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Wie von selbst hob sich meine Hand und nahm ihre, die noch immer an meiner Wange ruhte. Ich konnte nichts dagegen tun, ich dachte nicht nach, mein Körper bewegte sich von selbst. Wie ferngesteuert. Mein Hirn hatte sich restlos verabschiedet.

Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, die wir einfach nur da standen, ihre Hand in meiner, und uns schweigend ansahen. Ich war eingehüllt von ihrem Duft, das einzige was ich noch hörte war unser Atem und ich könnte schwören, dass ihrer genau wie meiner etwas schneller ging als normal.

Wie in Trance ging ich noch einen kleinen Schritt auf sie zu, wir waren uns jetzt so nah, dass unsere Brüste sich beinahe berührten und mein Herz raste so sehr, dass ich dachte, sie müsse es bemerken.

Ich war versunken im Honigbraun, konnte jeden kleinen Sprenkel, jedes noch so kleine Muster in ihren Augen besser erkennen, als jemals zuvor, und Gott, sie waren so schön. Sie waren so leuchtend und warm und in diesem Moment der Nähe zwischen uns war ihr Blick so unglaublich weich.

Sie biss sich leicht auf die Lippe, was meinen Blick auf ihren Mund zog, der die Farbe von Mohnblüten hatte und so hübsch geschwungen war und ich wollte sie küssen, wollte ihre Lippen auf meinen spüren, sie schmecken.

Dann schob sie mich sanft von sich, der Moment war vorbei und ich erwachte aus meinem wie hypnotisierten Zustand.

Sie lächelte noch einmal, aber es war anders als sonst. Da war nicht dieses Zucken ihrer Mundwinkel, da war nicht dieses Spöttische, das sonst jedes ihrer Lächeln begleitete und sie schien mich nicht mehr wirklich anzusehen, sondern irgendwie durch mich hindurch. Und schneller, als ich realisieren konnte, was hier gerade passiert war, war sie auch schon durch die Tür gelaufen und um die Ecke verschwunden.

Ich stand noch immer da wie angewurzelt, spürte noch immer ihre Fingerspitze an meiner Wange und ihre Hand in meiner und die Berührung an meiner Schulter, mit der sie sich von mir entfernt hatte. Ich spürte sie überall, zusammen mit dem Kribbeln, das sie in mir und auf meiner Haut, mit jedem Blick, jeder Berührung, hinterließ. Ich hatte keine Ahnung, wie lang wir uns da so gegenüber gestanden hatten, es fühlte sich an wie Minuten, aber ich war mir sicher, es konnte nur ein kurzer Moment gewesen sein.

Abends saß ich, wie üblich am Wochenende, mit Anthea, Lukas und Luise auf dem Balkon. Luise und Lukas saßen heute tatsächlich ziemlich dicht beieinander, redeten die meiste Zeit über leise miteinander, und lachten immer wieder zusammen. Sie sahen so glücklich aus, strahlten sich an und ich freute mich von ganzem Herzen für die beiden, aber irgendwo tief in meinem Inneren gab es mir einen leichten Stich. Ich hatte den ganzen Tag über immer wieder an den Augenblick mit Frau Roth denken müssen und ich wollte glücklich darüber sein, weil es sich so gut angefühlt hatte, aber ich rief mir immer wieder in Erinnerung, dass sie meine Lehrerin und außerdem in festen Händen war. Und genau das war der Grund, aus dem die Zweisamkeit von Lukas und Luise für mich einen bitteren Beigeschmack hatte. Das war es, was ich mit Mari erleben wollte. Ich wollte abends mit ihr auf dem Balkon nebeneinander sitzen, so nah, dass sich unsere Arme leicht berührten. Ich wollte ihr beim Erzählen zuhören und ihr Dinge erzählen und mit ihr lachen. Mit ihr einfach nur da sitzen, ein Glas Wein trinken und eine Zigarette rauchen, während die Luft um uns herum sich langsam abkühlte. Aber all das würde nicht passieren, all das waren Sachen, die sie mit der blonden Frau aus dem Club erlebte und nicht mit mir. Ihrer Schülerin.

Ich seufzte leise, nahm einen Schluck Wein und zündete mir eine Zigarette an. Ich spürte Antheas fragenden Blick auf mir ruhen, aber sie sagte nichts und so sagte auch ich nichts, sondern saß einfach nur da, inhalierte und pustete den Rauch aus und inhalierte wieder, bis ich am Filter angekommen war und die Kippe im Blumentöpfchen neben mir ausdrückte.

Roth wie der Mohn (lehrerinxschülerin)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt