Klappe 39: Barcelona ~ Kinderüberraschung

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Menschen, die mich zum ersten Mal in ihrem Leben trafen, würden auf ihr ungeborenes Kind und die Existenz von Pizza schwören, dass ich ein sehr umgänglicher und sozialer Mensch war, der sämtliche Konversationen und anregenden Unterhaltungen genoss. Manchmal täuschte mich mein sehr ungefilterter Redefluss selbst über die Tatsache hinweg, dass mir viele Menschen Angst einflößten und ich mich am liebsten in einen Supermarkt mit kleiner Matratzenauswahl einsperren und niemals mehr herauskommen wollte.
Doch in anderen Situationen sah mir selbst ein Blinder an, dass ich mir wünschte, meinen Kopf wie ein Strauß in den Sand zu stecken, auch wenn das nur ein Mythos war. Vielleicht hatte ich Glück und im Boden wurden Kartoffeln oder Erdnüsse angebaut. Oder jemand Übergewichtiges hatte dort seine Süßigkeiten versteckt, in der Hoffnung, dass die ernährungsbewusste und gelangweilte Mutter den geheimen Vorrat an Schokolade nicht entdeckte. 

Und in einer solchen Ich-stecke-meinen-Kopf-in-den-Sand-wie-ein-Strauß-obwohl-sie-das-gar-nicht-tun-Situation befand ich mich, als mich Lou Teasdale bat, mich für kurze Zeit um ihre Tochter zu kümmern. Zu sagen, dass ich mit Kindern einigermaßen klarkam, war die Übertreibung des Jahrhunderts. Als Essens-Metapher ausgedrückt: Wenn ich leckerer Kakao war, waren Kinder Zwiebeln.

Auch als Lou mir eindringlich in die Augen sah, während sie versuchte, Lux' Babyhand in meine zu legen, schüttelte ich vehement den Kopf. Ich musste zugeben, dass Kinder und insbesondere Babys süß waren und ein langgezogenes „Awwww" wie ein Mantra in meinem Kopf erklang. Aber sobald sie in meiner Verantwortung waren oder ich zu einer Interaktion mit ihnen gezwungen wurde, bildete sich auf meinem ganzen Körper ein Schweißfilm, welchen ich normalerweise nur in Saunen hatte oder wenn mir bei dem Gedanken an Orlando Bloom heiß wurde. Man mochte mich kindisch und infantil und unvernünftig nennen. Aber sobald ich mich mit Kindern unterhielt, waren meine Aussagen auf dem Niveau von Kartoffeln: unterirdisch. Als ich vor ein paar Jahren auf das vierjährige Kind unserer Nachbarn aufgepasst hatte, war der folgende Dialog entstanden:

Das Kind: Magst du Schokolade?
Ich: Nur wenn sie mich mag.
Das Kind: Häh?
Ich: Bruttosozialprodukt.
Das Kind: Du bist doof.
Ich: Wusstest du, dass doof rückwärts „food" heißt? Und Essen ist toll, also danke.
Das Kind: ...
Ich: Oder war das ein versteckter Hinweis darauf, dass du kannibalistisch veranlagt bist und mich essen möchtest?

Danach hatte mich das Kind gebissen, was mir als Antwort reichte: Kinder waren potenziell Kannibalen. Und dass sie mich Essen vorzogen, war mir so unverständlich, dass ich sie fortan mied.

Doch auf einer Tour, bei der man die ganze Zeit mit den gleichen Leuten unterwegs war, konnte man sich nicht asozial verhalten und das kurze Beaufsichtigen eines Kindes verneinen. Als Lou mich voller Inbrunst darum gebeten hatte, hatte ich mit dem Vorwurf gekontert, dass es sich offenkundig um eine Kindeswohlgefährdung handle, wenn ich die Verantwortung für ein Kind übernahm. Meine Einwände ignorierend, hatte sie mir einen kleinen Kinderschuh in die Hand gedrückt und mit weicher Miene gesagt: „Wenn du Lux näher kennen würdest, wüsstest du, dass eher dein Wohlbefinden gefährdet ist und nicht ihres." Ohne weiteres hatte sie mich in dem überfüllten Außenbereich des Hotels allein gelassen, in der einen Hand noch immer Lux' Hand, in der anderen den pink bepunkteten Kinderschuh, der anscheinend mein hartes, kinderfeindliches Herz erwärmen sollte.

Langsam ließ ich mich auf die Knie nieder und betrachtete abschätzig das kleine Mädchen an meiner Hand. Kurze blonde Haare, große blaue Augen und eine niedliche Stupsnase. Ein normaler Mensch fand den Anblick hinreißend, aber ein gebildeter Mensch wie ich wusste, dass es sich bei Kindern um einen Wolf im Schafspelz handelte. Oh Gott, wie sehr wünschte ich mir in dem Moment, dass Lux wirklich ein Wolfswelpe war. Denn dann könnte ich sie einfach in einen Zwinger sperren oder irgendwo anleinen, ohne mich eines Verbrechens schuldig zu machen.
Lux erwiderte meinen Blick zunächst, bis sich ihre kleine Stirn in Falten zog. Undefinierbare Laute verließen ihren Mund, bevor sie mit ihrer kleinen Hand auf meine Nase schlug.

This Is Us + MeganWo Geschichten leben. Entdecke jetzt