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Irgendwie hatte Anthea es geschafft, Mari zu überreden, den Abend mit uns zu verbringen. Ihre Argumente lauteten, neben der Tatsache, dass das Wochenende bevor stand, Bier und Pizza, aber ich war ziemlich sicher, dass Mari vor allem genau wie ich die Aussicht genoss, den Abend mit mir gemeinsam mit anderen Leuten zu verbringen. Keine Frage, die Zeit, die wir zu zweit verbrachten war unglaublich schön, aber der Gedanke, auch vor anderen Menschen unsere Rollen als Schülerin und Lehrerin ablegen zu können, war verlockend.

Trotzdem war ich unwahrscheinlich nervös. Seit zwanzig Minuten tigerte ich im Wohnzimmer auf und ab, was meine Freunde belustigt beobachteten.

„Was ist denn los mit dir?", fragte Luise, der wir inzwischen berichtet hatten, was im Kunstraum passiert war und die mich daraufhin beinahe mit ihrer festen Umarmung erdrückt hatte und vor Freude fast an die Decke gegangen war, als sie erfuhr, dass sie Mari endlich persönlich kennen lernen würde. „Es ist doch nicht das erste Mal, dass ihr euch außerhalb der Schule trefft."

„Ich weiß", seufzte ich, während ich gerade den Couchtisch umrundete und dabei gerade noch einen Schritt zur Seite machen konnte, um Mister Maunz nicht auf den Schwanz zu treten, der es sich wohl unter dem Sofa bequem gemacht hatte. „Aber es ist irgendwie was anderes, wenn ihr dabei seid."

Das Geräusch der Klingel ließ mich zusammenschrecken und ich lief automatisch noch einen Schritt schneller. Lukas griff nach meinem Arm und zog mich hinter dem kleinen Tisch hervor, um mich sanft in den dahinter stehenden Sessel zu drücken, während Anthea auf dem Weg zur Tür war. Er streichelte meinen Arm und sah mich mit seinen warmen Rehaugen an, die mich augenblicklich etwas ruhiger werden ließen.

„Entspann dich", flüsterte er, „wir alle freuen uns für euch. Wenn hier überhaupt jemand einen Grund hat aufgeregt zu sein, dann ist es Mari."

Doch Mari kam gerade herein und schien die Ruhe in Person zu sein. Sie lächelte uns entspannt der Reihe nach an, als sie das Wohnzimmer betrat, ging lässig aufs Sofa zu, auf dem Luise saß und reichte ihr zur Begrüßung die Hand.

„Hey, ich bin Mari", sagte sie, ruhig und auf den Punkt und souverän, so wie man es von ihr kannte, und aus ihrer Stimme war nicht das klitzekleinste Bisschen Nervosität herauszuhören.

Wie zur Hölle machte diese Frau das bloß? Ich saß hier, in meiner eigenen Wohnung, umgeben von meinen Freunden, und sie schaffte es, mich so sehr aus der Fassung zu bringen, dass meine Finger schon wieder auf der Lehne des Sessels trommelten. Sie hingegen kam in eine Wohnung, in der drei ihrer Schüler und eine Fremde saßen und alle wussten, dass sie mit mir schlief, hatten sie teilweise sogar dabei gehört, und trotzdem war sie cool, lässig, tiefenentspannt.

Um dem Ganzen die Krönung zu verpassen, kam sie schmunzelnd auf mich zu beugte sich zu mir, um mir einen kurzen Kuss auf den Mundwinkel zu geben, bevor ich überhaupt zu einem Entschluss gekommen war, wie ich sie begrüßen sollte. Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt setzte sie sich vor mich auf den Sessel, zwischen meine Beine, und lehnte sich mit dem Rücken an meinen Oberkörper.

Anthea, Lukas und Luise saßen uns gegenüber aufgereiht auf der Couch und grinsten uns an und ich konnte nicht anders, als zurück zu grinsen. Es war unglaublich, wie Mari es schaffte, mich mit jeder Sekunde mehr um den Finger zu wickeln. Immer wieder aufs Neue schaffte sie es, mich zu beeindrucken, mich zu überraschen, mich sprachlos dastehen zu lassen.

Ich schlang die Arme um ihren Bauch, zog sie noch näher zu mir heran und atmete tief den Kokosgeruch ihrer fuchsroten Haare ein. Ohne ihr Gesicht zu sehen, wusste ich, dass auch sie lächelte.

Lukas holte Bier, Luise bestellte Pizza und Anthea saß da und beobachtete uns mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck.

Alle waren einfach so normal, es fühlte sich an, als wäre Mari einfach irgendjemand, den ich gerade datete, den ich vielleicht im Club oder beim Eis essen oder im Park kennengelernt hatte, niemand verhielt sich so, als wäre sie unsere Lehrerin. Niemand verlor auch nur ein Wort darüber, niemand machte ein Ding daraus, dass Mari dreizehn Jahre älter war als wir, es fühlte sich einfach alles so normal an. So richtig. Wir saßen da, lachten zusammen, aßen unsere Pizza, tranken unser Bier, Mari erzählte Anthea überschwänglich von ihrem besten Freund Felix, den Anthea unbedingt kennenlernen wollte, weil Mari behauptete, er wäre genau wie sie und sicher war, dass sie sich wahnsinnig gut verstehen würden. Luise und Lukas ließen sich von der Nähe zwischen Mari und mir anstecken und hielten schüchtern Händchen, was ich zum ersten Mal bei den beiden sah. Anthea erzählte von Barbekanntschaften, deren Namen sie nicht mehr wusste, dafür aber andere lustige Details. Ich saß einfach da und genoss die lockere Stimmung, Maris vibrierendes Lachen an meinem Körper, die Wärme ihres Rückens, die Unbeschwertheit, mit der sie mit meinen Freunden scherzte.

Roth wie der Mohn (lehrerinxschülerin)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt