Klappe 36: Bielefeld ~ Philosophische Diskurse von Erbsenhirnen für Kichererbsen

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Zwei Stunden später saßen wir zu viert an dem viel zu kleinen Esstisch im Wohnzimmer meiner Oma. Dieses war eine Mischung aus antiken Stücken und neumodernen Ikea-Möbeln, die sich besser als erwartet zu einer recht geschmackvollen Symbiose zusammensetzten. Es war nicht zu steril und unpersönlich und einige Stücke deuteten darauf hin, dass dort jemand lebte, der nicht gerade sein Studium begann und sich mittels Studentenrabatt durch die preisgünstigsten Modelle im schwedischen Möbelparadies geshoppt hatte. 

An einem der antiken Exemplare saß ich leicht zusammengesackt und visierte angestrengt den Teller vor mir an. Es war mehr als deutlich, dass sich der Esstisch zu einem Schlachtfeld formiert hatte. Ich bildete die eine Kriegsseite. Die Ketschup- und Getränkeflaschen hatte ich wie einen Schützengraben um meine auf dem Tisch abgestützten Arme aufgebaut. Unruhig hob sich mein Blick alle Sekunden, um die feindliche Linie zu observieren. Doch noch beriet sich die gegnerische Armee, bestehend aus Louis, Harry und meiner Oma. Nichts ließ Rückschlüsse auf eine baldige Offensive ihrerseits zu. Sie schienen vollkommen in der Strategiebesprechung versunken zu sein. Diese bestand darin, mich erstens vollkommen zu ignorieren und zweitens zu besprechen, wie man die besten Hefebrötchen backte. Dass Harry anscheinend durch das temporäre Arbeiten in einer Bäckerei genügend Angriffsstoff auf meine Nerven lieferte, ließ meine Schultern noch mehr durchhängen. Meine Stirn hatte sich bereits so sehr zu kleinen Fältchen zusammengezogen, dass man dort sicher Stifte zwischen den Falten sammeln konnte.

Diese waren bereits entstanden, als meine Großmutter binnen weniger Minuten ein Mittagessen organisiert hatte. Obwohl sie, trotz ihrer jugendlich anmutenden und leicht passiv-aggressiven Art, die oftmals in Gewalt überschlug, überhaupt nicht in die Großmutter-Schublade eingeordnet werden konnte, bediente sie dennoch gewisse Klischees. Da sie es von früher gewohnt war, in großen Mengen zu kochen, hatte sie neben ihrer eigentlichen Tiefkühltruhe noch eine kleinere, in der sie sämtliche Reste vergangener Tage, Wochen, Monate und hoffentlich nicht Jahre lagerte. Würde eine Zombie-Apokalypse ausbrechen, könnte man bei meiner Grandma definitiv ein paar Dekaden überleben. Sofern man solange imstande war, täglich Kasslerbraten, Kartoffelpüree und Thunfisch-Lasagne zu essen. Vorher würde ein Normalsterblicher wie ich wahrscheinlich Zombie-Suizid begehen oder freiwillig Zombiefleisch essen, um wenigstens etwas Abwechslung auf dem Teller zu haben. Wurde man durch das Einverleiben von Zombiefleisch wohl auch zum Zombie? Immerhin wurde man auch nicht zum Schwein, wenn man gammeliges Schweinefleisch verspeiste.

Während ich weiterhin lustlos in den Erbsen auf meinem Teller herumstocherte und doch jeder von ihnen bereitwillig mehr Aufmerksamkeit schenkte als dem Gespräch um mich herum, unterhielten sich Louis, Harry und meine Oma weiterhin angeregt über Themen, die junge Erwachsene wie Louis und Harry nicht so mitreißen dürften. In dem Moment hatten sich die Rentnerin sowie die beiden Frührentner (Harry und Louis konnten bei ihrem Vermögen wirklich in Rente gehen) wieder dem geliebten Thema „Tee" zugewendet. Nachdem sich Harry von seiner blutenden Nase erholt und einen sehr dummen Witz in Richtung „Jetzt brauche ich erst mal Tee, damit ich nicht dehydriere beziehungsweise teehydriere" gebracht hatte, war meine Oma erneut klischeehaft geworden. Sie hatte Harry, der sich dem größten Teil des Kostüms entledigt hatte, am Arm gepackt, sich eingehakt und ihn mit glühenden Augen in die Küche gezogen. Wäre es nicht meine Oma an seiner Seite gewesen, sondern ein gleichaltes Mädchen, hätte ich fünf Dollar darauf gesetzt, dass sie es auf der Küchenarbeitsplatte neben dem Teekocher trieben.

Irgendwann hatte Louis, mit dem ich mich währenddessen ins Wohnzimmer begeben hatte, den Geruch von Tee wahrgenommen. Wie ein Hund – Loubrador – hatte er mit der Nase geschnuppert und die Fährte zur Küche aufgenommen. Dass er mit der Nase nur die umgebende Luft geprüft und nicht wie ein Spürhund die Nase platt auf den Boden gedrückt hatte, grenzte an ein Wunder. Obwohl sich der Anblick als ziemlich lustig hätte entpuppen können. Meine Oma war noch nie ein Fan von Staubsaugern gewesen und vermied den Gebrauch so häufig wie nur möglich. Da jedoch in fast der Hälfte des Hauses, inklusive Wohnzimmer, Teppich ausgelegt war, wäre Louis beim Schnuppern sicher einiges in die Nase gezogen worden. Vielleicht Krümel, antike Münzen, das Auge meines Kindheitsteddys, das sich bei dem Versuch abgelöst hatte, mit einem Glitzerstift eine glänzende Iris in die sonst tiefschwarzen Knopfaugen zu malen, damit er mich genauso verliebt und mit glänzenden Augen anstarrte wie mein Grundschulschwarm Toby.
Oder Louis hätte ein wenig der Asche meines toten Grandpas abbekommen, von der ich bei meinem letzten Besuch etwas auf den Teppich verschüttet hatte. 

This Is Us + MeganWo Geschichten leben. Entdecke jetzt