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Mein Kopf dröhnte von zu wenig Schlaf, zu viel Kaffee, zu vielen Gedanken, zu vielen geflossenen Tränen.

Mein Kopf ruhte auf Luises Schulter, meine Beine auf Antheas Schoß. Ich weiß nicht, wie lange wir schon hier in meinem Bett waren, halb sitzend, halb liegend, jede mit einem Becher Kaffee in der Hand, schweigend. Ich wollte allein sein, konnte die Nähe der beiden kaum ertragen, aber ich wusste, alleine würde ich durchdrehen. Mir fehlte schlicht und ergreifend die Kraft, diese Sache alleine durchzustehen; ich fühlte mich wie leergesogen.

Also ließ ich Luise meinen Kopf streicheln, ließ sie mir die Tränen wegwischen, die sich noch immer alle paar Minuten aus meinen Augen drängten, auch wenn ich dachte, ich müsste bereits jeden Tropfen Flüssigkeit verloren haben. Ich ertrug Antheas Hand auf meinem Bein und ihren Blick auf mir, besorgt und müde.

Alles in mir schrie nach Mari. Mari, Mari, Mari, Mari.

Noch immer hoffte ich, gefangen in einem bösen Traum zu sein und jeden Moment aufzuwachen. In ihren Armen. Stattdessen stellte ich mit jedem Blinzeln fest, dass ich wach war, es war real und Mari war nicht hier. Sie würde auch morgen nicht hier sein, oder übermorgen, oder nächste Woche. Ich würde nicht mehr in ihren Armen aufwachen, nicht morgens aus ihrer gelben Tasse meinen Kaffee trinken, mich nicht mit einem Erdbeermarmeladekuss von ihr verabschieden. Wieder wurde mir bewusst, wie sehr ich diese Frau liebte, und dieses Mal fühlte ich dabei nichts als Schmerz. Ich musste aufhören damit. Der Gedanke verknotete sich in meinem Kopf, nichts schien mehr Sinn zu machen, gleichzeitig war es ganz klar die einzige Lösung: Wenn ich Mari wirklich liebte, würde ich aufhören müssen, sie zu lieben. Ich würde mich von ihr, von uns, lösen müssen, um sie zu schützen. Ich konnte nicht zulassen, dass Elina ihre Drohungen wahr und damit Maris Leben kaputt machen würde.

Wieder bahnte sich eine heiße Träne den Weg über meine Wange und ich schmeckte das Salz auf meinen Lippen.

Das Vibrieren meines Handys machte sich viel zu laut, viel zu deutlich in der Stille breit. Es war bereits die dritte Nachricht, die einging, seit es draußen hell war und die ich mich nicht traute, zu lesen. Auch die Nachrichten, die sie mir noch in der Nacht nach meinem Verschwinden geschickt hatte, hatte ich noch nicht geöffnet. Es tat mir weh, sie so im Ungewissen zu lassen und ich wollte nicht, dass sie jetzt alleine zuhause saß und sich Sorgen machte, schließlich war ich gestern nach Elinas Auftauchen einfach abgehauen, aber ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Ihre Nachrichten zu beantworten, als wäre nichts passiert, war keine Option, aber der Gedanke daran, sie zu ignorieren, schmerzte fast körperlich. Ich hätte mit ihr reden müssen, natürlich, unter irgendeinem Vorwand die Sache beenden müssen. Aber das konnte ich nicht. Erstens traute ich Elina durchaus zu, ein Gespräch zwischen Mari und mir irgendwie mitzubekommen und ihre Drohungen wahr zu machen. Ich hatte keine Ahnung, was sie sich davon erhoffte und ob sie wirklich verzweifelt genug war um zu glauben, sie könnte Mari zurückgewinnen, indem sie mich aus dem Weg schaffte. Ganz zu schweigen davon, dass sie vor allem Maris Leben zerstören würde, sollte sie uns tatsächlich verraten, was mir wieder einmal deutlich machte, dass Elina sie nicht liebte, sondern schlicht und ergreifend besessen von ihr war. In jedem Fall hatte sie mehr als deutlich gemacht, dass sie weiteren privaten Kontakt zwischen Mari und mir nicht dulden würde und es tatsächlich geschafft, mich so sehr einzuschüchtern, dass ich bereit war, meine Gefühle auf Eis zu legen, wenn das der einzige Weg war, Mari nicht ins Verderben stürzen zu lassen. Der zweite Grund, der sehr viel egoistischerer Natur war, war, dass ich es einfach nicht geschafft hätte. Ich hätte es nicht über mich gebracht, Mari ins Gesicht zu sehen und zu sagen, dass ich sie nicht mehr sehen wollte. Denn es gab nichts, was ich mehr wollte, als das. Ich hätte es nicht ertragen, ihr gegenüberzustehen und sie traurig zu machen. Die einzige Lösung war also - und ich wusste, dass diese nicht fair war, nicht das, was Mari verdiente, nicht der richtige Weg, mit diesen Dingen umzugehen, aber ich konnte es nicht anders lösen, auch wenn es weh tat - ihr aus dem Weg zu gehen. Ich dachte, vielleicht wäre eine wütende Mari einfacher zu ertragen, als eine traurige. Vielleicht würde es auch ihr weniger Schmerzen bereiten, ihre Gefühle für mich abschwächen, wenn sie wütend war, wegen meines plötzlichen ignoranten Verhaltens. Ihre Gefühle für mich abschwächen. Allein der Gedanke daran war ein Stich ins Herz. Sie würde mich nicht mehr mit diesem warmen Blick ansehen, sie würde nicht mehr ihren süßen Mund zu diesem unglaublichen Schmunzeln verziehen, wenn sie mich ansah. Schon einmal hatte ich das erlebt, als sie versucht hatte, mich ausschließlich als ihre Schülerin zu sehen, und schon da hatte ich mich rund um die Uhr beschissen gefühlt. Jetzt, nach allem was passiert war, nachdem ich wusste, wie ihre Haut sich auf meiner anfühlte und wie weich ihre Lippen waren und ich jede ihrer Sommersprossen liebkost hatte, war die Aussicht darauf noch viel bitterer. Ich hatte das Gefühl, vor der größten Herausforderung meines Lebens zu stehen. Ich hatte das Gefühl, Mari gehen zu lassen, würde ein Stück von mir umbringen und ich selbst war diejenige, die dieses Stück kaltherzig von der Brücke stoßen musste. Aber alles war besser, als der Grund dafür zu sein, dass Mari ihren Beruf, den sie so sehr liebte, verlor, nicht nur ihre jetzige Stelle, sondern auch jegliche Chancen in der Zukunft. Ich musste mich also zusammenreißen. Maris Glück war wichtiger, als alles andere.

Roth wie der Mohn (lehrerinxschülerin)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt