„Wie Sie alle wissen, findet auch diesen Oktober wieder der alljährliche Schul-Maskenball statt. Deshalb werden wir uns in diesem Unterricht vorerst mit der Herstellung von Masken beschäftigen und jeder wird seine eigene Maske erstellen, welche natürlich gern beim Ball verwendet werden darf. Vorher werden sie allerdings benotet und diese Note macht gut ein Drittel der Semesternote aus. Geben Sie sich also Mühe - nicht nur, um beim Ball schön auszusehen." Frau Roth beendete schmunzelnd die Ansage und zum ersten Mal in dieser Stunde ging ein leises Lachen durch die Klasse. Allein mit diesem Schmunzeln schaffte sie es irgendwie, die Anspannung, für die sie doch selbst mit ihrer Ausstrahlung verantwortlich war, aus der Luft zu nehmen. Ich allerdings fühlte mich immer noch angespannt und meine Ohren glühten, denn mir war nicht entgangen, dass sie bei ihrem letzten Satz ihren Blick mir zuwandte und mir direkt in die Augen sah. Zufall, Quinn, sagte ich mir, um mich auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Sie sah in mir nichts anderes, als in allen anderen Schülern auch, das war mir klar und ich fand es ziemlich wahrscheinlich, dass sie an unsere vorherigen Begegnungen, die ihr sicher völlig unbedeutend erschienen, keinen Gedanken mehr verschwendete.Frau Roth ging durch die Klasse und verteilte Blätter mit Informationen zu unserem Thema. Als sie unsere Reihe entlang ging, konnte ich schon als sie noch zwei Plätze weiter war ihren Kokos-Orangen-Duft wahrnehmen und musste kurz die Augen schließen, versuchte, diesen süßen Geruch so tief einzuatmen wie möglich, wollte ihn irgendwo in mir speichern, um ihn heraufbeschwören zu können, wenn ich Abends in meinem Bett lag und an ihre honigbraunen Augen - Stopp, Quinn! Ich rief mich zur Ordnung, wunderte mich über mich selbst, fragte mich, woher plötzlich dieser kitschige Anfall kam. Ich lag nicht Abends in meinem Bett und dachte an sie, und sowieso war dieses Getue überhaupt nicht meine Art. Was war nur los mit mir?
Als sie mir bei mir ankam und ein Blatt auf meinen Tisch legte, meinte ich sie kurz zögern zu sehen. Sie sah halb mich an, halb an mir vorbei und ihre Lippen öffneten sich, zeigten die kleine Lücke zwischen ihren Zähnen, als wollte sie zum Reden ansetzen, aber dann schlossen sie sich wieder und schon ging Frau Roth weiter, um die anderen mit Material zu versorgen. Schon eine Sekunde darauf war ich mir nicht mehr sicher, ob ich es mir nicht doch vielleicht nur eingebildet hatte.
Ich seufzte leise und beschloss, mich nicht mehr ihr, sondern meiner Aufgabe zu widmen und las mir den Text über die Tradition, Herstellung und verschiedene Arten von Masken durch.
Nach dem Klingeln machte ich mich mit Anthea und Lukas auf den Weg in den Raucherbereich, ich konnte den Kunstraum kaum schnell genug verlassen. Einerseits genoss ich es, ihre warmen Augen leuchten zu sehen, wenn sie etwas erklärte, oder in einem der Bücher eine Maske zeigte, die sie besonders beeindruckte, ihre ruhige Stimme zu hören und zwischendurch immer wieder ihren Geruch aufzunehmen. Andererseits fand ich es furchtbar anstrengend, die ganze Zeit über irgendwie unruhig und nervös zu sein, zu versuchen, nicht auf meinem Stuhl herumzurutschen und die Röte in meinem Gesicht zu verbergen.
Froh über die frische Luft draußen atmete ich ein paar Mal tief aus und ein, bevor ich meine Zigarette anzündete.
Zusammen mit dem Rauch kamen Worte aus meinem Mund, ohne, dass ich vorher darüber nachgedacht hatte.
„Ich werde mich von Johannes trennen." Ich glaube, in diesem Moment sah ich genauso überrascht aus, wie Lukas und Anthea, die mich mit großen Augen und offenen Mündern anstarrten. Woher kam das denn plötzlich? Ich hatte nicht einmal wirklich die Zeit, mich weiter darüber zu wundern, da merkte ich, wie gut und leicht ich mich plötzlich fühlte und wie richtig sich dieser Satz anhörte, deswegen wiederholte ich ihn nochmal und bekräftigte meine Aussage mit einem selbstsicheren Nicken.„Ich werde mich von Johannes trennen."
Lukas Überraschung wandelte sich sichtlich in Verwirrung, er runzelte die Stirn und hob kurz den Arm, als wollte er mich umarmen, ließ ihn dann aber wieder sinken, als er mein Lächeln sah.
„Meinst du das ernst?", fragte Anthea, für die schon nach einem halben Jahr unserer Beziehung eigentlich feststand, dass wir heiraten und Kinder bekommen würden. Schließlich war für sie alles, was länger als drei Monate hielt eine Langzeitbeziehung und so war es in ihren Augen eine unumstrittene Tatsache, dass Johannes und ich zusammen alt werden würden.
„Ja, das meine ich ernst." Ich stieß erleichtert die Luft aus.
„Was ist denn passiert?", wollte sie wissen. Sie sah mich an, als wäre ich verrückt geworden und auch Lukas schien sich immer noch zu fragen, was hier gerade eigentlich los war. Für die beiden kam mein spontan gefasster Entschluss vermutlich noch viel mehr aus dem Nichts, als für mich.
Ich zuckte die Schultern. Eigentlich war nichts passiert, was diese plötzliche Entscheidung Schluss zu machen rechtfertigte. Aber brauchte man wirklich eine Rechtfertigung, um seine Beziehung zu überdenken?
„Eigentlich ist nichts passiert. Also, er ist nicht fremdgegangen oder sowas, aber ich bin einfach nicht mehr glücklich."
„Wieso hast du denn nichts gesagt? Du hättest doch mit uns reden können", meinte Lukas und streichelte jetzt doch meinen Arm, als wollte er mich beruhigen. Aber ich brauchte keine Beruhigung, mir ging es gut, eigentlich sogar besser als vorher.
„Keine Ahnung, ich hab es nicht wirklich gemerkt. So ganz zufrieden war ich vielleicht schon länger nicht mehr, aber die Einsicht, das Ganze gar nicht mehr zu wollen, kam ganz plötzlich, wie ein Blitz. Ehrlich gesagt wusste ich selbst nicht, dass ich das gerade sagen würde, bis es rauskam."
Ich lachte und meine Freunde sahen, dass ich wirklich glücklich mit dieser Entscheidung war, also lachten sie mit mir und damit war das Thema vom Tisch.
Während wir weiter rauchten und uns unterhielten spürte ich irgendwann einen Blick auf mir. Ich weiß nicht wieso, aber ich fühlte diese Augen auf mir ruhen, also sah ich in die Richtung, aus der er kam.
Da stand sie, lässig an die Wand gelehnt und zog an ihrer Zigarette und dabei schaute sie zwischen all den rauchenden Schülern die uns trennten hindurch, mit ihren honigbraunen Augen direkt in meine grünen und sendete damit tausend kleine Blitze durch meinen ganzen Körper.
DU LIEST GERADE
Roth wie der Mohn (lehrerinxschülerin)
Romance„Wie von selbst hob sich meine Hand und nahm ihre, die noch immer an meiner Wange ruhte. Ich konnte nichts dagegen tun, ich dachte nicht nach, mein Körper bewegte sich von selbst. Wie ferngesteuert. Mein Hirn hatte sich restlos verabschiedet. Es ka...