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Ungeduldig spielte ich mit dem Zettel zwischen meinen Fingern, während das Handy an meinem Ohr tutete. Ich knickte ihn, strich ihn wieder glatt, sah die eckigen Buchstaben in der Ecke unten rechts. Ich wippte nervös auf den Füßen, versuchte mir Worte zurechtzulegen, aber mein Kopf war leer. Nach dem elften Tuten fing ich an, mich zu fragen, ob er überhaupt rangehen würde. Vielleicht hatte er mir eine falsche Nummer gegeben, nachdem er mich gesehen hatte, vielleicht hatte er entschieden, dass sein Leben ohne Kind, ohne Verantwortung eigentlich doch gar nicht so übel war. Vielleicht hatte er mir die richtige Nummer gegeben, aber es sich dann doch anders überlegt. Vielleicht hatte ihn nach seinem Besuch bei mir das Verlangen nach einer Spritze überkommen und er lag mit der Nadel im Arm in irgendeiner Ecke.

„Wenzel", kam plötzlich die Stimme aus dem Telefon. Ich erschrak beinahe, hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet, dass er abheben würde. Ich wollte etwas sagen, aber mein Hals war plötzlich wie zugeschnürt. Wenzel. Das war also sein Nachname. Möglicherweise der Name, der nun auf meinem Personalausweis, meiner Monatskarte für die Bahn, meinem Klingelschild stünde, wenn mein Leben verlaufen wäre, wie das Standardleben nun mal so verläuft. Wenn er nicht im Knast, sondern bei uns gewesen wäre, wenn die Drogen ihm nicht wichtiger gewesen wären, als seine Familie, wenn er der Mann meiner Mom und mein Dad gewesen wäre. Quinn Wenzel. Ich schob den Namen stumm in meinem Mund hin und her, fragte mich, welcher Mensch ich geworden wäre, wäre ich Quinn Wenzel. Es fühlte sich komisch an.

„Hallo?", fragte er, nachdem ich einige Sekunden geschwiegen hatte. Seine Stimme klang nicht gereizt, nicht ungeduldig, sie war tief und ruhig und hörte sich einfach... normal an. Wie die Stimme eines normalen Mannes, der zuhause bei seiner Familie saß, vielleicht abends mit einem Bier auf dem Sofa, aber sicherlich nicht mit Junkies in irgendwelchen verranzten Wohnungen. Er klang wie jemand, der in der Tankstelle um die Ecke einen Schokoriegel für seine schwangere Frau kaufte, nicht wie jemand, der von der Polizei mit den Taschen voller illegaler Substanzen hochgenommen wurde.

„Karsten?", fragte ich leise, weil ich befürchtete, er würde wieder auflegen, wenn ich noch länger nichts sagte.

Ein paar Sekunden vergingen, ehe er antwortete. „Quinn?"

Ich schob mein Handy zurück in meine Tasche, erleichtert und doch irgendwie unruhig. Ich wusste nicht, ob es wirklich das war, was ich wollte. Ob ich wirklich bereit war, mich mit ihm zu treffen, mehr über ihn zu erfahren, ihn mehr über mich erfahren zu lassen.

Cem grinste mich schief an, als ich mich neben ihm hinter der Theke auf meinen Stuhl setzte.
„Wie war's?", wollte er wissen. Ich war heute nach der Schule direkt zur Arbeit gegangen und zu meiner Überraschung hatte Cem sich nicht von mir ablösen lassen, sondern war mit mir da geblieben, so wie er es in den Ferien öfter getan hatte, was aber in letzter Zeit seltener passiert war. Irgendwie war es dazu gekommen, dass ich ihm von Karsten erzählt hatte. Vermutlich, weil Mari mir heute morgen all diese Gefühle entlockt hatte, die ich irgendwie versuchte zu verdauen und vielleicht, weil Cem mal wieder so von seiner kleinen, lockigen Tochter Melek geschwärmt hatte und das ein Ziehen in meinem Brustkorb ausgelöst hatte. Weil man ihm ansah, dass er so stolz war, Vater zu sein und weil das in mir die Frage aufblitzen ließ, ob Karsten jemals mit jemandem über mich geredet hatte. Ob er jemals im Gefängnis oder danach mit jemandem zusammen gesessen und erzählt hatte, er habe ein Kind. Und Cem hatte es irgendwie geschafft, mir genügend Mut zuzusprechen, um Karsten direkt anzurufen.

„Gut, denke ich", gab ich zurück, wischte mir die von der Aufregung eben noch schweißnassen Hände an der Jeans ab. „Er will mich direkt morgen Abend treffen. Bei Pepe."

Pepe war die kleine Pizzeria um die Ecke. Ich glaube, niemand wusste, wie der Laden wirklich hieß, aber der Besitzer, der rund um die Uhr alleine dort zu arbeiten schien, hieß Pepe, also benannte jeder seine Pizzeria einfach nach ihm. Kein schicker Laden, eher ein bisschen imbissmäßig, aber dafür günstig und die Pizza dort war ganz okay, wir holten uns Sonntags ab und zu eine als Kateressen. Ich fand es kurz irgendwie komisch, dass Karsten diesen Ort, an dem eigentlich nur verkaterte, junge Menschen ohne Kohle abhingen, als Treffpunkt vorgeschlagen hatte, aber irgendwie war ja alles an dieser Situation komisch.

Roth wie der Mohn (lehrerinxschülerin)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt