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Im Laufe der nächsten Woche wuchs meine Unruhe immer weiter. Ich ernährte mich quasi nur noch von Kaffee, denn durch den noch immer fehlenden Schlaf wurde er zu meiner größten Energiequelle und Hunger hatte ich auch nicht wirklich. Ständig mit den Gedanken bei Mari hatte ich fast durchgehend mit einem flauen Magen zu kämpfen. Es machte mich fertig nicht zu wissen wie es ihr ging, was sie dachte, aber ich wollte ihr die Zeit lassen, die sie brauchte. Also akzeptierte ich die Entscheidung, die sie scheinbar getroffen hatte, so wenig Blicke und Worte wie möglich auszutauschen.

Zwei mal lief sie mir in der Schule auf dem Gang entgegen. Beim ersten Mal senkte sie sofort den Blick, aber ich wusste, dass sie mich gesehen hatte.

Beim zweiten Mal ging sie neben einer anderen Lehrerin her und drehte sich zu ihr, um ein anscheinend angeregtes Gespräch mit ihr zu führen, als ich in ihr Sichtfeld kam.

Es tat weh, auf diese Art von ihr ignoriert zu werden, aber was hätte ich tun sollen? Ich konnte wohl kaum in dem Gang voller Schüler und Lehrer zu ihr gehen und sie zum Reden zwingen. Und das wollte ich auch gar nicht. Noch immer hatte ich die Hoffnung, sie würde auf mich zukommen, wenn sie soweit war.

Am Donnerstag sah ich in der Pause ihren fuchsbraunen Schopf zwischen den anderen Rauchern aufblitzen und in diesem Moment sah auch sie zu mir rüber. Ihr Blick war ausdruckslos und im nächsten Moment drehte sie mir auch schon den Rücken zu.

Ich spürte immer öfter Antheas und Lukas fragende Blicke auf mir, doch sie versuchten nicht mehr, aus mir herauszubekommen was los war. Sie wussten, ich wollte nicht reden. Auch Luises Besorgnis bekam ich zuhause zu spüren. Ich merkte zwar, dass sie wirklich bemüht war, mich nicht anders anzuschauen als sonst und auch sie stellte keine Fragen, aber sie war mir öfter nah. Das war ihre Art, zu zeigen, dass sie für mich da war. Sie rückte beim fernsehen zu mir, legte liebevoll ihren Arm um mich. Gab mir zur Begrüßung Küsse auf die Wange, wenn ich nach der Schule zur Tür herein kam. Kam wortlos in mein Zimmer und legte sich zum lesen neben mich in mein Bett.

Am Freitag hatten wir wieder Kunst, was bedeutete, ich würde Mari sehen. Würde zwei Stunden lang mit ihr in einem Raum sitzen und das Kribbeln in mir ertragen müssen, das mir inzwischen fast die Tränen in die Augen trieb. Weil sich die ganze Situation so festgefahren und ausweglos anfühlte. Ich vermisste es, wie sie mich anlächelte, vermisste diese Nähe zwischen uns, die die Luft zum Vibrieren brachte. Jetzt saß ich einfach nur noch da, versuchte sie nach wie vor nicht anzusehen und den letzten Entwurf für meine Maske zu Ende zu bringen, nach dem ich sie schlussendlich auch modellieren würde.

Als mich ihr Duft erreichte, schreckte ich auf, sah ihr direkt ins Gesicht. Sie stand vor meinem Tisch und schaute auf mein Papier, einen Mundwinkel leicht in die Höhe gezogen. Es war nicht das Lächeln, das ich von ihr kannte und nach dem ich mich so sehr sehnte, aber es war ein Anfang und mein Herzschlag beschleunigte sich. So nah war sie mir seit fast einer Woche nicht gewesen und diese Woche hatte sich angefühlt, wie eine Ewigkeit.

„Wirklich gut, Quinn." Beim Klang ihrer Stimme breitete sich eine Gänsehaut großflächig auf meinem Körper aus; seit sechs Tagen hatte sie kein einziges Wort an mich gerichtet und allein diese drei Worte nun brachten mein Blut in Wallung, den Boden unter meinen Füßen zum Beben. Gott, ich war dieser Frau restlos verfallen.

Sie sah mich noch einen Moment an und ich meinte, auch in ihrem Gesicht kurz einen Hauch von Sehnsucht aufblitzen zu sehen.

Das Wochenende verbrachte ich zuhause, ich war nicht in der Stimmung zum Feiern. Zudem hatte ich bei den beiden letzten Malen Mari im Club getroffen und der Gedanke, sie auch jetzt wieder dort treffen zu können, war zwar zugegebenermaßen verlockend, aber für mich auch ziemlich beängstigend. Ich wusste, unter dem Einfluss von Alkohol würde ich mich nicht zurückhalten können, sie um ein Gespräch anzubetteln. Oder schlimmer, ich würde sie einfach küssen, und ich ging stark davon aus, dass ich ihr damit keinen Gefallen tun würde. Außerdem hätte ich es nach dem was passiert war nicht ertragen können, sie mit ihrer Freundin zu sehen.

Nachdem meine Freunde zum gefühlt zehnten mal nachgefragt hatten, ob es wirklich okay wäre, wenn sie gehen würden, oder ob wir uns nicht doch einen entspannten Abend mit Filmen und Wein zuhause machen sollten, legte ich mich als ich sie schließlich überzeugen konnte ohne mich zu gehen endlich wieder in mein Bett und versuchte mir in Erinnerung zu rufen, was ich bei unserem Kuss gefühlt hatte. Weil das die einzige Möglichkeit war, die ich sah, um mich für einen kurzen Moment gut zu fühlen.

Am nächsten Tag erfuhr ich, dass auch Mari an diesem Abend nicht im Club war.

Dann kam schließlich irgendwann der Dienstag.

Als ich aufwachte, hatte ich keine Ahnung, dass dieser Tag so einiges durcheinander bringen würde. Hätte ich gewusst was passieren würde, wäre ich vermutlich einfach weiter in meinem Bett liegen geblieben.

Ich saß auf meinem angestammten Platz zwischen Anthea und Lukas, Mari stand vorne und erklärte uns, wie wir mit der Anfertigung unserer Masken weiter vorgehen würden. Sie sah besser aus als noch letzte Woche, ihre Wangen hatten wieder mehr Farbe, die Augenringe waren fast gänzlich verschwunden. Ab und zu war sogar das Schmunzeln, das ich so sehr liebte, auf ihren Lippen zu sehen und füllte mich mit einer inneren Wärme, von der ich nicht vermutet hätte, sie könnte durch ein einfaches Lächeln ausgelöst werden. Vielleicht hatte sie sich am Wochenende richtig ausschlafen können. Vielleicht hatte sie sich mit ihrer Freundin vertragen. Bittere Eifersucht machte sich bei diesem Gedanken in mir breit, aber zugleich war ich erleichtert, dass ihr Zustand anscheinend wieder besser war. Es war mir unbegreiflich, wie widersprüchlich Liebe sich anfühlen konnte.

Ich genoss ihre ruhige, raue Stimme, auch wenn nicht direkt ich es war, zu der sie sprach.

„Hier vorne liegen die Gipsbinden, dort die Wasserbehälter. Suchen Sie sich einen Partner und fertigen Sie gemeinsam die Masken an. Der Teil des Gesichts, der eingegipst wird, sollte vorher eingecremt werden, Nasenlöcher oder Mund müssen natürlich frei bleiben. Diese Stunde wird ein Probedurchgang, wer es in dieser Zeit nicht schafft, eine brauchbare Maske herzustellen, hat am Freitag noch Zeit dafür. Für die Zimperlichen unter Ihnen: hier haben wir Ballons, die sie als Gesicht nutzen können."

Ich sog jedes Wort auf, nicht weil ich den Inhalt ihrer Sätze so spannend fand, sondern weil ich nicht wusste, wann wir das nächste Mal miteinander reden würden.

Wir einigten uns darauf, dass ich mit Lukas arbeiten und Anthea einen Ballon nutzen würde und sie war ganz offensichtlich erleichtert darüber, nicht als Maskenvorlage herhalten zu müssen.

Als wir gerade dabei waren, das benötigte Material zusammen zu suchen, klopfte es an der Tür. Diese ging auf, ohne dass Mari auch nur die Gelegenheit hatte, die Person hereinzubitten und so stand plötzlich ein Mann im Raum.

Alle Blicke wanderten zu ihm. „Kann ich Ihnen helfen?", fragte Mari stirnrunzelnd, nachdem der Mann noch immer nicht gesagt hatte, mit welchem Anliegen er gekommen war.

Auch jetzt stand er einfach nur da, seine Augen wanderten über die Gesichter der Schüler. Schließlich hatte er wohl gefunden, was er gesucht hatte und sein Blick blieb hängen. An mir.

Anthea stieß mir in die Seite, sah mich mit großen Augen an.

„Was ist?", fragte ich sie. Verwirrt, warum er mich so ansah, warum sie mich so ansah, warum auf einmal alle mich anzusehen schienen.

„Gott, Quinn", hauchte sie, „sieh ihn dir an. Er sieht aus wie du."

Roth wie der Mohn (lehrerinxschülerin)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt