Kapitel 1

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„Du wirst es gut bei deinem Vater haben.", behauptete meine Mutter und legte ihre Hand auf meine Schulter. „Ich möchte dort aber nicht hin. Hier ist mein Zuhause, hier sind meine Freunde und ich stehe kurz vor dem Abschluss. Meine Erinnerungen an Sam sind auch hier.", widersprach ich ihr und umklammerte den schwarzen Griff meines Koffers.

Über Sam zu sprechen war schwer für mich und daran zu denken, dass er nicht mehr bei mir war, brach mir das Herz. Er war meine große Liebe. Ich kannte ihn seit dem Kindergarten, er war die einzige Person der ich mehr vertraute als mir selbst. Und jetzt sollte ich von Seattle weg ziehen, um neu anzufangen. Aber wofür? Das würde nichts daran ändern, dass Sam gestorben war, nur weil ein Typ dachte, betrunken Auto fahren zu müssen.

„Du wirst in New York bestimmt neue Freunde finden, Liebes. Außerdem freut sich dein Vater, dich nach so langer Zeit, wieder sehen zu können.", redete meine Mutter auf mich ein.
„Ich werde dich vermissen.", sagte ich und meinte es mehr als ernst. „Ich werde dich auch vermissen, aber ich bin ja nicht aus der Welt. Wenn du mich brauchst, ruf mich einfach an."

Ich umarmte meine Mutter und sog das letzte Mal den vertrauten Duft von ihr ein. „Du wirst mir schrecklich fehlen. Und jetzt geh, bevor ich noch weine.", sagte sie und setzte ein gezwungenes Lächeln auf. Ich glaubte Tränen in ihren braunen Augen zu sehen.

Mit kleinen Schritten und gebrochenem Herz ging ich zu meinem Gate und zog meinen Koffer hinter mir her. Ich drehte mich noch einmal zu meiner Mutter um, bevor ich in das Flugzeug stieg und winkte ihr zu.
„Bitte steigen Sie jetzt ein, das Flugzeug wird in kürze starten.", forderte mich die Flugbegleiterin auf und grinste freundlich. Das Grinsen hätte sie sich wirklich sparen können.

Ich verdrehte meine Augen und betrat das Flugzeug. Der Sitzplatz A 14 war meiner. Ich ging mit schnellen Schritten durch den Gang und fand schlussendlich auch meinen Sitzplatz.

Kaum hatte ich das Gate verlassen, sah ich schon meinen Vater, der auf mich wartete. Er winkte mir zu und lächelte bis über beide Ohren. Daraufhin lächelte ich auch, obwohl ich rein gar nichts hatte um glücklich zu sein.
„Alice, endlich sehe ich dich wieder.", noch bevor ich darauf antworten konnte, schloss er mich in seine Arme und drückte mich fest.
„Papa ich bekomme keine Luft.", beklagte ich mich. Er hörte es anscheinend nicht, da ich mein Gesicht in seine Jacke gepresst war.
„Ich bekomme keine Luft!", sagte ich etwas lauter. Endlich hörte er es auch und löste sich.
„Oh tut mir Leid. Ich bin einfach so froh, dich wieder sehen zu können.", erklärte er. Es war auch ziemlich aufmerksam von ihm und es war verständlich, da wir uns seit fast zwei Jahren nicht mehr gesehen hatten.

Ich würde mich sicher auch freuen, aber ich war leer. Meine Gefühle existieren seit einem halben Jahr nicht mehr. Seit dem 21. November 2016, das ist der Todestag von Sam und somit der letzte Tag, an dem ich etwas gefühlt hatte.

„Komm gehen wir zum Taxi. Ich nehme deinen Koffer.", mein Vater wusste, dass ich Sam verloren hatte und behandelte mich wie alle anderen. Jeder redete mit mir, als würde ich gleich zerbrechen wie eine Vase, die auf den Boden fällt. Doch genau diese Art, wie Menschen mit mir umgingen, war der Grund weshalb ich doch etwas froh darüber war neue Leute kennenzulernen, die meinen Schicksalsschlag nicht kannten.

Ich folgte den schnellen Schritten meines Vaters und stieg in das gelbe Taxi, welches schon auf uns wartete. Mein Vater sagte dem Fahrer die Adresse und er fuhr los. Noch nie zuvor war ich in New York und bestaunte die Stadt umso mehr. Die riesigen Wolkenkratzer konnte man lange genug betrachten, da der Verkehr stockend war und wir jede paar Meter anhielten.

Doch nach einer halbstündigen Fahrt, kamen wir endlich bei dem Gebäude an, in dem mein Vater wohnte. Er wohnte im 12 Stock eines Hochhauses. Mit dem Aufzug fuhren wir nach oben und gingen in die erste Tür links.
Mein Vater schloss die Tür auf und bat mich herein. Ich trat in eine nicht besonders große Wohnung, aber mit einem Ausblick wie aus dem Bilderbuch. Der Blick auf den Central Park war atemberaubend.

„Dein Zimmer ist rechts den Flur entlang, die letzte Tür.", informierte mich mein Vater und stellte meinen Koffer ab. „Fühl dich wie Zuhause, mein Kind. Im Grunde ist es ja dein Zuhause.", er klang nervös.
„Papa, alles ist gut. Ich bin dankbar, dass ich bei dir wohnen darf.", sagte ich und zog meine Jacke aus. Er lächelte und kratzte sich am Hinterkopf.

„Ich muss jetzt wieder an die Arbeit. Falls du etwas brauchst, ruf mich einfach an.", erklärte er und eilte aus der Wohnung. Ich schaute ihm noch hinterher, bis die Tür zu fiel und wendete mich dann der Wohnung zu.
Mein Blick wanderte von links, wo die Küche war, nach rechts zu den Schlafräumen. Und gerade aus vor mir war das offene Wohnzimmer mit einer Glaswand mit der Aussicht auf den Central Park. Ich glaubte mich beim Lächeln erwischt zu haben und schüttelte meinen Kopf.

Mit kleinen Schritten zog ich meinen Koffer hinter mir her und folgte dem Weg zu meinem Zimmer. Als ich die letzte Tür des Flures öffnete sah ich ein perfekt eingerichtetes Jugendzimmer. Links stand ein großes Bett, mit Nachtischen auf beiden Seiten. Gegenüber des Bettes war ein langer und hoher Schrank, der in der Mitte einen Spiegel hatte. Rechts im Eck war ein Schreibtisch mit einem Laptop und einem Stiftehalter.

Ich stellte meinen Koffer neben den Schrank und ging am Bett vorbei, bis zu dem Balkon, der an mein Zimmer grenzte. Die weißen Vorhänge schob ich auf die Seite und öffnete die Balkontür. Eine kalte Prise kam mir entgegen und sorgte für eine Gänsehaut auf meinem Körper. Schnell schloss ich die Tür wieder und begann die Klamotten aus meinem Koffer in den Schrank zu räumen. Da war auf jeden Fall noch sehr viel Platz für weitere Klamotten, die ich sehr bald shoppen gehen wollte.

Nachdem ich fertig war, legte ich mich in mein Bett und dachte darüber nach, wie der erste Schultag auf der neuen High School wohl sein wird. Normalerweise wechselt man nicht mitten im Jahr die Schule, aber ich war nicht normal.

You're my bright light in the darkness Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt