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Wir standen vorm Kunstraum und warteten auf den neuen Lehrer. Oder wie ich vermutete eher die neue Lehrerin, denn ich rechnete schon halb damit, dass die Frau, die mich in Verwirrung stürzte, gleich hier auftauchen, den Raum aufschließen und sich als unsere neue Lehrerin vorstellen würde. Was mich zugegebenermaßen ziemlich nervös machte; meine Finger suchten unterbewusst unentwegt etwas, worauf sie trommeln konnten, aber da es hier auf dem Flur vor den Kunsträumen nichts zum trommeln gab, fanden sie schließlich ihren Weg in meine Haare und ich spielte mit einer Strähne.

Ich versuchte dabei so gut es ging möglichst gelassen auszusehen; ich hatte Lukas und Anthea nichts von ihr erzählt und auch Luise gebeten, die Sache für sich zu behalten. Ich wollte erst einmal für Ordnung in meinem Kopf sorgen, und das mit der Ordnung fiel mir nicht nur in meinem Zimmer schwer. Außerdem wollte ich vermeiden, ständig neugierige Blicke auf mir zu spüren, sollte die Honig-Augen-Frau uns tatsächlich unterrichten, weil ich schon jetzt genau wusste, wie angespannt und rot ich ständig sein würde.

Mein Handy vibrierte in meiner Tasche. Es war Johannes. Ich hatte ihn als er mich gestern Abend angerufen hatte darum gebeten, ein paar Tage nichts voneinander zu hören, sagte ich müsse mich sortieren und wäre im Moment in einer komischen Stimmung. Es hat mir leid, ihn nach der noch frischen Versöhnung jetzt in eine derartige Verwirrung zu treiben, der Arme Kerl hatte doch keine Ahnung, was in meinem Kopf vorging. Und die hatte ich ja selbst nicht, weswegen es mir unmöglich erschien, mit ihm darüber zu reden und eine andere Lösung als ein paar Tage Ruhe zu finden. Ich weiß, die Reaktion wirkte vielleicht ein wenig überzogen, vor allem da wir uns ja sowieso noch ein paar Tage nicht sehen würden, aber nach dem Gespräch gestern Abend mit Luise konnte ich nicht anders.

Ich öffnete seufzend die Nachricht, er konnte einfach nicht die Finger still halten.

Johannes - quinn, bitte sag mir doch was los ist. was hab ich falsch gemacht?

Ohne eine Antwort zu schreiben schob ich das Handy zurück in meine Tasche und vernahm von der Seite Lukas Blick auf mir, er runzelte die Stirn. „Willst du darüber reden?"

Ich lächelte ihn dankbar an und freute mich wieder einmal für Luise, dass sie einen so aufmerksamen, sensiblen Freund hatte. Oder jedenfalls bald haben würde, da war ich mir sicher.

„Danke Luke, aber ich glaube es gibt nichts, worüber man reden könnte. Es ist nichts bestimmtes. Ich glaube, ich bin irgendwie unzufrieden."

Er zog einen Mundwinkel hoch. „Das klingt ja ziemlich vage. Weißt du, manchmal bringt Reden mehr Sicherheit in die Dinge. Du weißt ja, wo du mich findest."

Ich konnte nicht anders, als ihn einmal fest an mich zu drücken. Er reagierte darauf, indem er einen Kuss mitten auf meinem Kopf platzierte. Er war nicht nur für Luise, sondern auch für mich ein toller Freund und in solchen Momenten freute ich mich darüber, so besondere Menschen in meinem Leben zu haben.

Anthea lehnte sich zu mir rüber. „Was ist denn mit denen los?"

Mit einem Kopfnicken deutete sie auf Harri und Timo, die uns gegenüber an der Wand standen. Sie grinsten sich an und stießen sich gegenseitig mit den Ellenbogen in die Seiten. Sie verhielten sich wie zwei vierzehnjährige, die gerade Brüste im Fernsehen sahen. Ich folgte ihren Blicken.

Und da bewahrheiteten sich meine Vermutungen. Meine Befürchtungen? Wunschgedanken?

Sie kam den Gang entlang, geradewegs auf uns zu, mit diesem Lächeln auf den Lippen, dass mich nach Luft schnappen ließ. Ihre fuchsbraunen Haare tanzten im Takt ihrer Schritte um ihr Gesicht, die enge, schwarze Hose betonte ihre perfekt geformten Beine und das lockere graue Hemd ließ den Ansatz ihrer Brüste erahnen. Kurz fühlte ich mich, als würde die Zeit langsamer laufen, als würde sie sich in Zeitlupe bewegen. Meine Finger kribbelten, ich spürte wie sich feine Schweißperlen auf meiner Oberlippe bildeten, und daran war gerade ausnahmsweise nicht die Hitze Schuld. Ich hatte fast 24 Stunden Zeit gehabt mich auf diesen Moment vorzubereiten, seit unserem Zusammenstoß gestern auf dem Hof und jetzt erwischte es mich kalt wie ein Eimer Wasser. Oder vielleicht ein Eimer heißes Wasser, denn in mir breitete sich eine unglaubliche Hitze aus. Und in mir war nur ein Gedanke: gleich wirst du ihren Namen kennen. Als wäre ihr Name etwas, worauf ich seit Ewigkeiten wartete, ich verzehrte mich plötzlich nach ihm, wie ein Ertrinkender in der Wüste nach Flüssigkeit.

Endlich war sie an der Tür angekommen und schloss diese auf, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Ich atmete scharf aus als sie im Raum und somit aus meinem Blickfeld verschwand und bemerkte erst jetzt, dass ich die Luft angehalten hatte.

Timo und Harri zogen mit einem High Five wieder meine Blicke auf sich. „Jackpot!", grinste Harri, womit die Jungs einen empörten Blick von Svenja, Maike und Juli ernteten. Keine Ahnung, wer da gerade wen an der Angel hatte, aber vermutlich waren alle drei eifersüchtig auf beide. Sie hatten ja schließlich genau genommen irgendwie ein polyamouröses Ding zu fünft am Laufen.

Ich folgte Anthea, Lukas und den anderen in den Raum, schaute dabei auf den Boden, um unsere neue Lehrerin auf keinen Fall versehentlich anzuschauen, wollte erst die Röte von eben loswerden, bevor die nächste Hitzewelle mein Gesicht erreichen konnte.

Ich ließ mich zwischen Lukas und Anthea auf einen Stuhl fallen und verschränkte die Finger miteinander, um gar nicht erst zuzulassen, dass sie sich trommelnd auf der Tischplatte verselbstständigen konnten.

Als sie mit ihrer ruhigen Stimme anfing zu sprechen, von der ich schon jetzt behaupten würde, sie unter hunderten von Stimmen wieder erkennen zu können, blickte ich doch auf. Bemüht um einen neutralen Gesichtsausdruck, dem sie hoffentlich nicht sofort würde ablesen können, wie ich mich in ihrer Gegenwart fühlte. Kribbelig, eingeschüchtert, aufgeregt, trotzdem irgendwie beruhigt. Zu viele Gefühle mischten sich zusammen zu einem unbekannten Cocktail.

„Guten Morgen", sagte sie, leise und irgendwie... bestimmt, so knapp und direkt wie alles, was ich bis jetzt aus ihrem Mund gehört hatte. Mit diesen zwei Worten brachte sie die Klasse zum Schweigen, und damit meine ich nicht dieses leise Gemurmel, das meistens in einer Gruppe von knapp 30 Schülern zu hören ist, sondern Totenstille. Ich weiß nicht ob es diese Stille war oder ihre Stimme, aber auf meinem Körper machte sich eine Gänsehaut breit und ich schluckte einmal schwer.

Sie drehte sich zur Tafel um (und ich könnte schwören, dass sie dabei mindestens die Hälfte meiner Mitschüler, inklusive mir, dazu verleitete, einen Blick auf ihren Po zu werfen, der in dieser Hose wirklich gut zur Geltung kam) und schrieb mit einem Stück Kreide in einer klaren Schrift, wie ich sie in dieser Form noch nie gesehen hatte, ihren Namen an die Tafel. Schlicht, schnörkellos, auf den Punkt. Mari Roth.

Sie klopfte sich den Kreidestaub von den Händen, während sie sich wieder der Klasse zuwandte.

„Ich bin Frau Roth und ich werde Sie in diesem Schuljahr in Kunst unterrichten. Dienstags und Freitags, je zwei Stunden. Ich hoffe auf eine gute Zusammenarbeit."

Niemand sagte etwas. Ich hatte das Gefühl, niemand wagte es sich auch nur auszuatmen. Sie war so anders als alle Lehrer, die ich bislang kennengelernt hatte. Es wirkte eher, als wären wir ihre Geschäftspartner, als stünden wir mit ihr auf Augenhöhe. Keine Frage, das war positiv und auf jeden Fall sehr viel besser, als nicht ernstgenommen zu werden, nur war es, als würde ihre Ausstrahlung den ganzen Raum einnehmen und ich war mir sicher, dass ich nicht die einzige war, die sich dadurch verunsichert fühlte. Nicht einmal Timo und Harri machten irgendwelche Bemerkungen, sie flüsterten nicht einmal und als ich mich zu ihnen drehte sah ich, dass beide gerade und mit ernsten Blicken auf ihren Plätzen saßen. Es war fast schon zum Lachen komisch.

„Zu meinen Anforderungen: ich erwarte von Ihnen Pünktlichkeit und lege vor allem hier im Kunstraum großen Wert auf Ordnung. Sollten Sie aus gesundheitlichen oder privaten Gründen nicht zum Unterricht erscheinen können, hätte ich gerne eine Kopie Ihrer Entschuldigung. Kommen wir nun zur Anwesenheitsliste."

Diese Frau würde keine Probleme mit ihren Schülern bekommen, so viel war mal sicher. Es war irgendwie komisch, ganze Sätze aus ihrem Mund zu hören, ich hatte mich fast schon an die Einsilbigkeit gewöhnt. Aber ich genoss ihre raue Stimme, sog jedes Wort auf wie ein Schwamm und konnte meine Augen nicht von ihrem Gesicht abwenden, das meinem Gefühl nach mit jeder Sekunde sommersprossiger wurde. Sie hingegen hatte mich immer noch nicht ein einziges Mal angesehen. Erkannte sie mich nicht? Vielleicht hatte sie mich vergessen, bei unseren wenigen Begegnungen war immerhin nichts Besonderes passiert. Auch wenn es sich für mich anders anfühlte.

„Quinn Herbstlich", rief sie mich schließlich auf und holte mich damit zurück aus meinen Gedanken in den Kunstraum.

Es dauerte eine Sekunde, bis ich zögerlich den Arm hob und da schaute sie mich das erste Mal an. Für einen kurzen Augenblick glaubte ich eine Veränderung ihres Gesichtsausdrucks zu erkennen, ein Blitzen in ihren honigbraunen Augen, ein Zucken ihrer mohnroten Lippen, doch dann sah sie zurück auf die Anwesenheitsliste und der Moment war schneller wieder vorüber, als er angedauert hatte.

Roth wie der Mohn (lehrerinxschülerin)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt