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Ein Geräusch im Flur weckte mich noch vor dem Wecker. Vermutlich war es Mister Maunz, der mal wieder etwas umgeworfen hatte.

Ich lag da, die Augen noch geschlossen, und musste lächeln, als mein Traum sich langsam in meine Gedanken wühlte. Es hatte sich so real angefühlt, dass ich meinte, Mari noch riechen zu können. Meine Lippen fühlten sich geschwollen an und sogar an ihren Geschmack auf meiner Zunge konnte ich mich erinnern. Ein Kribbeln durchströmte mich, die Härchen an meinen Armen stellten sich auf, als ich an ihre Küsse, ihre Berührungen dachte, das Gefühl ihrer weichen Haut unter meinen Fingern.

Es raschelte leise neben mir, etwas berührte unter der Decke mein nacktes Bein. Vielleicht war es doch Luise gewesen, die das Geräusch, das mich geweckt hatte, verursacht hatte und Mister Maunz hatte sich nachts in mein Bett geschlichen. Es kam öfter vor, dass er sich zum Schlafen zu mir kuschelte und mich morgens weckte, um gefüttert zu werden. Allerdings meinte ich, mich daran erinnern zu können, gestern Abend meine Zimmertür geschlossen zu haben. Vermutlich irrte ich mich oder war nachts auf die Toilette gegangen, ohne mich jetzt daran zu erinnern.

Ich streckte mich genüsslich, noch immer beflügelt von meinem Traum, und öffnete langsam die Augen. Abrupt hielt ich in der Bewegung inne, als ich nicht Mister Maunz, sondern eine nackte Schulter neben mir sah. Ich kniff die Augen zusammen, öffnete sie erneut und sah verwundert das gleiche Bild vor mir. Das konnte nicht wahr sein. Ich zwickte mich in den Arm, um zu überprüfen, ob ich nicht vielleicht doch noch träumte, aber es änderte nichts. Sie lag neben mir, auf dem Bauch, das Gesicht zur Wand gedreht, die fuchsroten Haare fielen ihr über den sommersprossigen Rücken.

Schlagartig war ich hellwach, aufgeregt, kribbelig. Mir wurde heiß. Hatte sich das alles so real angefühlt, weil es wirklich real gewesen war? Das konnte nicht sein. Unmöglich war es wirklich passiert, dass Mari mich mitten in der Nacht angerufen hatte und ich einfach über sie hergefallen war und sie es sich auch noch gefallen ließ. Es sogar regelrecht genossen hatte.

Es raschelte erneut, sie bewegte sich. Drehte sich langsam zu mir um. Öffnete die Augen und sah mich mit diesem warmen honigfarbenen Blick an. Sie lag tatsächlich hier bei mir, direkt neben mir. In meinem Bett. Nackt. Und sie lächelte mich an. Gott, es war das schönste Lächeln, das ich je auf ihren Lippen gesehen hatte.

„Hey", sagte sie leise und bewegte ihre Hand auf meine Wange zu. Ich hielt die Luft an, als sie mich mit ihrer zarten Fingerspitze berührte.

„Mari?", hauchte ich. Ich musste total bescheuert aussehen, wie ich sie so verwirrt anstarrte. Sie schmunzelte belustigt.

„Ja, ich bin's wirklich."

„Das... das letzte Nacht, das war kein Traum?" Ich konnte es noch immer nicht begreifen, mein Hirn konnte nicht verarbeiten, was hier gerade passiert war. Zu fest war ich die ganze Zeit über davon überzeugt gewesen, dass ich morgens alleine aufwachen würde, mich zwar an die letzte Nacht erinnernd, aber wissend, dass es nur eine Wunschvorstellung gewesen war.

Noch immer schmunzelnd kam sie mir näher, fasste mir in den Nacken und zog mein Gesicht näher an ihres heran, legte ihren Mund federleicht auf meinen.

„Fühlt sich das nach einem Traum an?", wisperte sie an meinen Lippen und brachte damit mein Blut in Wallung.

„Ehrlich gesagt, ja", keuchte ich zurück, drängte mich näher an sie, doch sie entfernte sich ein Stück von mir und sah mich ernst an.

„Quinn, das letzte Nacht, das war echt."

Tausende von Schmetterlingen begannen in meinem Bauch zu tanzen. Mari hatte mich wirklich angerufen. Mari hatte wirklich vor meiner Tür gestanden. Mari hatte wirklich meine Berührungen zugelassen. Mari hatte wirklich mit mir geschlafen. Es ratterte in meinem Kopf und irgendetwas rastete plötzlich ein und ich verstand langsam, was das alles bedeutete. Ich war ihr wichtig. Sie dachte an mich, konnte nicht schlafen wegen mir. Ich war nicht die einzige, mit diesen Gefühlen.

Als hätte es bei uns beiden gleichzeitig klick gemacht und als würden wir beide gerade gleichzeitig merken, dass unser Leben davon abhing, pressten wir uns aneinander und unsere Lippen fanden sich wieder, vereinten sich zu einem leidenschaftlichen Kuss. All die Gefühle, die sich die Wochen über in mir angestaut hatten, schienen aus meinem Körper und direkt in ihren zu fließen.

Gerade spürte ich, wie ihre Mitte sich an meinen Oberschenkel drückte, da klingelte mein Wecker. Ich stöhnte genervt auf, Mari stöhnte enttäuscht auf und ich stoppte grinsend das störende Geräusch, um sie weiter küssen zu können.

„Du musst in die Schule", murmelte Mari mit zitternder Stimme, während ich gerade ihren Hals mit meiner Zunge neckte. Als Antwort brummte ich nur, ließ weiter meine Finger über ihren Körper wandern, aber sie schob mich von sich. „Quinn, du wirst nicht auch noch meinetwegen den Unterricht verpassen. Schlimm genug, dass ich mich nicht zurückhalten kann, mit meiner Schülerin zu schlafen, aber für dein Fehlen werde ich nicht auch noch verantwortlich sein."

„Du kannst dich doch selbst nicht dazu durchringen aufzustehen", grinste ich sie an.
Sie grinste zurück. „Ich muss im Gegensatz zu dir auch erst zur dritten Stunde da sein."

Ich seufzte tief. „Wie unfair."

Sie kicherte leise, zog mich für einen letzten zärtlichen Kuss an sich und schob mich schließlich aus dem Bett.

Frisch geduscht und mit zwei Kaffeetassen in der Hand ging ich, mit einem Lächeln auf den Lippen, das diese vermutlich für längere Zeit nicht mehr verlassen würde, zurück in mein Zimmer. Mari saß, im gleichen Outfit in dem sie nachts gekommen war, auf der Bettkante und sah mich an und mein Lächeln wurde noch breiter, als ich sah, wie liebevoll ihr Blick war.

Ich wollte ihr ihren Kaffee reichen, doch sie schüttelte langsam den Kopf und sah einen Moment nachdenklich auf ihre Hände, bevor sie wieder zu mir schaute. Kurz fühlte ich mich verunsichert, aber diese Unsicherheit verflog direkt wieder, als sie aufstand und mir mit dem Handrücken vorsichtig über die Wange strich.

„Ich werde jetzt besser nachhause fahren, um mich noch in Ruhe fertig machen zu können. Außerdem wäre es vielleicht gut, nicht von deiner Mitbewohnerin gesehen zu werden."

Ich nickte, wollte etwas sagen, doch da redete sie schon weiter. „Und Quinn... Ich denke, es wäre an der Zeit für ein Gespräch." Als könnte sie schon genau jede meiner Gefühlsregungen abschätzen, ließ sie es dieses Mal gar nicht erst zu, dass Unsicherheit in mir hochkam. Sie sah mir tief in die Augen und beugte sich schließlich noch für einen kurzen, aber gefühlvollen Kuss zu mir, bevor sie ging.

Ich stand noch einen Moment da, den Blick auf das zerwühlte Bett gerichtet, in dem in den letzten Stunden so viel Schönes passiert war und entschloss mich dann, meinen Kaffee in der Küche zu trinken. Ich hatte noch ein paar Minuten Zeit, bevor ich losmusste und vielleicht war Luise schon wach und ich könnte noch ein bisschen mit ihr reden. Ihr vielleicht sogar von der Sache mit Karsten erzählen, denn gestern nach der Schule hatte ich sie nicht mehr gesehen; vermutlich war sie erst nachhause gekommen, als ich schon schlief. Sowieso hatten wir uns in den letzten Tagen viel zu wenig unterhalten, weil ich mich andauernd schlecht gefühlt hatte.

Als ich in die Küche kam, saß allerdings nicht Luise dort, sondern Lukas, der mich angrinste. Ich brachte ein verwundertes „Guten Morgen" raus, anscheinend war es zwischen den beiden ernster geworden, als ich es mitbekommen hatte. Kurz fühlte ich mich schuldig, fragte mich, ob ich in letzter Zeit zu egoistisch gewesen war, doch dann bekam ich plötzlich Angst. Wie lange saß er schon dort? Hatte er gehört, wie jemand die Wohnung verlassen hatte? Beim Kaffeekochen hatte er jedenfalls noch nicht dort gesessen.

„Guck nicht so geschockt. Ich hab nichts gesehen, nichts gehört." Doch diese Aussage und sein Grinsen verrieten mir genau das Gegenteil. Scheiße. Wir waren zu unvorsichtig gewesen und ich wollte auf keinen Fall, dass irgendjemand erfuhr, was passiert war, bevor Mari und ich die Gelegenheit hatten, miteinander zu sprechen.

Ich fing an zu stammeln, wusste nicht, wie ich mich herausreden und die Situation retten sollte. „Ich... also, es ist nicht - "

Doch Lukas unterbrach mich direkt. „Quinn. Entspann dich. Ihr wart nicht gerade leise heute Nacht und ihre Schuhe standen im Flur. Wieso hat sie sich denn so raus geschlichen? Ich hätte nie gedacht, dass das irgendwann passiert, aber du solltest doch wohl wissen, dass ich kein Problem damit habe, wenn du was mit Anthea hast."

Roth wie der Mohn (lehrerinxschülerin)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt