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Die Musik dröhnte in meinen Ohren, das Getränk in meiner Hand schmeckte nach Zitrone, Zucker und Alkohol. Alkohol, der sich langsam seinen Weg durch mein Blut bahnte, mich benebelte und mich zum tanzen brachte.

Ich bewegte mich mit geschlossenen Augen zum Beat, beobachtete nur zwischendurch die zaghaften Annäherungsversuche von Luise und Lukas im schummrigen Licht, wie sie sich während des Tanzens immer wieder zueinander beugten, um sich über die laute Musik hinweg etwas zuzurufen, wie er sie ab und zu sanft an der Schulter berührte und ihr damit ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Hin und wieder wanderte mein Blick rüber zu Anthea, die an der Bar saß und mit ihren roten Locken spielend mit einem Typ flirtete, der ihr sicher den dritten Cocktail an diesem Abend spendierte.

Irgendwo in der Menge sah ich kurz einen fuchsroten Schopf aufblitzen, der aber direkt darauf wieder zwischen den tanzenden Menschen verschwand. Die sommersprossige Frau aus dem Spätkauf tauchte plötzlich in meinen Gedanken auf und für eine Sekunde wurde ich irgendwie nervös bei der Überlegung, sie könnte es gewesen sein, die ich gerade gesehen hatte. Am Abend des Tages, an dem ich mit ihr die Zigarette geraucht hatte, wunderte ich mich über mein merkwürdiges Verhalten ihr gegenüber, wusste es nicht recht zu deuten und lachte über mich, dann schob ich diese Begegnung in eine abgelegene Region meines Hirns und wandte mich anderen Dingen zu. Ich dachte nicht mehr daran, aber jetzt, wo sie in meinem Kopf wieder auf sich aufmerksam machte und ich es für möglich hielt, sie könnte auch hier sein, in diesem Club, erinnerte ich mich wieder an das warme Honigbraun ihrer Augen und ihr raues Lachen und ein unbekanntes Gefühl machte sich in mir breit. Ich schob es auf die Musik, den Bass, den Alkohol und versuchte mich wieder auf meine Bewegungen zu konzentrieren, mit der Menge um mich herum zu verschmelzen.

Irgendwann spürte ich eine Hand in meiner und als ich aufblickte sah ich in Luises strahlend blaue Augen, sie sah so glücklich aus und zog mich mit sich auf die Toilette. Dort fiel sie mir, betrunken wie sie war, in die Arme und kicherte vergnügt.

„Quinn, ich liebe dich, weißt du? Und ich weiß, dass du mit Lukas geredet hast, ich bin ja nicht dumm, aber es ist okay, denn er ist süß und jetzt tanzt er mit mir und ich bin so aufgeregt und", sie plapperte in einer Tour und ich fiel ihr mit einem Lachen ins Wort, zog sie noch enger in die Umarmung und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
„Ihr beiden, ihr seid toll. Ich wusste, dass er nur einen kleinen Anstoß brauchte. Und jetzt geh wieder raus und küss ihn."

Luise wurde rot und kicherte noch nervöser. „Ich glaube dafür brauche ich noch einen Caipi."

Lächelnd verließen wir Hand in Hand zusammen die Toilette, sie glücklich über das, was sich zwischen ihr und Lukas anbahnte und ich glücklich über das Glück meiner Freunde. Wir gingen zu Bar, an der Anthea noch immer mit ihrer neuen Bekanntschaft saß und uns zu sich winkte.
„Das ist Lenni", stellte sie ihn uns vor, aber ich machte mir keine Mühe, mir seinen Namen zu merken, denn Anthea wechselte ihre Jungs ständig. Und mit ständig meine ich, dass sie sich nach einer Zigarettenpause womöglich ihre Cocktails schon von einem Marlon ausgeben ließ und sich später von einem Felix verabschiedete. Aber wir freuten uns über ihren Spaß und liebten sie für ihre spannenden Geschichten nach jeder durchfeierten Nacht, voller Drama, Anrufe von Männern, an deren Namen sie sich selbst nicht erinnern konnte und Versuchen den Heimweg zu finden, nachdem sie in fremden Betten aufwachte.

Ich bestellte Luise und mir zwei Tequila und nachdem wir diese ausgetrunken hatten für jede einen Caipirinha, mit dem wir darauf anstießen, dass sie mutig genug sein würde, Lukas noch heute zu küssen.

„Nimm dir ein Beispiel an Anthea und nimm ihn einfach mit nachhause", rief ich ihr zu, „ich hab sicher noch eine Packung Ohropax da." Wir lachten und sahen Lukas auf uns, oder vielmehr auf Luise, zuschlendern, schief grinsend.

Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Bar und ließ meinen Blick über die Tanzenden schweifen. Da sah ich sie. Sie war wirklich hier. Sie stand da, die fuchsroten Haare zurückgesteckt, ihre langen Beine fast vollständig zu sehen, nur ein Stück ihrer Oberschenkel bedeckt von einem engen schwarzen Rock, in das ein lockeres graues Shirt gesteckt war, das genau richtig viel Ausschnitt zeigte, ihre Füße steckten in Doc Martens. Sie sah so lässig aus wie sie da stand und so schön und ich konnte mir beinahe vorstellen zu hören, wie die silbernen Reifen an ihrem Arm aneinander klimperten, als sie diesen bewegte. Zubewegte auf die hellblonde Frau, die ihr mit verschränkten Armen gegenüber stand und die sie nun an der Hüfte berührte. Es war eine zarte, beruhigende Berührung, das konnte ich von hier sehen, sie standen nur ein paar Meter von der Bar entfernt an einer Wand neben der Tanzfläche. Die Blonde schüttelte den Kopf, schob die Hand der anderen von sich und verzog den Mund zu einer schmalen, wütenden Linie. Ich stand einfach nur da, wie angewurzelt und beobachtete diesen intimen Moment, der mich ganz klar rein gar nichts anging, zwischen zwei fremden Frauen und ich konnte nicht ein mal sagen, wieso es mich so sehr interessierte und ich den Blick nicht abwenden konnte. Diese Auseinandersetzung war ein intimer Moment, das war nicht zu übersehen. Ich weiß nicht wieso, aber ich wusste sofort, dass das zwischen den beiden keine freundschaftliche Beziehung war, da war mehr. Vielleicht lag es an der Art, wie die mit den fuchsroten Haaren (und da merkte ich, ich wusste nicht einmal ihren Namen, obwohl es sich anfühlte, als würde ich sie kennen) auf die andere einredete, vielleicht war es die Berührung an der Hüfte, ich kann es wirklich nicht sagen. Ich beobachtete, wie die Rothaarige einen Schritt auf die Blonde zumachte, versuchte, sie in ihre Arme zu ziehen, aber die Blonde ließ es nicht zu. Hilflos hob die Frau mit den honigbraunen Augen die Arme, ich konnte ihre Verzweiflung beinahe spüren. Die Blonde drehte sich um und ging schnellen Schrittes davon, direkt hinein in die tanzende Menge; kurz zögerte die andere, lief aber dann hinter ihr her. Und erst, als ich keine der beiden mehr sehen konnte, konnte ich wegschauen und mich wieder meinen Freunden zuwenden.

Anthea und, wie hieß er noch? Lenni? standen eng aneinander geschmiegt, Antheas Haare verbargen ihre einander zugewandten Gesichter. Ich konnte nicht ausmachen, ob sie sich noch unterhielten oder schon angefangen hatten zu knutschen und komischerweise war ich diskret genug, sie dabei nicht zu beobachten - abstrus, wo ich doch eben noch die beiden Fremden bespannt hatte.

Auch Luise und Lukas wirkten ziemlich vertieft ineinander und ich wollte die beiden nicht stören, nicht jetzt, wo es eventuell ernst wurde, also suchte ich eine Zigarette aus meiner Tasche und machte mich auf den Weg nach draußen.

Als die Tür zuging war es überraschenderweise sofort leise, die Stille war nach dem Lärm drinnen fast nicht zu ertragen. Es war dieses Gefühl, wie nach einem Konzert, wenn man raus geht und das Gefühl hat, alles nur noch durch Watte zu hören, erholsam und doch irgendwie beunruhigend. Ich zündete meine Zigarette an, inhalierte tief und kramte mein Handy raus. Noch immer keine Nachricht von Johannes, in der er mir wie gewohnt mitteilte, gut zuhause angekommen zu sein. Wahrscheinlich war er enttäuscht oder sauer oder beleidigt, keine Ahnung, aber ich hatte keine Lust, ihm jetzt zu schreiben. Immerhin war er es doch, der so ziemlich die ganze Zeit, in der er hier war, komisch drauf war.

Ich seufzte und nahm einen weiteren Zug von meiner Zigarette, als die Tür aufging und jemand herausstürmte. Als sie mich wahrnahm blieb sie kurz stehen, schaute mich für eine Sekunde an. Ich sah an ihrem Blick, dass sie mich erkannte. Sie strich sich eine fuchsrote Strähne aus der Stirn, schien für einen kurzen Moment zu überlegen, ob sie etwas sagen sollte. Dann schüttelte sie kaum merklich den Kopf, drehte sich weg und verschwand in der Dunkelheit.

Roth wie der Mohn (lehrerinxschülerin)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt