89

14.5K 367 5
                                    

"Also, warum wolltest du mich so dringend sehen?"
Ich schaute auf meine Hände. Keine Ahnung, warum ich ihn so spontan angeschrieben hatte, aber meine Ungewissheit hatte gesiegt.
"Logan war vorletzten Samstag bei dir, du bist der Letzte, der ihn gesehen hat", antwortete ich leise und sah Josh in die Augen.
"Na und?"
"Logan ist seit Tagen nicht mehr in der Schule gewesen, das sieht ihm gar nicht ähnlich. I-ich habe einfach ein ungutes Gefühl", erklärte ich stotternd.
Joah sah mich an und studierte mein Gesicht.
"Du sorgst dich um ihn", stellte er fest und lehnte sich an.
"Nein!", schoss es aus mir raus, vermutlich etwas zu schnell. Kurz räusperte ich mich. "Ich denke einfach, Logan ist vielleicht etwas passiert."
Stille erfüllte den Raum.
"Schön, womit kann ich dir helfen?", seufzte er und rieb sich den Hinterkopf.
Kurz atmete ich ein.
"Ich weiß, dass Logans Vater Joseph Blake und er der Anführer der Gang Red Eye ist", erzählte ich.
Josh richtete sich abrupt auf und sah sich um.
Wir hatten uns außerhalb der Stadt getroffen, so war die Chance geringer auf jemanden zu treffen, den wir kannten, allerdings waren alle anderen Menschen in der Bar eh mit sich selber beschäftigt.
"Woher-"
Schnell schritt sich dazwischen, um ihm die Sache zu erklären.
"Logan hat es mir erzählt, nachdem ich ihm keine Wahl gelassen hatte, weiterlügen zu können."
Er sah mich prüfend an.
"Also?"
"Was willst du von mir hören?"
"Habt ihr über Joseph gesprochen, hat er dich bei irgendwas um Rat gefragt?"
Wieder kurze Stille, dann schmunzelte er. "Nein, ganz im Gegenteil", antwortete er amüsiert. "Wie haben über dich gesprochen."
Kurz wurde ich stutzig. "Ta-tatsächlich?"
Er nickte knapp und fuhr fort. "Nur ganz kurz allerdings, nichts allzu wichtiges, aber ..."
"Aber was?"
Machte er wirklich auf extra spannend?
Es schien als ging ihm ein Licht auf.
"Logan hatte sich über die Gang unterhalten mit mir."
Ich runzelte die Stirn. Er schien meine Frage anscheinend zu kennen.
"Ich war mal Mitglied."
"Du bist ausgestiegen?", fragte ich verblüffend nach. "Logan meinte, es wäre schwer austreten zu können."
"Das war es, allerdings", nickte er und hob sein Shirt an, sodass ich die Narben an seinem Körper betrachten konnte.
Ich schnappte nach Luft und schlug mir die Hände vor den Mund.
Nie hätte ich gerechnet, dass es so viel Kraft kosten würde, aussteigen zu wollen. Logan hatte nicht übertrieben.
"Worüber habt ihr euch unterhalten, du und Logan?", fragte ich schnell nach.
"Zuerst war es nur das Übliche, er hat mir die aktuelle Situation erklärt, was gerade so abläuft, aber irgendwann sind wir auf das Thema Austritt gekommen."
"Und?", hackte ich nach.
"Er hat sehr viele Fragen gestellt."
"Was muss man tun, um austreten zu können?", fragte ich nach.
"Es ist härter, als alles, was ich je gehört hatte. Es hätte mich fast um den Verstand gebracht, aber der Wille treibt einen an."
Er holte Luft. "Um austreten zu können, wird einem sehr viel abverlangt.
Du musst wissen, es ist Hochverrat, wenn man sich für den Austritt entscheidet, immerhin heißt das, du willst kein Teil der Familie mehr sein."
Ich schluckte trocken. "Erzähl mir jeden einen einzelnen Schritt."
Joah schien es definitiv nicht leicht zu fallen über die Sache zu sprechen, was ich zu hundert Prozent nachvollziehen kann.
"Bitte, es ist für Logan", flüsterte ich.
Er nickte kurz. "Na gut, einmal und nie wieder."
Ich nickte dankend.
"Zuerst wirst du in einen Raum gesperrt, ich denke für drei Tage, man verliert jedes erdenkliche Zeitgefühl. Kein Licht, keine Menschen, kein Essen und Trinken, nur die Stille. Man fängt an sich Gedanken zu machen und schon alleine das könnte inen umbringen."
Ich schnappte nach Luft. "Man wird ausgehungert?"
"Nicht ganz, solange du dich noch bei Kräften halten kannst.
Als nächstes wirst du in einem Transporter an einen Ort mitgenommen, du musst dich dort mental für die härteste Probe vorbereiten."
Härteste Probe?
Als könnte Josh meine Gedanken lesen, erzählte er weiter.
"Du bekommst nichts außer eine kürzere Hose um dich zu bekleiden.
Dir werden die Augen verbunden und du musst einen stundenlangen steilen Weg entlanglaufen, schwer wenn man nur das Nötigste zum Essen und Trinken bekommen hat.
Glaub mir, irgendwann wirst du denken, dass dich deine Beine nicht mehr halten können und du jeden Moment zusammenbrechen wirst."
Mein Mund war trocken und ich schluckte hart.
"Aber das war nicht die eigentliche Hürde. Vielmehr wirst du auf einen Berg gebracht, bei dem 12 Mitglieder, Erfahrene und Neueinsteiger, auf dich warten.
Es wird eine kurze Ansprache gehalten, was genau sie gesagt haben, daran kann ich mich nicht erinnern.
Jedenfalls werden die Mitglieder dazu animiert, den 'Verräter' anzugreifen, indem sie jegliche Messer, aber auch ihre Fäuste benutzen.
Derjenige, der austreten will, kann sich nicht wehren, er hat die Hände zusammengebunden und muss die Schande über sich ergehen lassen. Die meisten sind bei dieser Aufgabe ums Leben gekommen. Entweder du stirbst, oder du überlebst."
Ich konnte nicht fassen, was ich da hörte.
Mitglieder, die angeblich zur Familie gehören, greifen ihr Ex-Mitglied an, nur um ihnen eine Lektion zu erteilen? Wie krank müssen diese Menschen sein, einem Leid antun zu müssen, damit jemand nicht mehr Teil dieser Gang wird?
Auf einmal merkte ich, wie Josh mich beobachtete und ich konnte nichts, als Trauer, Mitgefühl und Wut fühlen, sehr viel Wut.
"Wieso um alles in der Welt greifen sie einen ihrer ehemaligen Freunde an?"
Es war nur noch ein Krächzen, dass ich zusammenbrachte.
"Der Verräter soll das Leid nach empfinden, dass die allerersten Mitglieder gespürt haben, als sie für den Aufbau dieser Gang kämpfen mussten", erklärte Josh ruhig und studierte mein Gesicht.
Wie konnten Menschen einem Anderen so etwas antun?
Ich versuchte mich zu sammeln, aber ich konnte es einfach nicht.
Der Gedanke, dass Leute ihrem Weg bei dieser Gang beenden wollten, jedoch ihn nichtmal überlebten, drang ständig in mein Gedächtnis.
Wie viele Menschen waren bereits gestorben?
"Annabelle", holte Josh mich zurück in die Realität. "Da ist noch eine Sache."
Ich schluckte erneut und sah ihn ängstlich an, aber ich wollte es wissen, alles.
"Jedes Mitglied, das neu in der Gang ist, muss sich einer Tat der Gemeinschaft unterziehen: ein Tattoo am linken Unterarm, als Wiedererkennungswert."
Ich überlegte nach, ob ich je Logans Tattoo gesehen hatte, aber mir war es nie aufgefallen.
"Alle, die austreten, sind des Symbols nicht mehr würdig und werden ..."
Josh stoppte und überlegte, ob er wirklich mit der Wahrheit ans Licht kommen sollte, aber vorsichtig legte ich meine Hand auf seinen Arm.
"Du kannst es mir erzählen, Josh. Was auch immer es ist, ich verkrafte es", versicherte ich ihm und sah ihn eindringlich an.
"Sie werden über das Tattoo gebranntmarkt", flüsterte er und entzog sich meinem Griff.
Ich schnappte nach Luft und rutschte nach hinten bis die Lehne sich in meinen Rücken drückte.
Brandmarkierung?
Als wäre alles noch nicht grausam genug, wollen sie also noch eine Erinnerung schaffen, die sie an diese schlimme Situation erinnern soll?
"Annabelle, ich glaube, Logan ist gerade dabei, etwas schlimmes zu tun", flüsterte Josh und sah mich nervös an.
Ich nickte nur. Mir war übel bei dem Gedanken, dass Logan tatsächlich austreten würde.

Good Badboy ?!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt