Kapitel 39

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»Sieht gar nicht übel aus«, sage ich zu Maureen als ich meine Mahlzeit in der Mittagspause begutachte.
»Jap. Die geben sich hier echt viel Mühe. Und mal ganz ehrlich. Bei den monatlichen Kosten hier, die unsere Eltern zahlen, wäre es auch eine Schande, wenn der Fraß dann noch schlecht wäre. Also nein, das Essen hier ist immer Spitze.«
Eine Gruppe Mädchen geht neben unserem Tisch entlang. Ein Mädchen davon stellt sich etwas in den Vordergrund und hebt sich von der Gruppe ab. Sie mustert mich abschätzig und fängt an zu grinsen. »Hab schon viel von dir gehört, Mrs New York. Ich hoffe du hast nicht vor lange zu bleiben?«, bringt sie hervor. Völlig perplex starre ich sie an. Mit so einem Auftritt habe ich auf diesem Internat nicht gerechnet. Vielmehr dachte ich, dass es hier viel langweiliger sei und es sowas wie Cliquen nicht gibt.

»Wieso sollte dich das interessieren?«, hake ich nach. Maureen verschluckt sich lautstark am Essen und hüstelt. Der Blick des Mädchens wird finsterer und sie kneift künstlich die Augen zusammen.
» Na dann will ich Dir das mal erklären, Schätzchen. Unser Internat steht für eine erstklassige Elite und so eine wie DU bringt nichts als Schande über uns. Skandale brauchen wir hier nicht. Also geh zurück zu deiner skandalösen Familie und deinem Society Freund, hier brauchen wir dich nicht.« Während sie das sagt, hat sie ihre Arme vor der Brust verschränkt.

»Ich hatte nicht vor länger als vier Wochen zu bleiben.«

»Gut«, sagt sie und wendet sich samt ihrem Gefolge ab.
Maureen starrt mich an. Hätte Sie noch Essen im Mund, wäre es ihr vermutlich heraus gefallen.
»Also erstens hättest du das nicht tun dürfen und zweitens wieso nur vier Wochen?«, plappert sie los.
»Zu erstens natürlich ich lasse mir das nicht gefallen und zu zweitens, weil ich wieder nach Hause möchte. Ich vermisse meine Familie und bin nur vorübergehend hier, bis sich alles wieder beruhigt hat.«
Maureen nickt verständnisvoll und isst weiter. Damit ist der Mittagsplausch erstmal beendet.

Verträumt verfolge ich halbwegs den Ausführungen des Lehrers und kritzle dabei in mein Heft. Geschichte war noch nie mein Ding. Allerdings bringt Mr. Carter die Inhalte deutlich spannender rüber als der Lehrer hier in London und dieser Akzent erst. Schnell schalte ich wieder ab und meine Gedanken schweifen zu Kielan ab. Was er wohl gerade macht? In New York ist es gerade morgens. Möglicherweise ist er gerade aufgestanden oder hat mal wieder eine schlaflose Nacht hinter sich, weil ihn mysteriöse Anrufe wachhalten. Oder er sitzt bereits im Flieger nach London. Bei letzterem Gedanken muss ich schmunzeln, da es so abwegig ist. In diesem Moment vibriert mein Handy.

Zoe, 14.12 Uhr:
Hi Allie! Wie geht es dir? Ich hoffe du überstehst den Wahnsinn. Sollen wir nachher skypen? Ich bin nach der Schule bei Sean aber vorher könnten wir telefonieren oder skypen.
Ich liebe dich!!!

Schnell schreibe ich ihr zurück und sage ihr eine Uhrzeit zum Skypen. Das wird eindeutig mein Highlight des Tages.

Gegen Nachmittag telefoniere ich erneut mit meiner Mom. Sie erzählt mir von Dads Arbeit im Senat und das Liam bald eine Benefizveranstaltung schmeißen wird. Na wie schön, dass wenigstens in New York wieder alles beim alten ist. Es interessiert dort niemanden außer Mom und Zoe, dass ich weg bin. Weder Dad noch Liam melden sich. Stattdessen veranstaltet er auch noch ein Benefiz-Tam-Tam. Unglaublich. Wenn das nicht auch wieder nur der PR zu liebe ist, fresse ich einen Besen.

»Geht es dir gut?«, fragt mich Maureen nachdem ich das Telefonat beendet habe und für zwei Minuten schweigend auf meinem Bett verweile.
»Äh, ja. Es ist nur... alle leben einfach weiter wie zuvor...Als wäre nichts passiert«
»Mhm... Und was sollten Sie deiner Meinung nach tun?«, fragt Maureen. Verwundert sehe ich sie an.
»Vielleicht mich anrufen oder naja trauern...«
Wir brechen beide in schallendes Gelächter aus und ich merke, wie blöd diese Art zu denken war. Natürlich soll meine Familie glücklich sein und weiterleben. Vielleicht kann ich dann sogar schneller wiederkommen.

»Danke, du hast recht, dass war doof von mir...«
»Na klar hab ich das. Sollen wir heute mal in den Ort gehen? Wir könnten ein Eis essen?«

»Sehr gerne! Musst du noch lernen oder kannst du schon los?«
»Ich bin bereit. Wir können mit dem Rad fahren! Lauren gibt dir sicher deins«

Wenig später radeln wir nebeneinander her ins Dorf. Es ist unglaublich idyllisch hier. So gar nicht wie in New York.
»Es ist so schön hier. So grün und ruhig!« Dabei stiehlt sich ein riesen Grinsen auf meine Lippen.
»Ja, ich weiß! Ich liebe diesen Ort.«
Im Ort angekommen, stellen wir unsere Fahrräder direkt vor der Eisdiele in den Fahrradständer. Maureen schiebt die von der Fahrt verrutschte Hornbrille weiter auf die Nase und geht hinüber zur Theke der Eisdiele. Das Wetter ist heute so sonnig, dass ein Eis gerade gut passt.

»Erdbeere und Malaga, bitte«, bestelle ich, als ich an der Reihe bin. »Aber bitte im Becher«
Ich mag diese trockenen Waffeln nämlich nicht. Maureen und ich setzen uns auf eine Bank und genießen unser Eis.
»Bist du eigentlich schon mal zu spät ins Internat gekommen?«, erkundige ich mich.
»Nein, noch nie. Aber Lauren ist das mal passiert«, sagt Maureen und leckt dabei genüsslich ab ihrem Eis.
»Und? Was passiert dann? Sperren Sie dich in den Luftabschneider wie bei dem Film Mathilda?«, pruste ich los. Maureen fällt ebenfalls mit ein.
»Nee, nicht ganz. Aber Lauren hatte vier Wochen Ausgeh- und Telefonverbot.«

»Oh mein Gott. Ohne Telefon könnte ich nicht überleben...«

Maureen schüttelt heftig den Kopf. Um nicht zu spät ins Internat zurückzukehren, machen wir und direkt wieder auf den Heimweg. Bloß nichts riskieren, ich will in dreieinhalb Wochen wieder nach Hause fliegen.

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