Kapitel 44

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Diese Nacht vergeht für mich schlaflos. Ich starre die Decke an und so unverschämt wie sie ist, starrt sie einfach nur zurück. Verzweifelt habe ich bereits versucht Schafe zu zählen und eine heiße Milch habe ich auch schon getrunken. Ohne Erfolg. Ich kann einfach nicht einschlafen. Mein Gehirn hört nicht auf zu denken. Schließlich bin ich absolut behütet aufgewachsen. Von kriminellen Machenschaften wusste ich bisher nichts. Na klar weiß man, dass es einen Schwarzmarkt gibt und Ecken die man bei Nacht meiden sollte, aber nie war es so real wie jetzt. Nachdem ich Kielan vorgehalten habe, dass er ein Killer sei, hat er mich nach Hause gefahren. Es war fast so, als wäre er sauer auf mich. Irgendwo ist das absolut verständlich, aber er muss doch auch verstehen das ich nicht sofort sage „Ok, weiter geht's!". Mein Magen gibt ein murrendes Geräusch von sich und es fühlt sich an, als hätte ich Steine verschlungen. Ein Druck der mich zu zerbrechen droht. Nachdem wir zu Hause angekommen waren, hat er nochmal deutlich gemacht, dass er mir das im Vertrauen erzählt hat. Absolut vertraulich. Ich kann also noch nicht mal mit Zoe darüber sprechen. Es gibt niemanden, der mir dabei helfen kann, außer ich mir selbst. Aber wie zum Teufel soll es weitergehen? Als Maureen mir empfohlen hat ihn zu vergessen, war das wahrscheinlich die beste Idee. Allein bei dem Gedanken entsteht ein weiterer ziehender Schmerz in meinem Bauch. Nein, das ist keine Option.

»Scheiße wie siehst du denn aus?«, lacht Liam mich aus, als ich am nächsten morgen die Treppe herunter trotte. »Na wie sehe ich denn aus?«, murre ich etwas verärgert. An jedem Tag hätte Liam wahrscheinlich eine total taffe Antwort bekommen, aber heute nicht. Heute will ich einfach meine Ruhe. Auf Liam's Stirn reihen sich besorgte Falten aneinander. » Was ist los mit dir?«, bohrt er weiter nach. »Nichts. Ich will einfach nur meine Ruhe. Hör auf mich zu ärgern, ich muss eh zur Schule.« Jetzt werden die Falten auf seiner Stirn noch größer. »Ähm, Allie? Es ist Sonntag. Nach meinem Wissen hat die Schule erst morgen wieder auf.«
Schnaufend lasse ich meinen Rucksack fallen. Verdammt. Wie verwirrt kann man nur sein.
»Was ist los bei dir? Spuck es aus. Sofort!«, fordert er und kommt auf mich zu. Bevor ich abhauen kann legt er beide Hände auf meine Schultern und begutachtet mich.
»Hat es was mit einem Jungen zu tun?« Ich nicke sanft, blicke ihm dabei aber nicht in die Augen. Nicht aus Scham, sondern viel mehr weil ich hoffe, er möge es endlich gut sein lassen.
»Hat Kielan dir weh getan? Allie... dann...«, knirscht er. »Nein. Quatsch!«, poltere ich heraus. »Ich will nicht, dass du so von ihm denkst.«
»Was ist passiert? Du bist völlig gerädert!«
»Ernsthaft Liam? Sonst interessierst du dich doch auch nicht für mein Leben«, sage ich und verdrehe genervt die Augen. Noch immer hält er mich an den Schultern fest. Sein Griff verstärkt sich. »Das denkst du von mir? Dass ich mich nicht um meine kleine Schwester schere?« Jetzt schüttelt er den Kopf.

»Du hast dich nicht einmal gemeldet als ich in London war. Niemand außer Mom!«, fluche ich.
»Darum geht es also? Allie... es... es tut mir leid ok? Ich hätte es tun sollen. Aber für mich war das auch eine neue Situation. Ich dachte, wenn ich dich anrufe, bekommst du noch mehr Heimweh. Bitte denk nicht, dass du mir egal seist.«
»Ok«, sage ich und schließe ihn in meine Arme. Wie von Zauberhand fange ich an zu schluchzen. Aber nicht so leise und zart, sondern wie ein Wasserfall, der von einem Sperrholz befreit wurde. In Strömen. »Was ist denn jetzt los. Allie?«, fragt Liam besorgt und streichelt mir über den Rücken. »Sollen wir in dein Zimmer gehen?«, erkundigt er sich weiter. Leider kann ich gerade nicht antworten, so sehr weine ich. »Ich... ich weiß nicht...was ich mach...machen...soll«, bringe ich schluchzend hervor. »Ich kann dir nicht helfen, wenn ich nicht weiß worum es geht«

»Kann ich nicht sagen... es... es ist ein Ge...Geheimnis« Nun zieht mich Liam von sich weg und starrt mich an. »Allie, ich weiß nicht in welcher Scheiße du da steckst. Aber wenn sie dein Herz angreift, dann musst du es beenden. Hörst du?«
»Sie... greift nicht mein Herz an... Aber... aber meine Sicherheit« Inzwischen schnauft Liam schwer. »Wenn Kielan dich in Schwierigkeiten bringt, beendest du das. Ist das klar?« Sein Ton hat eine Schärfe angekommen, die ich nur zu gut von meinem Vater kenne. »Nein. Du schreibst mir nichts vor!«
»Allie! Bitte. Ich will nur das du in Sicherheit bist. Wenn du dich davon nicht fernhälst, werde ich dafür sorgen!« Wütend reiße ich mich von ihm los und stapfe die Treppen wieder nach oben. Meinen Rucksack habe ich dabei fest zwischen meinen Armen eingeklemmt. »Allie...«, brüllt er mir hinterher, aber ehe er etwas Weiteres sagen kann, knalle ich meine Zimmertür zu und schmeiße mich erneut weinend auf mein Bett. Dieses Chaos muss aufhören.

In dieser Nacht schlafe ich um einiges besser. Allerdings nur aus Erschöpfung. Kielan hat sich seitdem nicht mehr gemeldet und auch Liam hat mich den restlichen Tag in Ruhe gelassen. Heute steht mein erster Schultag an und ich habe überhaupt keine Lust. Sowieso werde ich, nach den vergangenen Wochen in denen ich nicht da war, die Attraktion überhaupt und dann ist heute auch noch Cheerleader-Training. Was könnte es also noch besseres geben?

Ausnahmsweise treffe ich Zoe heute erst in der Schule, da sie Sean heute bringt. Mal wieder hat sie bei ihm übernachten dürfen. Ich kann es manchmal nicht fassen, wie unterschiedlich unsere Leben sind.

Während der Fahrt zu Windsor High drehe ich mein Radio auf volle Lautstärke. Mit hämmerndem Bass und ziemlichen hohem Tempo erreiche ich den Parkplatz und lege eine spontane Vollbremsung hin. Meine Gefühle kann ich gar nicht zusammenfassen. Wenn ich sage, dass ich insgesamt wütend auf das Leben bin, trifft es das ziemlich gut. Schnaufen trabe ich auf den Eingang zu, als ich dort Kielan entdecke. Er lehnt in Lederjacke und Sonnenbrille an die Steinmauern der Schule gelehnt. Ich muss mich absolut beherrschen nicht los zu sabbern.
»Was willst du hier?«, blaffe ich ihn schärfer an, als eigentlich gewollt.
»Ich mache hier ein Praktikum«, sagt er und grinst mich spitzbübisch an.
»Verarsch.mich.nicht.«

Kings of New YorkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt