehen hat. Ich will gar nicht wissen, was er mit Dylan angestellt hätte. Er ist inzwischen wahrscheinlich schon stärker als sein Vater. Aber er hat eben noch keine Mate und ausserdem muss er erstmal mit seinem Temperament umgehen können und etwas reifer werden. Das hat jedenfalls sein Vater gesagt, der jetzige Alpha. Und fast alle Im Café waren Werwölfe aus meinem Rudel und so wissen sie, zu was er fähig ist. Glaub mir, er hat schon oft genug von seinen Eltern Hausarrest und Bestrafungen bekommen, weil er jemanden angegriffen hat.
Er ist eher ein Einzelgänger und redet eigentlich nur mit seiner Familie und seinem zukünftigen Beta, der sein bester und einziger Freund ist. Natürlich ist er im Rudel ziemlich fair. Aber sobald auch nur irgendjemand seine Stellung infrage stellt oder ihn blossstellt rastet er gleich aus. Bevor er Alpha wird muss er das noch verbessern, sonst wird das nicht gut enden. Ich glaube, das ist alles, was du wissen musst." Ich nicke nur nachdenklich. Bei dem blossen Gedanken an Ascan bekomme ich schon Angst und meine Handgelenke pochen vor Schmerz. Doch ich lasse mir nichts anmerken.
,,Talya? Talya!" Dylan wedelt mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum. Blitzschnell richte ich mich auf und blicke ihn etwas ratlos an: ,,Was ist?" Er mustert mich besorgt, doch dann sagt er: ,,Ich werde jetzt mit Jalina in ihr Rudel fahren, um das Aphapaar zu bitten, ob ich dem Rudel beitreten darf. Ist das in Ordnung für dich?" Ich nicke kurz, lächle die beiden an und wünsche Dylan viel Glück. Dann sehe ich ihnen nach, wie sie losfahren. Kaum sind sie weg, drehe ich mich seufzend um und ziehe die Tür hinter mir zu. Sie sind so niedlich oder?!
Ich kann ihr nur zustimmen. Wie sie sich die ganze Zeit verliebt angeschaut haben. Doch wir dürfen so etwas nicht erleben. Es wäre eine zu grosse Gefahr für unseren Mate. Im besten Fall werden wir ihn nie finden. Plötzlich fällt mir siedend heiss ein, dass ich morgen ja Schule habe. Ich werfe einen Blick aus dem kleinen Fenster auf der Treppe. Draussen steht die Sonne bereits tief, wahrscheinlich würde in einer halben Stunde die Sonne untergehen. Ich laufe ins Wohnzimmer zurück und suche alles nach meinen neuen Schulsachen ab.
Tatsächlich finde ich nach einiger Zeit der Suche eine Tüte voller Bücher und Hefter. Ich nehme sie an mich und gehe in mein Zimmer zurück. Dort angekommen, blicke ich schnell nach draussen. Der Sternenhimmel ist nun klar erkennbar. Ich seufze auf. Tia, so ist das halt. Wir sind halt super Sucher. Dafür aber schlechte Finder. Ich grinse leicht wegen Fogs Spruch, da der genau auf uns zutrifft. Schnell mache ich mich bettfertig und lege mich schlafen. Ich kann nur hoffen, dass ich morgen nicht zu sehr auffalle. Träum weiter. Gute Idee. Schlaf gut. Du auch. Und schon nach kurzer Zeit bin ich auch schon eingeschlafen.

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The Night Wolf
WerewolfTalya (16) ist anders als andere. Sie ist eine Werwölfin. Doch sie gehört keinem Rudel an. Sie versteckt, zusammen mit ihrem Bruder, ihre Identität als Werwolf vor anderen ihrer Art. Doch als sie umziehen, trifft sie auf ihren Mate und alles ändert...