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Ich saß im Schneidersitz auf meinem Bett und malte mit dem Finger das Muster der Bettwäsche nach, griff immer wieder zu meinem Handy, um es schließlich doch liegen zu lassen und überlegte, was ich Johannes sagen sollte. Aber mir fiel nichts ein, was ihm nicht das Herz brechen würde. Und das wollte ich wirklich nicht. Johannes war alles in allem eigentlich ein toller Freund und ich hätte mich vermutlich glücklich schätzen sollen, ihn an meiner Seite zu haben. Er war immer ehrlich und zuverlässig und ich hätte ihm ohne zu zögern mein Leben anvertraut, weil ich wusste, er würde mich nicht fallen lassen. Und das war genau das, was ich jetzt vorhatte - ihn fallenlassen. Es tat mir leid, aber gleichzeitig dachte ich, dass er mit einem Mädchen zusammen sein sollte, das ihm die Liebe geben konnte, die er verdiente. Unabhängig davon, ob mir der Schlussstrich nun leicht fiel oder nicht, wäre es nicht fair gewesen, ihm im Weg zu stehen bei der Möglichkeit jemanden kennenzulernen, der ihn schätzte und glücklich machen wollte.

Links von mir lag Luise mit angezogenen Beinen, das eine über das andere geschlagen und wippte mit dem Fuß in der Luft. Sie sagte nichts, drängte mich nicht dazu, es jetzt hinter mich zu bringen, sondern ließ mir die Zeit die ich brauchte und lächelte mich ab und zu aufmunternd an. Auf meiner anderen Seite lag Mister Maunz, eingerollt zu einem schwarzen Knäuel, den Kopf abgelegt auf meinem Bein und schnurrte immer mal wieder, als würde auch er mich in meinem Vorhaben unterstützen wollen.

Ich atmete tief durch und nahm das Handy in die Hand, öffnete den Kontakt und starrte für ein paar Sekunden auf das Bild, mit dem ich seine Nummer abgespeichert hatte. Es zeigte ihn und mich in einem Tretboot sitzend auf einem See, der auf dem Foto das gleiche Blau hatte, wie seine Augen, die in die Kamera strahlten. Ich lehnte an seiner Schulter und grinste in die Kamera, sah wirklich glücklich aus. Es war eins der schönsten Bilder von uns und bestimmt schon zwei Jahre alt und ich rief mir wieder in Erinnerung, dass ich jetzt nicht mehr so glücklich war wie damals und dass die Trennung eine gute und richtige Entscheidung war. Aber meine Selbstsicherheit und Überzeugung von heute morgen waren irgendwie verschwunden. Mit einem Seufzen legte ich das Handy wieder weg.

„Wie macht man möglichst schmerzlos mit jemandem Schluss, Luise?"

Sie sah mich kurz nachdenklich an. „Ich weiß nicht. Ich glaube, Schluss machen ist immer schmerzhaft, egal wie du es tust. Aber es ist besser, als jemandem etwas vorzumachen."

Ich nickte, wusste, dass sie recht hatte und dass es vermutlich keinen Unterschied machen würde, wie ich es ihm sagen würde, verletzen würde es ihn auf jede Art und Weise.

„Aber... man kann jemanden, mit dem man vier Jahre lang eine Beziehung geführt hat doch nicht einfach am Telefon abservieren."

„Schatz, das haben wir jetzt schon drei Mal durch. Wäre es fairer, ihn herfahren zu lassen, um ihm zu sagen, dass es vorbei ist?"

Und wieder hatte sie recht. Es brachte nichts, sich weiter den Kopf darüber zu zerbrechen, ich sollte einfach die Zähne zusammenbeißen und es hinter mich bringen. In dem Moment tippte Mister Maunz mich mit seiner Pfote an. Das war wohl ein Zeichen.

„Okay. Okay, ich mach's."

Erneut öffnete ich den Kontakt und bevor ich es mir noch einmal anders überlegen konnte, drückte ich den grünen Hörer. Meine Fingerspitzen trommelten auf meinen Oberschenkel, während ich darauf wartete, dass er ranging und ich kniff die Augen zusammen.

Luise machte Anstalten aufzustehen, um mich in Ruhe telefonieren zu lassen, aber ich hielt sie am Arm zurück. „Bleib hier", formte ich lautlos mit den Lippen und drückte ihre Hand und da hörte mein Handy auf zu tuten, was wohl das Zeichen dafür war, dass Johannes den Anruf angenommen hatte.

„Quinn?", seine Stimme klang unsicher, „ich dachte, du wolltest erstmal keinen Kontakt." Ich hatte ihm auf seine Nachricht heute morgen und die zwei weiteren SMS in denen er mich darum bat, doch mit ihm zu reden, nicht geantwortet.

„Ja, nun... ich hab's mir anders überlegt." Ich hörte ihn schon erleichtert aufatmen und schob schnell hinterher: „Also, damit meine ich nicht, dass ich jetzt nicht mehr keinen Kontakt will, ich..." Ich stockte. Scheiße, das war noch schwerer, als ich vermutet hatte.

„Was meinst du damit?" Er wirkte unsicher, aber wer wäre das nicht gewesen in seiner Situation?

„Ich meine... vielleicht sollten wir uns nicht mehr sehen."

„Vielleicht?"

„Nein, nicht vielleicht. Scheiße, Johannes, es tut mir leid, wirklich. Hör zu, mir ist- ''

„Was tut dir leid, Quinn? Willst du mir gerade sagen, dass Schluss ist zwischen uns?" So kannte ich seine Stimme nicht. Er hörte sich sauer an, ganz klar, aber da war noch etwas anderes. Weinte er? Erst jetzt fiel mir auf, dass ich Johannes in unserer gemeinsamen Zeit nie weinen gesehen hatte. Ich wusste nicht, wie er sich anhörte, wenn er weinte, und das überforderte mich für einen Moment.

Ich atmete tief ein und aus, bevor ich ein leises „Ja" von mir gab.

Luise hielt immer noch meine Hand, streichelte sie beruhigend und zu wissen, dass meine beste Freundin hier war und mich unterstützte, bei allem was ich tat, gab mir Mut.

„Ja", sagte ich noch einmal lauter, „ich denke das wäre das Beste."

Und ohne ein weiteres Wort legte Johannes einfach auf. Ich weiß nicht, womit ich gerechnet hatte, aber das war es irgendwie nicht. Dieses Gespräch und dass er einfach auflegte, das hatte ich nicht vorhergesehen. Ich verstand es, natürlich, es tat ihm weh. So sehr, dass er wahrscheinlich gerade weinte, und dieser Gedanke trieb mir die Tränen in die Augen.

Luise zog mich in ihre Arme, war einfach da, sagte nichts und streichelte mir den Rücken. Meine Tränen durchnässten ihr Shirt und ich wusste nicht einmal genau, wieso ich überhaupt weinte. Es war nicht nur Mitleid, es war auch... Verunsicherung. Aber da war auch Erleichterung, ganz klar und das sagte mir, dass es genau richtig war, diese Beziehung zu beenden.

Als wir später mit einem Bier in der Hand auf dem Balkon saßen und ich an meiner Zigarette zog, musste ich wieder daran denken, wie Frau Roth mich vorhin beim Rauchen angesehen hatte und wie ich mich unter ihrem Blick fühlte. Allein der Gedanke daran löste ein sanftes Kribbeln in mir aus und vor meinem inneren Auge sah ich sie wieder vor mir stehen, wie in meinem Traum, in dem wir an der Bar im Club standen und sie mir so nah gekommen war. Mari. Ich wollte sie lieber als Mari sehen, als als Frau Roth. Lieber als die Frau, die mich im Späti damit aufzog, dass ich zu sehr in mein Buch vertieft war um sie zu bemerken, als als meine Lehrerin. Ich dachte an die blonde Frau im Club und wie sie sie berührt hatte und verspürte einen leichten Stich. War das Eifersucht? Eifersucht, die ich in meiner Beziehung zu Johannes nie gespürt hatte. Was auch daran liegen konnte, dass er mir nie einen Grund zur Eifersucht gab, aber auch der liebevolle Umgang zwischen ihm und seiner besten Freundin hatte mich nie gestört. Aber als ich mir Maris Hand wieder an der Hüfte der blonden Frau vorstellte, die ihr so nah zu sein schien, fühlte ich mich schlecht.

„Luise?", fragte ich zögernd.

„Hm?"

Ich nahm noch einen Schluck von meinem Bier. „Wie ist es, eine Frau zu küssen? Ist es anders?" Ich wusste, dass sie vor einiger Zeit beim Feiern öfter einem Mädchen näher kam, mit dem sie befreundet gewesen war, aber als diese ihr sagte, sie hätte sich in sie verliebt, ging die Freundschaft zwischen den beiden in die Brüche.

Sie guckte nachdenklich bevor sie antwortete, zuckte die Schultern.

„Sie riechen anders, das mochte ich immer an Nicki. Sie hat immer so gut gerochen, nach Vanille und irgendwie blumig. Und sie sind weich. Ihre Lippen sind weich und ihre Körper sind weich." Sie lächelte, halb versunken in Gedanken an die Zärtlichkeiten, die sie mit Nicki ausgetauscht hatte. „Es war wirklich schön. Aber eben nicht das gleiche, wie mit Jungs. Diese Aufregung und das Kribbeln das ich habe, wenn zum Beispiel Lukas mich küsst, das hat mir bei ihr gefehlt."

Ich dachte darüber nach was sie sagte und darüber, dass Johannes nie Nervosität oder Kribbeln in mir ausgelöst hatte. Es hatte mir nie wirklich gefehlt, so wie Luise sagte, aber vielleicht lag das daran, dass ich es einfach nicht anders kannte. Johannes gab mir Sicherheit, ich konnte bei ihm einfach ich selbst sein und alles war so vertraut, weil wir eben schon so viel Zeit miteinander verbracht hatten. Aber das, was allein Maris auf mir ruhender Blick oder ihr Schmunzeln mit mir machte, hatte ich so bei ihm nie empfunden.

Vielleicht wurde es langsam Zeit mir einzugestehen, dass ich auf Frauen stand. Und vielleicht wurde es langsam Zeit mir einzugestehen, dass ich gerade dabei war, mich wirklich und wahrhaftig in eine ganz bestimmte Frau zu verlieben.

Roth wie der Mohn (lehrerinxschülerin)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt