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Tausend Gedanken schossen mir gleichzeitig durch den Kopf, als ich Maris erschrockenes Gesicht sah.

Wie dumm war es, ausgerechnet heute, nachdem ich mit der Bahn gefahren war statt mit Mari, um möglichst wenig Aufsehen zu erregen, in der Schule mit ihr zu knutschen?

Was für ein Zufall war es, in der ersten verfänglichen Situation, in die wir uns in der Schule begaben, erwischt zu werden?

Sie würde ihren Job verlieren, ich würde in meinem letzten Schuljahr von der Schule fliegen, Mari würde nie wieder ein Wort mit mir reden. Ich konnte nicht glauben, dass es jetzt vorbei sein sollte, bevor es überhaupt richtig angefangen hatte.

Jetzt, wo ich gerade dabei war zu merken, wie Liebe sich wirklich anfühlte. Jetzt, wo sie mir so viel gab, von dem ich nie zu Träumen gewagt hätte und ich gerade anfing, mich daran zu gewöhnen, sie küssen und berühren zu können, von ihr geküsst und berührt zu werden, mit ihr zu lachen, mich ihr zu öffnen und mich dabei meinen Ängsten zu stellen, neben ihr einzuschlafen. Jetzt, wo ich gerade dachte, die schönste Zeit meines Lebens würde beginnen.

Ich schluckte schwer, machte mich auf das Schlimmste gefasst und drehte mich langsam um, um zu sehen, wer in diesen intimen Moment zwischen Mari und mir hereingeplatzt war, wer uns erwischt und damit in der Hand hatte. Denn mir war klar, dass es keinem von uns beiden gelingen würde, sich aus dieser Situation irgendwie herauszureden. Es war zu offensichtlich.

„Wär hätte das gedacht", grinste Anthea mit hochgezogenen Augenbrauen, Arm in Arm mit Lukas in der Tür stehend.

Vor Erleichterung laut aufseufzend ließ ich mich auf den am nächsten stehenden Stuhl fallen und schaute zurück zu Mari, die noch immer mit schockiertem Blick auf dem Pult saß und in Richtung Tür starrte.

Anthea zog Lukas, der verwirrt zwischen Mari und mir hin und her schaute, in den Raum und schloss die Tür. Offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, uns hier so vorzufinden. Wahrscheinlich hatte er Antheas Gerede für eine Spinnerei gehalten, so wie auch ich es ihr einzureden versucht hatte.

Er stellte sich wortlos neben das Pult, während Anthea sich geräuschvoll einen Stuhl zu uns heranzog und sich noch immer grinsend auf ihm platzierte, die Arme verschränkt auf der Rückenlehne ablegend.

„So Quinn, ich denke, es ist an der Zeit für die Wahrheit."

Ich wusste, sie wollte mir und Mari nichts Böses, sie war einfach nur neugierig und wollte hören, dass sie recht hatte mit ihren Vermutungen, aber ich war mir nicht so sicher, ob Mari das auch so klar war. Sie war inzwischen kreidebleich und hatte noch immer keinen Ton von sich gegeben, saß bloß da mit gesenktem Kopf.

„Mari", sagte ich, leise und zärtlich, ich wollte ihr dieses schlechte Gefühl, die Angst, nehmen. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte sie wieder in den Arm genommen, ihr beruhigend über den Rücken gestreichelt und gesagt, dass sie sich keine Sorgen machen müsste, aber mir war klar, dass das das Letzte war, was sie in diesem Moment wollte, wo sie vermutlich gerade ihren Job, ihre Zukunft, den Bach herunter gehen sah. Wegen dem, worauf sie sich da eingelassen hatte. Wegen mir.

Sie drehte mir langsam ihr Gesicht zu und ich redete erst weiter, als es mir endlich gelungen war, ihren Blick aufzufangen.

„Anthea hat es die ganze Zeit über vermutet. Ich habe versucht, sie vom Gegenteil zu überzeugen, aber - ''

„Aber es ist ihr nicht gelungen", unterbrach Anthea mich und redete in einem ruhigeren Tonfall an Mari gerichtet weiter, denn sogar sie war einfühlsam genug, um ihre momentane Gefühlslage zumindest ansatzweise wittern zu können. „Quinn hat schon vor längerem zugegeben, verknallt in Sie- ", sie lachte kurz auf und schüttelte den Kopf, bevor sie von Neuem ansetzte, „Tut mir leid, aber diese Situation ist sogar für mich irgendwie merkwürdig, obwohl ich es geahnt habe. Sorry, dass ich jetzt einfach zum Du übergehen werde, aber ich habe gerade gesehen, wie du mit einer meiner besten Freundinnen geknutscht hast, da erscheint mir alles andere doch etwas komisch. Also, wir wissen schon länger, dass Quinn in dich verknallt ist, und zwar so sehr, dass ich mit ihr im Club geknutscht habe, damit du endlich einsiehst, dass du sie auch willst. Ich habe deine Blicke nämlich gesehen. Ja, du hast es vor allem in der Schule ganz geschickt angestellt, aber ich bin nicht blöd und glaub mir, ich weiß, wie Menschen aussehen, wenn sie jemanden flachlegen wollen. AUTSCH!" Antheas Kopf fuhr zu mir herum und sie warf mir einen bösen Blick zu, weil ich ihr soeben zugegebenermaßen nicht sehr liebevoll gegen das Bein getreten hatte. Vielleicht nicht besonders nett von mir, aber ihre Worte waren ja wohl auch nicht wirklich angebracht.

Ich sah entschuldigend zu Mari rüber, um verwirrt festzustellen, dass ihre Wangen inzwischen wieder rosa gefärbt waren und ihre Mundwinkel belustigt zuckten. Ihr Blick war an Anthea geheftet und sie schien gespannt darauf zu warten, was diese noch zu sagen hatte.

„Also", fuhr Anthea fort, nicht ohne mich noch einmal kurz böse anzusehen, bevor sie sich wieder an Mari wandt, „irgendwann hat Quinn dann nichts mehr erzählt, nicht über dich und auch sonst über kaum etwas. Wir fingen gerade an, uns Sorgen zu machen, als Lukas, der bei Quinns Mitbewohnerin übernachtet hat, nachts gewisse Geräusche aus Quinns Zimmer gehört hat", meine Augen zuckten wieder rüber zu Mari und ich sah, wie sie rot anlief, „Allerdings ist dieser Trottel - sorry Luke - aus unerfindlichen Gründen davon ausgegangen, dass ich diejenige war, die da ihren Spaß hatte. Naja, jedenfalls hat Quinn angefangen irgendwas von einer Ablenkung von dir zu faseln, aber mir war klar, dass sie nicht mit wem anders schlafen würde, so wie sie dich angeschmachtet hat. Sie hat wirklich hartnäckig versucht es abzustreiten, keine Sorge, aber sie ist einfach eine verdammt miserable Lügnerin. Und deswegen habe ich mit Lukas hier vor der Tür gewartet, mit dem Plan, reinzuplatzen und euch beim Knutschen zu stören. Was geklappt hat. Keine Angst, wir schweigen wie ein Grab, aber jetzt würde ich doch langsam ganz gern von euch hören, was hier vor sich geht."

Lukas stand noch immer da, schaute noch immer ungläubig zwischen uns dreien hin und her.

Anthea starrte Mari an, wartete offenbar auf ein Statement von ihr.

Ich schaute von Mari zu Anthea, zurück zu Mari, abwartend.

Maris Blick wanderte von Anthea zu mir, zu Lukas, zu Anthea, blieb schlussendlich an mir kleben.

Sie räusperte sich, schien zu versuchen, ihre Stimme zurück zu erlangen.

„Also, als erstes", begann sie und ihre Stimme klang noch immer nicht ganz sicher, „wenn du den beiden vertraust, muss ich das wohl auch."

Ich nickte schnell, denn für Lukas Verschwiegenheit hätte ich meine Hand ins Feuer gelegt und auch Anthea traute ich durchaus zu, in so einer Angelegenheit ihr Plappermäulchen halten zu können.

Erneut räusperte Mari sich, bevor sie weiter redete.

„Du hast deine Bestätigung zwar schon bekommen, Anthea, aber falls du es noch einmal aus meinem Mund hören möchtest: du scheinst eine erstaunliche Auffassungsgabe zu besitzen."

Sie lachte endlich wieder und auch ich musste lächeln.

Weil ich diesen Klang so sehr liebte, aber auch, weil mir ein Stein vom Herzen fiel, weil ich meinen Freunden nicht länger etwas vormachen musste. Weil ich endlich vor ihnen von der Frau schwärmen konnte, für die meine Gefühle unaufhaltsam wuchsen. Weil Mari mich nun auch besuchen konnte, wenn sie das wollte, ohne sich anschließend heimlich aus der Wohnung schleichen zu müssen. Weil das ein Stück Normalität in diese Sache zwischen uns brachte und wir uns wenigstens vor zwei Menschen nicht länger verstecken mussten.

Roth wie der Mohn (lehrerinxschülerin)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt