Kapitel 17

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Ausnahmsweise verging der Tag heute mal relativ zügig. Ich musste zwar ins Büro des Direktors, um mich zu rechtfertigen, warum Zoe gestern das Training der Tanzgruppe übernommen hat, aber ich habe dies einfach mit dem vierwöchig wiederkehrenden Unwohlsein erklärt und wurde schnell wieder entlassen. Inzwischen fällt mir dieser Notlügen-Kram echt einfach und ich finde ehrlich Gefallen daran. Dieser Gedanke erschreckt mich zwar etwas, jedoch begründe ich selbst mein Verhalten einfach mit der Wut auf meine Eltern. Da ist sowas schließlich gerechtfertigt.

»Heey, da bist du ja!«, sagt Zoe und lässt sich neben mir gegen den Spind fallen.

»Hi...«, sage ich kühl.

»Ich habe mir Sorgen gemacht. Geht es dir gut? Also halbwegs?«, erkundigt sie sich.

»Nein!«, blaffe ich ehrlich zurück. Schnell zuckt sie zusammen und schaut mich überrascht an. Ich weiß, dass sie mit der Situation nicht umgehen kann. Ihr Dad ist schließlich ein echter Engel...

»Allie...«, fängt sie an, doch ich unterbreche sie. »Sorry für's Anblaffen. Mir geht es nicht gut. Ich hasse es zu Hause. Mir fällt die Decke auf den Kopf. Ich brauche das Rennen«

»Nein! Du kannst in dem Zustand nicht fahren«, sagt sie und schaut mich mit großen Augen an.

»Oh doch! Das ist das Highlight meiner Woche. Ich brauche das jetzt.«

»Versuch dich nicht zu töten, ok? Also uns nicht zu töten...«, flüstert sie, damit es niemand mitbekommt und reißt dabei die Augen auf.

»Jaja...«, stöhne ich.

»Können wir vorher nochmal kurz nach Hause? Ich wollte wenigstens die Sachen hochbringen und mich kurz frisch machen«

»Ja geht klar. Dann lass uns los.«

Mein blauer Hoodie duftet wunderbar nach frischer Wäsche als ich ihn mir überstülpe. Ich habe nicht vor mich wie ein Pin-Up Girl herauszuputzen und setze stattdessen auf den sportlichen Look. Meine enge schwarze Jeans passt perfekt, also lasse ich sie direkt an. Da es mir wichtig ist, dass niemand mich erkennt, habe ich mir eine dunkelblaue Gap-Cap eingepackt. Ich fädele meinen dunkelblonden Pferdeschwanz durch das dafür vorgesehene Loch und ziehe den Schirm tief ins Gesicht.

»Wow! Du wirst noch Rennfahrerin«, grinst mich Zoe an. Wobei ich mir sicher bin, dass sie sich über mein Outfit lustig macht.

»Lass uns los, sonst bin ich bei meinem ersten Rennen zu spät!«

Ich schnappe mit Zoe's Arm und wir verlassen die Wohnung der Wards.

Langsam werde ich nervös und ich umklammere das Lenkrad zwischenzeitig so fest, dass meine Fingerknöchel weiß hervortreten. In regelmäßigen Abständen muss ich mir meine feuchten Hände an der Jeans abwischen. Zoe rutscht ebenfalls nervös im Sitz hin und her und ich kann spüren, dass sie sich zusammenreißen muss um mich nicht zum Umdrehen zu überreden. Der Navi gibt die Richtung zur Lagerhalle an, da wir inzwischen schon die Brooklyn Bridge erreicht haben, wird es vermutlich nicht mehr lange dauern.

»Äh... Allie? Gibt es da eigentlich irgendeinen Einsatz?«, erkundigt sich Zoe mit zittriger Stimme.

»Mhmm... Also Nick hat zumindest nichts erwähnt.« Trotz meiner Nervosität freue ich mich wahnsinnig auf das Rennen. Das erste Mal seit Tagen habe ich das Gefühl wieder etwas zu empfinden und mich aus meiner Wattewolke zu bewegen.

