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Johannes streichelte mir über den Bauch.
„Wäre doch eigentlich ganz süß gewesen, oder? Ein kleines Jo-Quinn-Baby."
Er grinste, woraufhin ich ihm gegen den Oberarm boxte.
„Halt den Mund."
Er zog mich im Gehen näher an sich, ich spürte seine schwitzige Hand an meinem Rücken und leckte an meinem Pistazieneis.
Es war heiß, mein mohnrotes Kleid klebte an mir. Das Wetter hatte noch genau vier Tage Zeit, sich etwas abzukühlen, denn ich hatte keine Lust, klebrig und schwitzend zwischen anderen klebrigen und schwitzigen Körpern in der Bahn zur Schule zu fahren, um dort mit meinen klebrigen und schwitzigen Mitschülern stundenlang in heißer, stickiger Luft im Unterricht zu sitzen.
Vier Tage, die ich mit Johannes verbringen würde, bis er die 324km zurück nachhause fahren würde, um weiter zu studieren, und am Freitag darauf 324km zu mir und am Sonntag wieder zurück zu fahren. Wochenende für Wochenende.
Ich freute mich auf diese vier Tage mit ihm und auf das Wochenende danach und das Wochenende danach, denn als seine Freundin sollte ich mich schließlich darüber freuen, nicht wahr? Darüber, dass er sich jede Woche aufs Neue in sein kleines, schwarzes Auto setzte und sich durch den Stau zu mir kämpfte, um Zeit mit mir zu verbringen. Darüber, dass er sich mit meinen Freunden verstand, mit uns ins Kino ging und uns auf Parties begleitete. Darüber, dass seine schwitzige Hand trotz 32 Grad auf meinem schwitzigen Rücken lag.
Nach drei Jahren Beziehung, in denen er noch hier wohnte, waren wir es immerhin gewohnt, viel Zeit miteinander zu verbringen, weshalb sich diese Wochenendroutine wie von selbst ergab, als er zum Studieren die Stadt verlassen hatte.

Ich seufzte leise, als ich an den Streit dachte, den wir vorgestern am Telefon hatten, nachdem ich ihm von dem negativen Test erzählte. „Na siehst du", hatte er gesagt, „ich hab dir doch gesagt, dass du dich nicht verrückt machen sollst." Sein „Ich hab es dir doch gesagt" hatte mich die Augen verdrehen lassen. Ich hatte mich nicht verstanden gefühlt, nicht ernstgenommen. War trotz der Erleichterung über das negative (und für mich doch so positive) Testergebnis sauer darüber, dass er nicht einsah, dass es mein Leben stärker beeinflusst hätte, als seins. Darüber, dass er nicht verstand, dass es für ihn nicht die selbe Verantwortung bedeutet hätte, wie für mich. Darüber, dass er keinen Gedanken daran verschwendete, dass mein Vater meine Mom verlassen hatte, als er von ihrer Schwangerschaft erfuhr, und ich das gleiche befürchtet hatte.
„Du hattest ja auch kaum einen Grund, dich verrückt zu machen. Du hättest es nicht neun Monate im Bauch und für den Rest deines Lebens an der Backe gehabt", fuhr ich ihn an.
Es hatte nicht lang gedauert, bis wir lauter wurden, uns anzickten, ins Wort fielen und er schließlich auflegte.

Aber jetzt war er hier bei mir und ich hatte statt einem Kind im Bauch eine Eiswaffel in der Hand und er suchte meine Nähe, also war ich glücklich.
Denn das ist die normale Gefühlsreaktion auf einen schönen Sommertag im Park und Eis und den Freund an der Seite.
Ich versuchte mich zusammenzureißen und lächelte ihn an, so liebevoll ich konnte.


Zum Glück hatte es sich etwas abgekühlt, als ich abends mit Luise, Anthea und Lukas auf dem kleinen Balkon saß, den man durch unsere Küche erreichen konnte.
Frisch geduscht und leicht angeheitert von dem zugegebenermaßen ziemlich schlechten, dafür aber günstigen Weißwein, den Anthea mitgebracht hatte, saß ich zufrieden auf einem der dicken, bunten Kissen und schnipste die Asche von meiner halb aufgerauchten Zigarette. Ich legte den Kopf in den Nacken und pustete den Rauch aus meinen Lungen, sah ihm hinterher, bis er verpuffte.
Ich versuchte möglichst unauffällig Lukas und Luise zu beobachten, weil ich wusste, wie süß Luise ihn fand und hoffte, dass er es auch endlich bemerken würde.
Sie strich sich andauernd die blonden Haare hinters Ohr und ich konnte die leichte Nervosität aus ihrem Lachen heraushören, wenn Lukas etwas erzählte.
Ich spürte ein Stupsen am Fuß und machte mich dafür bereit, Mister Maunz als Kletter- und Kuschelobjekt zu dienen, aber als ich aufsah, sah ich direkt in Antheas graue Augen und mir wurde klar, dass sie es war, die meine Aufmerksamkeit wollte.
„Hey Quinn, wieso ist Johannes eigentlich nicht hier? Ich kann mir kaum vorstellen, dass er dir freiwillig auch nur einen Zentimeter von der Seite weicht, wenn er schonmal da ist."
Sie grinste und ich grinste zurück, froh darüber, einen Abend mit meinen Freunden zu verbringen, ohne Johannes witzige Sprüche, ohne dass den halben Abend über ihn und sein Studium geredet wurde.
Ich weiß, es klingt vielleicht unfair und ich genoss die Zeit mit ihm alleine, aber bei meinen Freunden stellte er sich gern in den Mittelpunkt und nervte mich damit irgendwie.
„Seine Familie hat ihn zum Essen eingeladen", antwortete ich knapp und spürte kurz einen leichten Stich, nicht mit ihm eingeladen worden zu sein. Er konnte nicht wirklich etwas dafür, aber seine Familie hatte mich trotz der inzwischen vier Jahre Beziehung nicht richtig aufgenommen, jedenfalls nicht so, wie ich es von Freunden kannte und er versuchte nicht wirklich, etwas zu tun, um das zu ändern. So sprach ich seine Eltern noch immer mit Herr und Frau Mensching an und übernachtet wurde nur bei mir.
„Freut ihr euch schon auf die Schule?", fragte Luise mit einem neckischen Grinsen im Gesicht und ich war froh über den schnellen Themenwechsel.
Sie zog uns gern damit auf, dass wir noch im Unterricht saßen, lernten, Hausaufgaben machten, während sie bereits einen festen Job als Grafikdesignerin hatte.
Aber es war nur noch ein Jahr bis zum Abschluss und ich hatte Anthea und Lukas, mit denen die Schule meistens sogar Spaß machte.
Deswegen konnte ich Luises Frage ehrlich bejahen.
„Klar, ich freu mich. Nach dem Jahr haben wir es geschafft und ich habe die Hoffnung, dass es mit den beiden Idioten hier sogar ganz witzig wird. Außerdem hab ich gehört, dass wir zumindest eine junge, neue Lehrerin kriegen."
„Die bringt hoffentlich mehr Motivation mit als gewisse andere Lehrer", meinte Lukas und rümpfte die Nase, „die Jäger haben wir jedenfalls hinter uns."
Frau Jäger war eine komische, langweilige Frau, welche uns im letzten Jahr in Kunst unterrichtet hatte, woran ich eigentlich Spaß hatte, aber sie schaffte es sogar, die Kunstbegeistertsten unter uns während ihres Unterrichts einschlafen zu lassen. Glücklicherweise ging sie nun in Rente.
Ich schenkte mir Wein nach und zündete noch eine Zigarette an. Wir saßen einen Moment lang einfach nur da, genossen die Stille und tranken, rauchten. Meine Gedanken wanderten wieder zurück zur Schule. Ich freute mich wirklich auf den Kunstunterricht, hoffte inständig auf eine Lehrkraft, die uns etwas beibringen wollte, die Spaß an dem hatte, was sie vermittelte.
Ich versuchte Anthea halbwegs zuzuhören, als sie mir von einer Barbekanntschaft der letzten Tage erzählte, beobachtete dabei aber aufmerksam Luise und Lukas, die sich angeregt unterhielten.
Immer wieder hob Luise die Hand, strich sich nicht vorhandene Haarsträhnen hinters Ohr, lachte etwas zu laut, um unaufgeregt zu wirken.
Ich wusste, er würde es nicht merken, nicht ohne einen kleinen Schubser in die richtige Richtung, denn den brauchte er in solchen Angelegenheiten meistens und so beschloss ich, den beiden etwas auf die Sprünge zu helfen.

Roth wie der Mohn (lehrerinxschülerin)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt