Kapitel 70

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Ashleys Sicht:

Es war mir mal wieder gelungen, Kimi reinzulegen. Ohne, dass es jetzt arrogant rüber kommt. Aber ein wenig stolz war ich schon auf mich, wie ich das hinbekommen hatte. Manchmal half es, schauspielerisches Talent zu haben. Und auch das Training, seinen Puls unter Kontrolle zu bekommen, war anscheinend gar nicht so unnötig gewesen. Ich hätte echt nicht geglaubt, dass der Quatsch mal zu was nützlich sein könnte.
Beleidigt sah Kimi mich an. Ergeben seufzte ich. Ihrem Blick konnte man einfach nicht widerstehen. Ich stand auf und ging in die Küche, wo ich einen Smoothie machte und noch ein paar Knabbersachen auf ein Tablett stellte. Dann ging ich wieder raus zu Kimi, die sich gerade in ihr Handtuch wickelte. Ich nahm noch mein Handtuch von der Terrasse mit und ging dann zu den Bäumen am anderen Ende des Gartens. Dort breitete ich das Handtuch unter einem der Bäume aus und stellte das Tablett daneben.
Ich machte es mir bequem und sah zu Kimi. Sie kam wie geplant her. Barfuß lief sie über die kühle Wiese. Bei ihr sah es aus, als würde sie schweben. Ihre Bewegungen waren geschmeidig und fließend.
Jede ihrer Bewegungen beobachtete ich genauestens, damit ich sie mir gut einprägen konnte. Vorsichtig setzte sie sich neben mich. Ich gab ihr einen Smoothie und stellte die Knabbereien vor uns. Sie lehnte sich an meiner Schulter an und schlürfte genüßlich vor sich hin, während sie die Wolken beobachtete.

Kimis Sicht:
Als ich so da lag und die Wolken beobachtete, kamen schmerzliche Erinnerungen an früher hoch. „Alles okay?“, fragte Ash, als könnte er Gedanken lesen. „Ich denk grad nach“, sagte ich verträumt. „Über was?“ „Meinen Vater.“ Als ich diese zwei Wörter aussprach, spannte sich Ash sofort an. „Früher“, begann ich zu erzählen, „als ich noch so richtig klein war, hab ich mich immer mit meinem Vater in den Garten gesetzt. Tagsüber haben wir Wolken beobachtet und nachts die Sterne. Mein Vater hat damals oft gearbeitet. Meine Mutter fand das gar nicht gut. Irgendwann ist sie dann von einem anderen schwanger geworden. Mom und Dad haben sich bis in die Nacht gestritten. Am nächsten Tag lag Mom verheult auf der Couch und Dad war weg. Er hat sich nie mehr gemeldet und ich weiß bis heute so gut wie nichts über ihn. Das einzige, was mich an ihn erinnert, sind die Fotos, die ich vor Mom gerettet hab.“ Traurig sah ich zu Ash hoch. Er starrte geradeaus, sein Kiefer war angespannt und seine Augen zusammengekniffen. „Hey Ash?“, fragte ich. „Ehm … Ja … sorry… ich war in Gedanken.“ „Soll ich was kochen? Ich bekomm nämlich langsam Hunger“, versuchte ich die angespannte Stimmung aufzulösen. Eigentlich hatte ich gar keinen Hunger, aber ich wollte hier jetzt auch nicht nur rum sitzen.
„Du hast gar keinen Hunger, stimmt‘s?“, fragte mich Ash. Etwas eingeschüchtert von seinem Blick nickte ich zaghaft. „Ich glaub, ich lass dir erstmal Freiraum. Du hast das ganze Haus für dich. Schau dich einfach um. Wir haben Bücher ohne Ende, falls du lesen willst. Aber versuch den Keller zu meiden, wenn du nicht wissen willst, wie Jasons Socken riechen.“ Ich musste grinsen, doch Ash blieb ernst. „Was machst du?“, fragte ich interessiert. „Ich werde ein bisschen Dampf ablassen.“ Mit diesen Worten stand er auf und ging ins Haus. Geschmeidig wie ein Panther wanderte er über die Steine zur Terrasse. Seine Rückenmuskeln waren angespannt, und auch so war er verkrampfter als sonst. Sein Gang nicht lässig und cool, sondern eher wie ein Raubtier, das auf seine Beute zusteuert.
Gerade war mal wieder so ein Augenblick, in dem ich nicht verstand, was mit ihm los war. Wieso war er so verspannt geworden?
„Oh, Shit“, flüsterte ich, als es mir einfiel. Thema Vater. Falsche Ecke in seinem Gedankenchaos. Seufzend lehnte ich mich am Baum an und beobachtete wieder die Wolken. Flauschige Wolken. Weiße Wolken.

Perfekter Cut würde ich mal sagen.

Gut kann auch böse...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt