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Annabelles P.O.V.

Logan war bereits 17 Tage im Krankenhaus, 17 Tage im Koma, 17 Tage hatte er sich nicht gerührt.
Die Tage vergingen schneller, die Wochen kürzer, aber in mir herrschte immer noch eine Unruhe.
Natürlich versuchte ich Logan jeden Tag zu besuchen, aber irgendwann waren es nur noch vier Tage, an denen ich ihn sah.
Mein Dad wollte, dass ich mich wieder auf die Schule konzentriere, und ich konnte ihm nicht widersprechen. Das Leben ging weiter, auch wenn ich glaubte, dass mir ein Teil fehlen würde.
Logan anfangs nicht in der Schule zu sehen, war anders, irgendwie befremdlich. Ich hatte mich an ihn gewöhnt, so sehr, dass ich mich immer wieder dabei erwischte, wie ich auf seinen leeren Stuhl im Klassenraum oder den freien Platz in der Mensa neben seinen Freunden starrte.
Viele Schüler tuschelten, verbargen es aber so gut es ging, jedoch merkte ich, wie jeder über Logan sprach.
Es entstanden viele Gerüchte: Logan hätte einen Unfall gehabt, Logan würde sich eine Auszeit nehmen, Logan hat sich ins Koma gefeiert.
Aber keiner kannte wirklich die Antwort, bis auf ein paar Menschen.
Ich fand es unmöglich, dass Leute, die ihn nicht einmal kannten, nur Lügen erzählten, ohne das sie den wahren Grund kannten. Aber was konnte ich schon großartiges machen?
So gut es ging, versuchte ich das zu ignorieren.

Es war wieder einer der Tage, an denen ich Logan im Krankenhaus besuchte. Mittlerweile war es absolut kein Problem mehr, dass ich in sein Zimmer ohne Aufsicht durfte. Wie Logans Mutter das angestellt hatte, keine Ahnung, aber ich war unendlich froh Logan sehen zu können.
Erschöpft ließ ich mein Rucksack auf den Boden fallen und dann in den harten Stuhl neben seinem Bett.
"Hey", begrüßte ich ihn, als wäre es das Normalste der Welt. "Heute war wieder alles super anstrengen. Du glaubst nicht, wie viel Stress die Lehrer uns machen, obwohl alle Prüfungen bereits hinter uns sind."
Ich schüttelte leicht den Kopf und schloss meine Augen.
"Es ist wirklich verdammt nervig, ich verstehe selber nicht mal, warum alle so ein Drama um die Zukunft machen."
Kurz nachdem ich die letzten Worte ausgesprochen hatte, rümpfte ich meine Nase. Ich sprach über meine Zukunft, obwohl er vielleicht nichtmal aufwachen würde.
"'Tschuldige", murmelte ich leise und räusperte mich. "Heute war übrigens auch die Bekanntgabe für unseren Abschlussball, das Thema: "Midnight in France". Ich weiß, total albern, wenn du mich fragst."
Langsam atmete ich tief aus. Es beruhigte mich immerhin mit Logan zu sprechen, obwohl er nie Antworten würde. Trotzdem gab es mir ein Gefühl von Normalität zurück.
"Ich geh mir erstmal ein Kaffee holen, ansonsten schlafe ich gleich auf dem Stuhl ein", entschuldigte ich mich und stand auf. Ein letzter Blick auf Logan, dann ging ich zur Cafétaria, die extra für die Besucher hergerichtet worden war.
Ich stellte mich an der Schlange an und wartete.
Meine Augen huschten über den Raum. Wüsste ich nicht, dass die Mensa zum Krankenhaus gehörte, könnte sie die unsere in der Schule sein. Die Möbel, das Essen und der Lärm waren genauso gleich, aber die Menschen unterschieden sich sehr. Die meisten Leute hier waren Mitte vierzig, für gewöhnlich mit kleinen Kindern, die vermutlich versuchten den Brei runterzukippen. Unsere Schule hingegen trotzte zwar nicht vor Leben und Optimismus, trotzdem herrschte immer eine fröhliche Stimmung, wofür ich die meiste Zeit dankbar war.
Mein Blick schweifte zu einem Mädchen und ihrem Freund vermutlich. Er hielt sie in den Armen und schützte sie, da das Mädchen ziemlich verloren schien.
Ich lächelte auf.
Die beiden erinnerten mich ein bisschen an Logan und mich. Vor der Zeit mit Kyla natürlich.
Alles war irgendwie perfekt, eine kleine heilvolle wunderbare Welt, ein Rückzugsort. Mein Lieblingsplatz.
Ich wünschte mir nichts sehnlicher als wieder so etwas für jemanden zu empfinden, wie für Logan, aber darüber durfte ich mir im Moment keine Gedanken machen.
Logan musste aufwachen und ich würde auf ihn warten. Was nach dem Aufwachen passieren würde, weiß ich noch nicht, aber es war zu früh um mir bereits Gedanken zu machen.
Eine Dame hinter mir räusperte sich und ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder nach vorne.
Ein paar Sanitäter eilten hektisch in die Gänge und verschwanden wieder.
Ich nahm einen Kaffee, bezahlte und schlenderte zurück zu Logans Zimmer.
Müde trank ich einen großen Schluck und blieb kurz vor einem Regal mit Broschüren stehen.
Es gab die Unterschiedlichsten für fast alle Krankheitsfälle. Mir stach eine Pinke ins Auge. Ich las die Überschrift: Stecker ziehen?
Ich rümpfte die Nase und trank einen weiteren Schluck.
Logan musste natürlich nicht künstlich am Leben beatmet und versorgt werden, aber ich verstand es als Metapher.
Wenn Logan nicht in ein paar Tagen oder Wochen aufwachen würde, konnte man Logans Mutter andere Optionen anbieten, wie beispielsweise eine Organspende. Keine Frage, eine Organspende ist eine tolle Sache für alle die ein neues Körperteil brauchten aber das würde heißen, Logan würde für Tod erklärt werden und soweit war ich noch nicht.
Ich hatte immernoch Hoffnung. Er war stark, stärker als jeden den ich kannte, nicht nur körperlich sondern auch psychisch.
Tief atmete ich aus und nahm die Broschüre mit zittrigen Händen entgegen.
Schnell drehte ich mich um und ging in den Gang von Logans Zimmer. Plötzlich sah ich ein paar Sanitäter und Ärzte an einem Zimmer stehen.
Unruhe stieg in mir auf und ich beschleunigte meinen Gang, bis ich schließlich rannte.
"Was ist los?", fragte ich außer Atem.
Keiner antwortete mir.
Panik kroch langsam hoch.
Ich konnte nichts sehen, alle standen um Logans Bett herum, aber mit einem Mal beugte sich der Arzt wieder hoch und lächelte mich an.
Stirnrunzelnd sah ich zu dem schlafenden Logan, aber es raubte mir den Atem den liegenden Jungen auf dem Bett zu sehen.
Denn Logan war alles andere im Schlaf, Logan musterte mich müde mit seinen braunen Augen.

Good Badboy ?!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt