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Das Frühstück verlief eigentlich ziemlich gut. Wir unterhielten uns alle, aßen zusammen und es herrschte eine angenehme Atmosphäre.
Aber komischerweise war Logans Vater wieder nicht anwesend, ich hatte zumindest gehofft, ihn beim Frühstück kennenzulernen.
Aber um ehrlich zu sein, kannte Logan ja auch nicht meine Familie und wir waren ja nicht zusammen, also konnte ich das auch nicht verlangen.

Ich saß mit ihm schweigend im Auto und starrte aus dem Fenster. Häuser und Bäume rasten an uns vorbei, genauso wie Kinder, und ihre Eltern.
Sie sahen so glücklich aus, frei von irgendwelchen Problemen, einfach unbeschwert. Trauer stieg in mir auf, da ich nie so eine tolle Kindheit hatte und mein Leben bis jetzt auch nicht einwandfrei verlief. Natürlich gab es auch glückliche und tolle Momente, aber das war alles vor dem Unfall meiner Mutter und somit ihrem Tod.
Mein Vater stand nie richtig hinter mir, schlimm genug, dass er mich im betrunkenen Zustand an ihrem Tod beschuldigte. Aber was sagt man nicht alles, wenn man betrunken ist? Genau, die Wahrheit und das ließ mich an mir selber zweifeln. Natürlich ist mir bewusst, dass ich da gerade einmal vier Jahre war, aber wer weiß, vielleicht hatte ich sie während dem Autofahren abgelenkt. Ja, und vielleicht ist genau das meine Strafe! Am Leben zu bleiben, um mit dem Leid und der Trauer zu leben.
Ich hatte ehrlich keine Ahnung.
"Logan?", begann ich leise und drehte mein Kopf in seine Richtung.
Mit seinen Händen hielt er das Lenkrad umschlungen und sein Blick war konzentriert auf die Straße gerichtet. "Hm?"
"Was ist eigentlich mit deinem Vater?", stellte ich die Frage, die mir seit dem Frühstück auf der Zunge brannte.
Augenblicklich spannten sich seine Kieferknochen an und seine Augen verdunkelten sich.
Ich hatte offensichtlich einen wunden Punkt erwischt, mist!
"Egal ... das ist mir einfach so raus gerutscht. Tut mir leid!", brachte ich meinen Fauxpas schnell wieder in Ordnung und schaute aus dem Fenster.
Ich hörte ihn ausatmen, dann begann er zu sprechen: "Ich spreche nicht oft über ihn, weil ich nicht stolz auf seine Taten bin ..."
Taten? Welche Taten?
"... Er ist eigentlich ein Arsch, aber meine Mutter, sie war einfach noch jung", erzählte er weiter
Ich beobachtete seine Mimik dabei und musste tief ausatmen.
"Mein Vater", begann ich. "Ich bin auch nicht stolz auf seine ... Taten ..."
Oh, wenn er wüsste!
" ... Aber er ist mein Vater und ich vergebe ihm, immer und immer wieder. Manchmal zu oft, aber er ist alles, was ich noch habe, abgesehen von meinem Bruder", schmunzelte ich.

Logans P.O.V
"Alles was du noch hast?", fragte ich nach, aber ich kannte die Antwort bereits.
"Meine Mutter, sie ist in einem Autounfall ums Leben gekommen. Das ist schon fast vierzehn Jahre her, aber es vergeht kein Tag, an dem ich sie nicht vermisse", erzählte sie traurig, während sie auf die Straße schaute.
Sie tat mir leid, nicht weil sie ihre Mutter verloren hatte, das natürlich auch, aber weil sie seit sie klein ist, ohne Mutter auskommen muss.
Was würde ich nur ohne meine Mom tun? Das wollte ich mir nicht vorstellen.
Ich wollte sie in den Arm nehmen, sie an mich drücken und ihr die Trauer von der Seele küssen, aber da ich nun mal keinen Unfall bauen wollte, griff ich mit meiner rechten Hand nach Ihrer und flechtete unsere Finger miteinander. Ein Lächeln huschte über ihr liebliches Gesicht, was mein Herz mit Wärme versorgte.
Sie starrte überglücklich auf unsere Hände, dann wieder auf die Straße.
Ich konnte mir ebenfalls kein Grinsen verkneifen, also ließ ich meine Mundwinkel zufrieden nach oben zucken.

Die Fahrt über schwiegen wir, aber um ehrlich zu sein, brauchten wir das auch nicht, für den Moment war ich einfach glücklich.

Ich parkte gekonnt an der Straße und schaltete den Motor ab. Meinen Blick wendete ich an Annabelle und musterte sie. Ihre Augen waren immernoch starr auf die Straße gerichtet, während sie ihre Hände leicht knetete und sich auf die Unterlippe biss.
"Ich habe von meiner Mutter geträumt", fing sie an zu erzählen, doch ich wusste nicht, woher sie das hergeleitet hatte.
"Heute in der Früh, als ich zusammen geschreckt bin. Ich war dort", richtete sie ihren Blick auf mich.
"Beim Autounfall, ich war dabei, als kleines Mädchen. Ich hatte erlebt, was ein Kind hätte nicht miterleben sollen, vor allem noch nicht in diesem Alter. Ich saß auf der Rückbank, und vielleicht habe ich sie abgelenkt, ich weiß es nicht", erzählte sie mir, während leise Tränen über ihre Wangen rollten.
"Wir bauten einen Unfall, aber keiner hat angehalten und auch nur den Krankenwagen gerufen.
Meine Mutter, sie hat sich umgedreht, mir in die Augen geschaut und zu mir gesagt: 'Belle, ich verspreche dir, alles wird gut.'"Sie schniefte auf.
"Verstehst du, was ich damit meine?", fragte sie mich und schaute mir endlich in die Augen. "Meine Mutter, sie hatte noch gelebt, noch geatmet. Sie ist nicht wegen dem Autounfall gestorben", flüsterte sie leise und starrte wieder aus dem Fenster. "Sie dreht sich wieder um, und dann hörte ich Stimmen, ein Mann oder mehrere waren vor Ort. Doch sie haben uns nicht geholfen, nein, sie haben meine Mutter angeschrien und ausgelacht.
Und ich hatte alles mitbekommen, weißt du. Ich war damals doch noch so klein, aber ich war voll bei Sinnen, ich hatte eben alles mitgehört.
Und plötzlich hörte ich einen Knall, er war so laut und so ohrenbetäubend und meine Mutter, sie bewegte sich nicht mehr.
Meine Mutter starb nicht wegen des Unfalls, Logan ..."
Sie blickte wieder auf zu mit, während ihr unzählige kleine Tränen über ihr zartes Gesicht rollten.
"Sie wurde wahrscheinlich ermordet und ich bin die einzige Zeugin, die er gibt", beendete sie ihre Geschichte und begann zu schluchzen.

Nie in meinem Leben hatte ich geweint, natürlich als Kind, wenn man hingefallen ist und sich das Knie aufgeschürft hatte. Weinen hatte immer etwas verletztbares an sich, es war ein Angriffspunkt, eine Schwäche. Aber jetzt starrte ich Annabelle fassungslos an und einzeln Tränen bahnten sich ihren Weg nach unten.
Anstatt ihr nur den Rücken zu klopfen oder ihr ein Taschentuch hinzuhalten, nahm ich sie über den Sitz und setzte sie auf meinen Schoß, während ich sie in eine Umarmung zog. Ich vergrub mein Gesicht in ihrer Halsbeuge, während sie sich an meiner Jacke festkrallte.
Minutenlang hielten wir uns aneinander fest. Wir beide hatten aufgehört zu weinen und dachten nach, zumindest tat ich das.
Annabelle hatte mir ihr vielleicht ihr größtes Geheimnis anvertraut und genau das war auch mein Auftrag, herauszufinden, was sie weiß. Doch an 'Red Eye', also die Gang, und Joseph war gerade nicht zu denken.
Meine Gedanken kreisten immer nur um den Unfall, der vielleicht gar kein Unfall war, sondern geplante Rache.
Was hatte aber Red Eye damit zu tun? Ich wusste es nicht, aber eins wurde mir klar, ich wollte herausfinden, was das alles für ein Zusammenhang hatte.

Good Badboy ?!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt