Klappe 30: Manhattan ~ Freud 2.0

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Dann zog ich Samantha mit aller Kraft zurück ins Wohnzimmer, in dem die Musik mittlerweile lauter zu hören war. Wir setzten uns an den riesigen Esstisch, auf dem Essen eines halben Supermarkts aufgebaut war. Jedes Mal, wenn ich eine solche Menge an Essen auf Parties entdeckte, blutete mein Herz. Entweder blieb die Hälfte des Essens übrig oder es war zu später Stunde... ungenießbar. So war es bei meinem 18. Geburtstag gewesen, auf dem die Torte irgendwann ausgesehen hatte wie ein überfahrener, spanischer Mettigel: zig Tortilla-Chips waren oben hinein gesteckt worden. Zwar hatte ich die Torte noch immer gegessen, aber die Tortillas hätten wesentlich besser zu Guacamole als zu Buttercreme gepasst. Ähnliches war auf der Silvesterparty vor zwei Jahren passiert. Eine gewisse Person (natürlich nicht ich) hatte die Bowle mit Fruchtsauce vertauscht und die Obstplatte in das Bowlegefäß geschüttet. Da mit rotem Fruchtsaft versetzte Litschis haargenau wie Augen aussahen, hatte mein Dad sich wie in Cluedo gefühlt. Er hatte die Polizei wegen vermeintlichen Mordes alarmiert und mich wegen Kannibalismus gerügt, als ich die Augen gegessen hatte.

„Deine Jungs sind echt klasse, Meg. Vor allem mit einem scheinst du ja echt eine Verbindung zu haben", sagte Samantha amüsiert, während sie sich ein Bündel Weintrauben schnappte, von denen sie einzeln Trauben abzupfte und sich in den Mund steckte. Ich tat es ihr nach.

„Ja, ich liebe sie und vor allem solche Louis-Megan-Dialoge wie eben", lachte ich mit vollem Mund, während ich die Litschis auf der Obstplatte kritisch beäugte. Sie schienen mich immer wieder auf Parties zu verfolgen und mich still zu tadeln. Anscheinend hatte ich einen geheimen, süßen Stalker. Das würde zumindest den komischen Namen der Frucht erklären. Immerhin klang „Litschi" wie Glubschi, was wiederum in gewisser Weise ein Synonym für „Spanner" war.

Anscheinend interpretierte Samantha meine ungeheure Faszination für die Litschis falsch und hielt sie für einen Versuch, mich vom Thema abzulenken. „Komm schon, Meg. Sei ehrlich." 

Mit den Händen schirmte sie die Litschis ab, um meine Aufmerksamkeit wieder auf sie zu lenken. Als ich weiterhin ihre Hände fixierte, seufzte sie leicht genervt und schnappte sich die Litschis auf der Platte. Mit einem Bissen waren meine schlechten Assoziationen sowie mein Spanner-Problem aufgegessen.

„Was meinst du genau?"

Samantha rollte grinsend mit ihren braunen Augen. „Spiel nicht die Dumme, auch wenn du das eigentlich immer bist. Ich stand während eurer peinlichen Passwort-Tür-Aktion direkt hinter Harry. Ohne eure beiden Gesichter gesehen zu haben, wusste ich sofort, dass ihr beide mit dem Passwort lieber etwas ganz anderes als die Tür geöffnet hättet."

Meine Augen weiteten sich sofort. Kurz sah ich ertappt nach rechts und links, ehe ich Sammy die restlichen Weintrauben in meiner Hand ins Gesicht warf. „Pssssst, bist du jetzt mal leise? Sonst kriegst du diesen Apfel dahinten auch noch in den Mund gestopft. Dann sind nicht nur deine Gedanken versaut, sondern dann siehst du auch äußerlich so aus wie ein Schwein!"

„Ha! Die erste Reaktion nach einer Anschuldigung ist immer die ehrlichste. Und anstatt es zu leugnen, achtest du nur auf Diskretion."

Hätte ich den Apfel lieber doch in ihren Mund gestopft.

„Ach Sam. Klar sieht er gut aus. Aber da ist nicht mehr. Ich meine sie sehen alle gut aus und trotzdem..."

Samanthas lautes, schrilles Lachen ließ mich kurz zusammenzucken. „Wer ist denn hier das versaute Schwein, Megan?"

„Ich...- Sam! Das war nicht das, worauf ich hinaus wollte."

Erneut blitzten ihre braunen Augen auf. „Die Frage ist ja, worauf du willst."

Noch nie war das Gefühl so stark ausgeprägt gewesen, dass ich meine beste Freundin durch meine Freundschaft äußerst negativ beeinflusst hatte. Es fing mit elf an, als ich Sam dazu überredet hatte, mir eine Spielzeuganleitung zu klauen. Ich hatte meine Anleitung zum Aufbauen des Barbie-Wolkenschlosses leider verloren und sie hatte sich, nachdem ich sie schwarz angekleidet hatte, in den Spielwarenladen geschlichen und die Anleitung entwendet. Bis heute lastete es schwer auf mir, dass ich ein anderes Kind um seinen Lesestoff und das korrekte Aufbauen des himmlischen Wolkenschlosses gebracht hatte. Wer wusste schon, wie viele Tränen es wegen meiner Schusseligkeit vergossen hatte.

This Is Us + MeganWo Geschichten leben. Entdecke jetzt