Wir biegen von der Hauptstraße aus mehrmals ab und erreichen schließlich eine kleine Gasse. Es gibt hier keine Laternen, sodass ich das Fernlicht einschalten muss, um besser sehen zu können. Links und rechts von uns sind alte Lagerhallen und das Geräusch meines kräftigen Motors hallt wundervoll zwischen den Wänden. Für mich ist das wie Musik in den Ohren.

»Irgendwie ist das total gruselig. Ich komme mir vor wie in einem Actionfilm«, sagt Zoe mit weit aufgerissenen Augen, was mich etwas belustigt. Sie hat echt Schiss...

In ein paar Metern Entfernung kann ich eine beleuchtete Lagerhalle entdecken. Das Licht dringt aus den kaputten Fenstern im oberen Stock.

»Sieh nur... Ich glaube wir sind da!«, sage ich und kann meine Freunde nicht mehr verbergen. »Hier gibt es sicher richtig heiße Karren«, ergänze ich. Zoe rollt nur genervt mit den Augen und knetet ihre Hände im Schoß.

Ich lasse meinen Porsche durch das Tor der Lagerhalle fahren und sorge mit einigen Gasstößen für die entsprechende Aufmerksamkeit. Niemand weiß, dass hier eine Frau aussteigen wird. Das belustigt mich. Zoe hat sich extra herausgeputzt. Sie trägt eine dunkle Jeans und flache Overknee-Stiefel. Dazu ein schlichtes weißes Oberteil, das einen tieferen Ausschnitt hat und entsprechenden Einblick gewährt. Ihre Haare trägt sie offen. Kein Vergleich zu meinem Look.

In der Halle stehen um die zwanzig Autos. Dabei handelt es sich um richtig heiße Sportwagen. In der Mitte kann ich Nick entdecken, der an seinem orangenen Lamborghini lehnt. Ich parke meinen Porsche nicht unweit von ihm und steige gemeinsam mit Zoe aus dem Wagen. In der Halle läuft laute Musik. Möglicherweise kommt diese aus einem der Autos. Die Menge dreht sich zur mir um. Ich falle in meinem lässigen Look wohl auf. Die restlichen Damen tragen hier nämlich einen Hauch von nichts. Ganz selbstbewusst schreite ich auf Nick zu und grinse ihn freudig an.

»Hey Nick.«

»Hi! Respekt, Allie. Ich dachte du kneifst«, sagt er und tätschelt mir lobend auf die Schulter.

»Das ist Zoe. Zoe? Das ist Nick«, stelle ich sie einander vor.

»Das sind ultra coole Autos! Gegen wen muss ich fahren?«, erkundige ich mich.

»Wird ausgelost. Vielleicht haben wir ja die Ehre!?«, lacht er.

»Ha! Das wäre mir ein Vergnügen. Wie sieht es mit einem Einsatz aus? Gibt es sowas?«

»Ja, aber das wird unter den Fahrer jeweils festgelegt.«

»Cool...« Ich lasse den Blick in der Halle umherschweifen und schaue mir die Autos an. An der Seite entdecke ich einen älteren Ford Mustang. Er ist schwarz und glänzt. Total genial diese Teile! Ohne weiter nachzudenken gehe ich direkt auf den Mustang zu und lasse Zoe bei Nick stehen. Der Besitzer hat gerade den Kopf unter die Motorhaube gesteckt und scheint letzte Kontrollen durchzuführen. Ich lasse meinen Finger am Lack entlangfahren und trete neben den Besitzer.

»Scharfes Auto. Wie viel PS hat der?«, erkundige ich mich.

»335 PS, er ist aus '68«, sagt der Besitzer und putzt sie die Hände ab. Dann lässt er die Motorhaube zufallen und blickt mich an. Fuck! Es ist Kielan! Mein Gesicht wird sofort rot.

Auf sein Gesicht stiehlt sich ein Grinsen.

»Hi Allie, schön dich zu sehen«, sagt er und grinst dabei spitzbübisch. Ich bin so geflasht und gar nicht in der Lage zu antworten. Woher kennt er meinen Namen?

Ein lauter Ton ertönt und Nick klettert auf die Ladefläche eines Pick-Up's. Es geht also los und mir bleibt keine Zeit für weiteres Gedankenchaos.

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