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Nervös klopfte ich mit den Fingerspitzen auf den mohnroten Einband des Buches, das vor mir im Bett lag. Ich saß im Schneidersitz auf der gemusterten Bettdecke, mein Bein in der fleckigen Jogginghose, welche ich aus Verzweiflung seit mindestens zwei Tagen trug, zuckte immer wieder auf und ab, wie ferngesteuert.

„Quinn, bitte. Beruhige dich." Johannes Stimme drang aus dem Handy in meiner Hand direkt in mein Ohr und trotzdem nahm ich ihn nur dumpf, wie durch Watte, wahr. „Ich spüre deine Aufregung bis hier."

„Kannst du's mir verübeln? Ich bin die, die ihr Leben wegschmeißen kann." Ich klang gereizt. Ich war gereizt.

Er seufzte. „Du bist doch nicht alleine damit. Ich stecke genau so in der Sache drin wie du. Aber jetzt beruhige dich und warte ab, und selbst wenn, wir schaffen das irgendwie."

Ich unterdrückte ein genervtes Lachen.

Seit genau zwölf Tagen wartete ich auf Krämpfe, die nicht eintraten. Auf Übelkeit. Auf Blut. Dinge, auf die ich liebend gern verzichten könnte, normalerweise. Aber noch mehr verzichten konnte ich auf ein Kind. Ein Kind, das in meinem Bauch wachsen und wachsen würde, um sich irgendwann schmerzhaft aus mir heraus zu kämpfen und mir damit meinen Körper und meine Zukunft zu versauen. Nicht Johannes Körper, nicht Johannes Zukunft. Er wäre es gewesen, der fein raus war aus der Sache, wenn er sich dazu entschließen würde, nicht mehr jedes Wochenende herzufahren, wenn er merken würde, dass er genug zu tun hätte mit der Uni und den Freuden in seiner Uni-Stadt und dass eine von einer Schwangerschaft aufgequollene Freundin und ein schreiendes Baby nicht in sein Leben passen, während mein Leben eine Wendung voller Muttermilch, vollgeschissenen Windeln und Kotze nehmen würde.

Ich war gerade 18, vor Kurzem bei meiner Mutter ausgezogen, nachdem sie ihren neuen Freund Theo gebeten hatte, einzuziehen, welcher vermutlich eher für meinen, als für ihren Freund gehalten wurde.

Er war nett und ich gönnte Mom ihr neues Glück, aber er war jung, vielleicht zu jung, und ich war skeptisch.

Die Wohnung war zu klein für uns drei und ich hatte beschlossen, dass ich mehr als bereit war auf eigenen Beinen zu stehen, nachdem ich fast einen Monat lang versucht hatte, das unterdrückte Stöhnen aus Moms und nun auch Theos Schlafzimmer zu überhören und mich nicht über die hochgeklappte Klobrille aufzuregen.

Luise, meine beste Freundin, hatte mich in ihrer Wohnung willkommen geheißen. Sie war zu groß für sie alleine gewesen und zu teuer, aber die einzige Wohnung, die sie auf die Schnelle hier gefunden hatte, nachdem ihr Freund sie rausgeworfen hatte und so war ich ihr gerade recht gekommen.

Moms finanzielle Unterstützung und die Arbeit bei Cem im Spätkauf unten im Haus hielten mich über Wasser.

Es war kein besonders spannender Job, die meiste Zeit saß ich nur da, las ein Buch und wartete darauf, dass irgendwer vorbeikam, um Kippen, Bier oder eine Dose Erbsen zu kaufen.

Oft saß ich bei der Arbeit mit Cem zusammen; in den fünf Wochen, die ich jetzt während der Ferien bei ihm gearbeitet hatte, war er fast zu einer Art Kumpel für mich geworden. Er erzählte viel von seiner Frau Ela und seiner kleinen, lockigen Tochter Melek. Ich hatte beide kennengelernt, Ela war eine herzliche, tolle Frau und Melek ein herzzerreißend süßes Kind, aber selbst der Gedanke an sie konnte nicht verhindern, dass mir beim Gedanken an ein eigenes Baby schlecht wurde.

In ziemlich genau einer Woche wollte ich das letzte Jahr meines Abis anfangen. Ich wollte feiern. Ich wollte reisen. Ich wollte studieren. Ich wollte mein Leben leben.

Ohne dicken Bauch, ohne Kind.

Eine Tür knallte zu, Luise kam in mein Zimmer geschlittert und warf mir die rechteckige, rosa Packung beinahe an den Kopf. Vor Schreck, Spannung und vielleicht auch etwas Wut auf Johannes, der scheinbar nicht einsah, dass ich im Falle einer Schwangerschaft weitaus mehr Probleme haben würde als er, machte ich einen kleinen Satz in die Luft, was mir einen empörten Blick von Mister Maunz einbrachte. Er streckte sich, verlieh seiner Empörung noch einmal Ausdruck, indem er mir seinen Schwanz an den Arm peitschte und sprang vom Bett.

„Ich ruf dich zurück", murmelte ich in mein Handy und warf es in die Kissen.

Luise lächelte mich aufmunternd an, reichte mir ihre Hand und zog mich vom Bett. Ich seufzte.

„Lass es uns hinter uns bringen." Sie streichelte über meinen Rücken, beförderte mich sanft ins Bad.

Ich stand vor der Toilette, unsicher, was ich tun sollte, während Luise den Test auspackte.

Ich war ihr dankbar, ohne sie würde ich mich vermutlich immer noch heulend und fingernägelkauend im Bett vergraben, darüber nachdenkend, welche Zukunftsvision ich mit Baby würde streichen können.

Aber Luise war da, sie scherzte über Babyparties, dachte sich Babynamen aus, die sich zu dem Nachnamen Herbstlich noch schlimmer anhörten als Quinn (wofür ich meine Mutter wirklich hasste) und war schlussendlich losgegangen, um diesen Test zu besorgen.

„Was ist?", fragte sie und musterte mich skeptisch, „Pinkelst du selbst oder muss ich das auch übernehmen?"

Zögernd zog ich meine Jogginghose runter, nahm Luise den Test ab und hockte mich darüber.

Es passierte nichts.

Ich dachte an die gefühlten drei Liter Wasser, die ich vorher als Vorbereitung für diesen Test in mich reingekippt hatte, dachte an prasselnden Regen, an Wasserfälle. Tippte wieder nervös mit den Fingern, die nicht den Test hielten, der meine Zukunft bestimmen würde, auf den Badewannenrand. Sah entschuldigend zu Luise, die die Augen verdrehte und den Wasserhahn aufriss. Da endlich fing es auch bei mir an zu laufen. Ich schielte ins Klo, wollte sichergehen, den Teststreifen auch wirklich zu treffen.

Während ich mir die Hose wieder hochzog und die Hände wusch, starrte Luise auf den Test in ihrer Hand, trat unruhig von einem Bein aufs andere. Sie schien fast so aufgeregt zu sein wie ich.

Ich verließ das Bad, lief kurz unschlüssig im Flur hin und her und setzte mich dann in die Küche, die Beine hochgezogen, das Kinn aufs Knie gestützt.

Ich wollte mich verstecken. Vor dem Ergebnis.

Dachte wieder und wieder darüber nach, was passieren würde, sollte ich wirklich schwanger sein.

Als ich aufblickte stand Luise im Türrahmen. Sie hatte einen Gesichtsausdruck aufgesetzt, den ich nicht ganz deuten konnte und seufzte, während sie sich eine blonde Strähne hinter das Ohr schob, das Zeichen dafür, dass es wirklich ernst war. Mein Herz rutschte mir in die Hose.

Ihr Mundwinkel zog sich in die Höhe, als sie zum Sprechen ansetzte. „Da ich ja sowieso Patentante werde, könntest du es doch nach mir benennen. Karlotta Herbstlich, wie hört sich das an?"

Ich spürte, wie mir jegliche Farbe aus dem Gesicht wich. Ich war schwanger.

Scheiße.

Scheiße, scheiße, scheiße.

Ich klemmte meinen Kopf zwischen meine Knie, raufte mir verzweifelt die Haare.

Erst als Luise lachend auf mich zukam und mir einen Klaps auf den Oberarm gab, wurde mir klar, dass sie versucht hatte mich hereinzulegen. Und es war ihr gelungen.

Ich sprang auf, woraufhin mein Stuhl mit einem Knall zu Boden fiel und Mister Maunz mich zum zweiten mal heute erbost ansah.

„Luise Karlotta Schmidt!", schrie ich und lief Luise hinterher, die zu flüchten versuchte, „Ich hasse dich!"

Sie erreichte ihr Zimmer, ich bremste kurz hinter ihr ab und warf sie auf ihr Bett, mich direkt hinterher. Ich kniete mich über die kichernde Luise und warf ihr ein Kissen ins Gesicht, bevor ich mich erleichtert auf den Rücken fallen ließ.

Roth wie der Mohn (lehrerinxschülerin)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt