Kapitel 10

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Endlich waren wir daheim angekommen. Es war bereits dunkel, logisch es war ja auch ein Uhr nachts.

Ashley parkte vor dem Haus, und ich rannte sofort meiner Mutter entgegen, die schon an der Haustür wartete, ich umarmte sie so fest wie ich konnte. Meine Knochen taten immer noch ein wenig weh.

„Ich bin so froh, dass du wieder hier bist“, seufzte sie in mein Ohr. „Ich auch“, flüsterte ich und drückte sie noch ein wenig fester. Dann kam Ashley zu uns: „Frau Cleroyl, ich muss mit ihnen noch etwas besprechen.“ Meine Mutter löste sich aus unserer Umarmung und sah ihn verwirrt an. „Weshalb?“, fragte sie. Ashleys Blick bedeutet ihr, dass es um mich ging.

„Schatz, lässt du uns bitte mal allein?“ „Ja, wie geht es Linsey eigentlich?“ „Gut, sie ist im Wohnzimmer, ihre Eltern holen sie in einer viertel Stunde ab.“ Schnell rannte ich hinein, um nach Linsey zu sehen. „Na endlich, Kimi, wie geht’s dir?“ „Gut, ich hab zwar noch wackelige Knie, aber ansonsten passt alles.“ „Na Gott sei Dank. Wo ist deine Mutter?“ „Sie redet grad mit Ashley.“ Gerade als ich diesen Satz ausgesprochen hatte, hörte ich meine Mum aufschluchzen. Hoffentlich war alles okay.

10 Minuten später kam sie mit Ashley zu Tür rein, hektisch wischte sie sich eine Träne von der Wange. „Was ist los, Mum?“ fragte ich, doch sie drehte sich um und rannte ins Badezimmer. Wahrscheinlich wollte sie vor mir nicht so schwach aussehen und schämte sich für ihre Tränen.

Da klingelte es an der Haustür. „Das sind bestimmt meine Eltern. Also dann Kimi, bis morgen.“ Linsey winkte mir noch zu und verschwand dann aus der Tür. „Also was ist los? Warum weint meine Mum?“, fragte ich jetzt Ashley, der bis eben nur in der Ecke gestanden und gewartet hatte.

„Sie verkraftet es nicht.“ „Sie verkraftet was nicht?“, fragte ich wütend. „Dass du ab diesem Zeitpunkt im Visier meiner Feinde bist.“ „Ja und? Ich versteh es immer noch nicht.“ „Es kann sein, dass Feinde von mir dich töten oder verletzten wollen, nur damit ich Stress bekomme.“ „Warum solltest du Stress bekommen, kann dir doch eigentlich egal sein was mit mir passiert“, antwortete ich patzig.

Ich mochte ihn nicht, erst rettet er mich, dann verschweigt er mir dauernd etwas und jetzt kann er mir noch nicht mal die einfachsten Fragen beantworten.

„Kimi, jetzt werd nicht frech. Paolo müsstest du ja kennen, oder?“ Ich nickte, ohne ihn anzuschauen. „Gut, denn er wird dich ab jetzt jeden Tag von der Schule abholen und hinbringen. Außerdem bekommst du von einem Freund von mir dreimal in der Woche gezeigt, wie du dich wehren kannst. Und die Kennzeichen von den anderen Gangs musst du auch lernen. Paolo wird dich überall hinbringen und abholen. Wenn du was brauchst, sag es ihm. Und wundere dich nicht, wenn jemand auf der Parkbank vor eurem Haus rumlungert, das ist dann ebenfalls einer meiner Männer.“  

Als er fertig mit Erklären war und ich nur noch mit offenem Mund auf der Couch saß, kam meine Mutter rein. Ein kurzer Blickwechsel zwischen Ashley und Mum reichte anscheinend, denn er nickte ihr nur noch kurz zu, zog sich seine Kapuze ins Gesicht und verschwand.

Traurig sah sie mich an. Ich verstand die Welt nicht mehr. „Ich melde dich für morgen in der Schule krank“, flüsterte sie leise und zaghaft. Ich hatte so ein Gefühl, dass sie über Ashleys Plan mehr wusste als ich, doch ich wollte sie jetzt nicht noch trauriger machen, als sie eh schon war. Auf dem Weg hoch in mein Zimmer schaute ich noch schnell bei Beth hinein, doch sie schlief bereits tief und fest.

Ich zog mich um und legte mich ins Bett. Doch an Schlafen war gerade noch nicht zu denken. Ich musste an Ashley denken, eigentlich war er ja wirklich attraktiv mit seinen herausstehenden Wangenknochen, den pechschwarzen, zerzausten Haaren  und den strahlend blauen Augen. Und doch war sein Charakter seltsam. Im einen Moment ist er total nett und fürsorglich und im anderen Moment war er hart, ließ niemanden an sich ran und versteckte sich hinter seiner nahezu perfekten Fassade.

Warum war er so geworden? Warum wollte er niemanden wirklich  an sich ran lassen? Und was war mit seiner Mutter? Er hatte sie bisher noch nie erwähnt.
Wie würde es jetzt weitergehen? Es wird ja nicht mein ganzes Leben lang einer von seinen Männern auf mich aufpassen können.

Noch lange kreisten die Gedanken über Ashley in meinem Kopf hin und her, und ich versuchte mir auf alles einen Reim zu machen. Irgendwann schlief ich dann doch noch ein.

***

Am nächsten Tag wachte ich erst mittags auf, zu sehr hatte mich der Trubel der letzten Nacht mitgenommen. Ich aß zusammen mit Mum und Beth, die gerade von der Schule kam, zu Mittag. Beth ging hoch in ihr Zimmer, um Hausaufgaben zu erledigen, während ich Mum beim Abräumen half. Sie sah immer noch traurig aus. Keine Ahnung, was Ashley gesagt hatte, dass sie so zerstört war.

„Heute Nachmittag kommt Ashley, um dich abzuholen, er möchte dir die Leute vorstellen, die dich ab jetzt beschützen.“ „Okay, wann genau?“, fragte ich abwesend. „Er sollte um halb vier kommen.“ Es war jetzt halb zwei, also hatte ich jetzt noch eineinhalb Stunden Zeit bis ich mich fertig machen musste. Ich beschloss, mich in mein Bett zu legen und ein wenig zu lesen.

Punkt drei stand ich dann auf und zog mir eine Jeans und ein enges T-Shirt an, machte mir noch schnell einen Pferdeschwanz und suchte mir eine Jacke. Als ich fertig war, ging ich vor die Haustür, um auf Ashley zu warten.

Unauffällig schaute ich mich um, ich wollte wissen, ob einer von Ashleys Männern hier war. Und ja, ich sah auch einen Typen, den ich nicht kannte. Er saß auf einer Bank und starrte in sein Handy, doch ab und zu warf er einen Blick in meine Richtung.

Es dauerte gerade einmal 5 Minuten, bis ein schwarzes Auto mit verdunkelten Scheiben kam und vor mir hielt. Ein Fenster wurde heruntergefahren und ich konnte Ashley erkennen, der mich allerdings nicht ansah, sondern geradeaus starrte. „Steig ein!“
'Na super, der war ja heute mal wieder gut drauf.'

Ich stieg ein und er ließ das Fenster wieder hochfahren. Ich wollte nichts sagen. Ich fand, er sollte mal von sich aus reden, doch er redete nicht. Die ganzen 7 Minuten Fahrt konzentrierte er sich nur auf die Straße.

Wobei ich darüber eher froh war, denn bei seinem Fahrstil musste man wirklich Angst haben.

In den Kurven driftete er und wenn jemand für seinen Geschmack zu langsam fuhr, ließ er bei einem gefährlichen Überholmanöver die PS seines Autos spielen.

Ich war heilfroh, als er auf einem alten Fabrikgelände das letzte Mal Gas gab, um dann die Bremse durchzudrücken.

Ohne auch nur ein Wort zu sagen, stieg er aus und ging in Richtung einer Fabrikhalle. Schnell stieg ich ebenfalls aus und folgte ihm.

Sein Gang war unheimlich, man spürte, dass jeder seiner Muskeln angespannt war, und genauso ging er auch. Ohne sich nach mir umzusehen, stieß er mit Leichtigkeit eine schwere Metalltür auf und ging in die Halle. Als ich ebenfalls in die Halle trat, war ich erstaunt.

Was befand sich wohl in der Lagerhalle?

Gut kann auch böse...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt