3

4.7K 226 19
                                    




Ich rieb mir die Augen und nahm einen kleinen Schluck von meinem Kaffee, der noch zu heiß war zum Trinken, aber gerade abgekühlt genug, um sich nicht mehr die Lippen daran zu verbrennen.

Mein Handy vibrierte und ich schaute aus dem Augenwinkel auf das aufleuchtende Display vor mir auf der Theke.

Johannes - wo bist du? bin vor 5min aufgewacht & hab auf dich gewartet, aber du bist weg :(

Ich konnte mir das Augenverdrehen kaum verkneifen und tippte nur schnell zurück, ich müsse arbeiten. Noch vor halb 8 hatte das Klingeln meines Handys mich aus dem Schlaf gerissen, keine Ahnung, wie Johannes es schaffte, bei dem Lärm weiterzuschlafen wie ein Stein. Seufzend ging ich ran, als ich den Namen meines Chefs aufleuchten sah. „Cem, weißt du eigentlich, wie früh es ist? Ich hab Ferien", raunte ich leise, während ich mein Bett verließ und ins Badezimmer schlich; ich ahnte bereits, was er wollte. „Ich weiß, Quinn, tut mir leid. Aber genau deswegen ruf ich dich an, du bist meine letzte Rettung. Kriegst auch als Bonus 'ne Kiste Bier." Ich putzte mir schmunzelnd die Zähne und zog schnell ein luftiges Kleid über, während Cem mich darum bat, ein paar Stunden im Laden auszuhelfen. Die Kita, die seine Tochter Melek besuchte, war wegen eines umgehenden Magen-Darm-Virus heute geschlossen und er konnte es sich aufgrund des eigenen Ladens eher leisten, sich einen Tag freizunehmen, als Ela, die in einem Friseursalon angestellt war.

Keine zehn Minuten, nachdem ich die SMS an Johannes abgeschickt hatte (mein Kaffee war noch nicht einmal ausgetrunken, und ich bin ein schneller Kaffee-Trinker) stand Johannes im Laden. Er konnte die Enttäuschung in seinem Gesicht nicht verbergen und vielleicht war er sogar ein kleines bisschen sauer, auch wenn das tatsächlich eher selten vorkam. Er schlenderte zu mir an die Theke, eine Hand in der Tasche seiner Jeans und war sichtlich bemüht um einen entspannten Blick, aber nach vier Jahren Beziehung waren er und seine Launen für mich leicht zu durchschauen.

„Morgen", sagte er, schaute dabei eher auf die Zigarettenpackungen hinter mir, als mir in die Augen, „schade, dass du arbeiten musst heute. Hättest du nicht absagen können? Den Tag mit mir verbringen?"

Ich unterdrückte ein Seufzen. „Johannes... Cem kann heute morgen nicht, muss auf seine Tochter aufpassen. Er hat mich gebeten spontan einzuspringen und du weißt doch, wie schlecht ich Nein sagen kann." Ich grinste entschuldigend, versuchte, die Stimmung zu lockern, aber Johannes Gesicht verfinsterte sich.
„Dafür sagst du zu mir in letzter Zeit erstaunlich oft Nein." Ich hörte die Gereiztheit aus seiner Stimme heraus und noch bevor ich etwas erwidern konnte, drehte er sich um und verließ den Laden.

Ich wusste, worauf er damit anspielen wollte. Es war nicht nur die Zeit, die ich jetzt hier statt mit ihm verbrachte, es waren auch seine Annäherungen, denen ich vor allem seit meiner Baby-Panik auswich. In letzter Zeit hatte ich nicht wirklich Lust mit ihm zu schlafen. Es war zu heiß, was vielleicht nur ein vorgeschobener Grund war, und ich hatte Angst, dass wirklich etwas schiefgehen könnte und ich tatsächlich schwanger werden würde und vor allem nahm ich ihm immer noch etwas übel, dass er so locker mit der ganzen Sache umgegangen war, während ich mich halb verrückt gemacht hatte.

Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken an ihn und die angespannte Stimmung der letzten Tage loszuwerden, trank meinen Kaffeebecher aus und widmete mich wieder dem mohnroten Buch, das ich auf der Theke abgelegt hatte.

„Q", sagte Margo.

Ich sah sie an, und einen Moment wusste ich nicht, warum sie meinen Namen gesagt hatte, doch dann war ich wieder wach. Und da hörte ich es. Jemand hatte die Fahrstuhlmusik aus den Lautsprechern lauter gedreht, nur dass jetzt keine dudelige Fahrstuhlmusik mehr spielte - es spielte richtige Musik. Ein altes Jazz-Lied, auf das mein Vater stand, „Stars Fell on Alabama". Und selbst durch die scheppernden Lautsprecher hörte man, dass der Sänger tausend Noten auf einmal singen konnte.

In diesem Moment spürte ich eine ungebrochene Verbindung zwischen ihr und mir, die sich von der Krippe über den Toten aus dem Park über die Schule bis zum Jetzt zog. Und ich wollte ihr sagen, dass das Glück für mich nicht in der Planung oder in der Ausführung oder im Aufbruch bestand; für mich war das Glück zuzusehen, wie sich unsere Saiten berührten und trennten und wieder zusammenliefen... Aber irgendwie hätte es sich kitschig angehört, und außerdem war sie aufgestanden.

Margos blaue, blaue Augen blinzelten, und sie sah unglaublich schön aus in diesem Moment, die nassen Jeans an ihren Beinen, das schimmernde Gesicht im grauen Licht.

Eine süße Geruchsmischung aus Kokos und Orange drang in meine Nase und ich blickte von meinem Buch auf, nicht in blaue, blaue Augen wie Quentin, der allein mit dem Anfangsbuchstaben seines Namens meine Sympathie gewann, sondern in warme, braune. Braun beschrieb es nicht ganz, sie waren eher honigfarben mit kleinen, braunen Sprenkeln, die sogar noch über die Theke zu erkennen waren. Und ich weiß nicht, ob es an dem Text lag, den ich eben las, und ja, es hörte sich kitschig an, aber der Anblick vor mir berührte irgendwie eine Saite in mir.

Sie stand einfach da, schmunzelte mit ihren vollen Lippen, ein belustigter Ausdruck in den honigbraunen Augen, umrahmt von dunklen Wimpern und kleinen, zarten Fältchen. Ihr Gesicht mit einem Meer aus Sommersprossen, eingefasst von fuchsrotem Haar, hochgesteckt zu einem lockeren Knoten mit wirren Strähnen, die ihr in die Stirn fielen. Und als sie zum Sprechen ansetzte und dabei die kleine Lücke zwischen ihren Zähnen zeigte, und ihre leise, raue Stimme mein Ohr erreichte, schluckte ich, blinzelte ein paar mal und riss mich aus meiner Trance. Rotwerdend, definitiv.

„Sorry, ich hätte was sagen sollen, aber wollte dich irgendwie nicht beim Lesen stören. Sahst so versunken aus."

Und noch mehr Blut schoss in meinen Kopf.

Ich räusperte mich, brachte nicht wirklich einen Ton heraus, und sie redete weiter.

„Ich hätte gern 'ne Packung Lucky Strike."

Während ich die Zigarettenschachtel auf den Tresen legte und sie bezahlte, fiel mein Blick auf ihr eng anliegendes Top und die kurze Sporthose die sie trug und das erste, was ich zu dieser fremden Frau sagte, die mich irgendwie mit ihrem Anblick rot und nervös werden ließ, deren Schönheit mich auf eine merkwürdige Art und Weise einschüchterte, war: „Joggen und Rauchen passt aber nicht so gut zusammen" und noch in der selben Sekunde wollte ich mich boxen. So ein Spruch hinterließ bei einer Frau wie ihr sicher einen guten Eindruck, Quinn, super gemacht. Und mein nächster Gedanke war: Warum willst du bei einer fremden Frau einen guten Eindruck hinterlassen?

Aber sie lachte nur kurz auf, sah mich eine Sekunde überlegend an und legte den Kopf schief.

„Rauchst du?", fragte sie mich dann und war schon halb am Rausgehen, die Zigarette bereits in der Hand, ohne auf eine Antwort zu warten. Ich kramte schnell eine Zigarette aus meiner Tasche und beeilte mich, ihr nach draußen zu folgen.

Sie stand da, lässig einen Fuß an die Hauswand gestützt und inhalierte tief. Bemüht darum, ebenfalls lässig zu wirken, aber noch immer verunsichert, nahm ich einen Zug von meiner Zigarette, schaute kurz die Straße hinab und dann doch wieder zu ihr. Sie sah mich nicht an, doch ihre Lippen waren immer noch von diesem Schmunzeln geziert.

Irgendwann, als wir schweigend schon halb aufgeraucht hatten und ich genug Mut zusammengekratzt hatte, setzte ich noch einmal zum Reden an, in der Hoffnung, ich würde etwas weniger bescheuertes sagen, als vorhin. „Und... du gehst öfter joggen?", war der Satz, der schließlich etwas holprig aus meinem Mund kam. Innerlich boxte ich mich ein zweites Mal.

Sie richtete kurz ihre honigfarbenen Augen auf mich und zuckte die Schultern. „Es ist weniger joggen, als fliehen."

Es ratterte in meinem Kopf, ich wollte etwas erwidern auf ihre geheimnisvolle Aussage, wollte wissen, was sie meinte, aber schaffte es nicht, einen Satz zu bilden, der sich auch nur annähernd sinnvoll anhörte, also stand ich da und öffnete und schloss ein paar mal meinen Mund, wie ein Fisch.

Sie warf ihre Zigarette auf den Boden und trat sie aus, nickte mir noch einmal zu und dann ging sie. Einfach so. Die Straße hinunter, bis zur Ecke, blieb kurz stehen und blickte zurück, erwischte mich, wie ich noch immer vor dem Laden stand und ihr nachdenklich hinterher sah.

Roth wie der Mohn (lehrerinxschülerin)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt