Wenn mich heute jemand fragt wie damals alles begann, so würde ich sagen, dass es der Knall war. Der Knall, der unsere Welt buchstäblich auseinander riss.
Aber in Wirklichkeit stimmt das nicht. Es begann früher. Nur hat es keine bemerkt, bis es zu spät war.
Es war der Tag, den die ganze Welt gefeiert hat. Der Tag der Jahrzehntwende.
Es sollte ein Festtag werden - aus dem schlechten Jahrzehn in ein neues Zeitalter.
Doch die Raketen, die Jedermann in dieser Nacht abschoss, erleuchteten bloß unseren Untergang...Deutschland, der 31 Dezember 2049 -
Ich weiß noch, wie ich vor dem Spiegel stand und mir durch das lange blonde Haar fuhr. Es fiel mir ordentlich gelockt über die bloßen Schulter und kringelte sich auf meinem roten Kleid.
"Du siehst toll aus, Kassandra!", bestärkte mich meine Mutter und klatschte fröhlich in die Hände.
Ich rang mir ein Lächeln ab. "Danke, Mama."
Ich glaubte Tränen in ihrem Augenwinkel zu sehen, aber sie drehte sich schnell fort und griff nach meiner Handtasche. "Mein kleines Mädchen wird so schnell erwachsen..."
Ich biss mir auf die Lippe und wünschte, ihre Worte wären nicht wahr. Ich fühlte mich überhaupt nicht bereit erwachsen zu sein. Ich wollte viel lieber wieder neun und sorglos sein.
Meine Mutter bemerkte meine verbissene Miene und fuhr mir sanft lächelnd über den Arm. "Und das ist gut so. Du bist nun eben groß. Aber vergiss deinen Stress für diese eine Nacht. Das ist eine wahre Freudennacht und nächstes Jahr wird alles besser, ich verspreche es dir."
Sie küsste mich auf die Wange und schob mich zur Tür.
Dort verabschiedete ich mich mit einer kurzen Umarmung von ihr und verschwand im Dämmerlicht der Nacht.Vorfreude lag knisternd in jeder Straße der Stadt. Ich konnte die allgemeine Freude verstehen. Der Krieg, der vor meiner Geburt große Teile der Welt getroffen und Jahre lange Freindschaften und Spannungen hinterlassen hatte, sollte endlich enden.
Die Mächte der Welt hatten entschieden, den Frieden zum Jahreswechsel zu unterzeichnen. Ein Zeichen für eine bessere Zukunft in einem neuen Jahrzehn schaffen, nannten sie es.
Ich verließ den Bus, mit dem ich aus meinem Dorf bis zur Stadtmitte gefahren war und schloss mich Grüppchen von Menschen an, die zur Sporthalle strömten. Dort hatte man für heute eine Feier organisiert.
Doch vor dem hell erleuchteten Eingang bog ich rechts ab und ließ mich neben einem Jungen auf einer Bank nieder.
Der Lärm der Leute berührte uns hier kaum. "Hallo, Phil."
Phil nickte mir zur Begrüßung kurz zu und zog an seiner Ziegarette.
Wir besuchten den selben Geschichtskurs und man könnte uns, nach meinem Maßstäben, schon fast als Freunde bezeichnen. Auch wenn ich den Verdacht hegte, dass er sich nur zwangsläufig mit mir abgab, obwohl er immer nett war.
Tja, dass kam wohl davon, wenn man mit der besten (und so ziemlich einzigen) Freundin von mir zusammen war.
"Wo ist Millie?", fragte ich und hoffte eine Antwort zu bekommen, die zumindest eine Silbe enthielt.
"Kommt gleich.", murmelte Phil. Zumindest mal ein Anfang. Er bließ den Rauch in die kühle Luft und sah mich das erste Mal heute Abend an. Er musterte mich und ich ihn. Phil trug eine einfache Jeans und ein Hemd, das er trotz der Kälte nicht völlig geschlossen hatte.
"Nettes Kleid.", brachte er hervor und zog erneut an seiner Zigarette. Ich hatte Millie im Verdacht, ihm gesagt zu haben, er solle mir ab und zu ein Kompliment machen, damit mein Selbstwertgefühl nicht im Bodenlosen verschwand.
"Oh, vielen Danke. Es ist das, das ich gekauft habe, als wir mit Millie in der Stadt waren. Erinnerst du dich? Wo sie sich Eis über die Hose gekleckert hat. Ich wusste nicht ob das heute nicht zu kalt wird und wollte mir jedenfalls erst ein anderes anziehen, aber danm dachte ich: wann habe ich mal wieder die Gelegenheit es zu tragen? Aber vielleicht hätte ich eine Jacke anziehen sollen, nur passt einfach keine dazu."
Phil bließ den Atem aus und Rauch schlug mir ins Gesicht. Ich stoppte meinen Redefluss um nicht zu husten. Er hielt mir die Zigarette hin. "Auch mal?"
Offensichtlich wollte er mich am Gequassel hindern. Ich schüttelte den Kopf und wandte mich verlegen ab.
Vielleicht war das ja ein Grund, warum mich die Leute mieden. Ich fing immer an über Dinge zu reden, die für sie völlig uninteressant waren.
Die restliche Zeit verbrachten wir schweigend. Phil zündete sich noch eine Zigarette an, nachdem er die alte ausgetreten hatte, und ich spielte zerstreut mit dem Reißverschluss meiner Tasche. Der Anhänger, den Millie mir geschenkt hatte und der daran befestigt war, klimperte von Zeit zu Zeit.
Phil warf mir einen Seitenblick zu - er war eindeutig genervt - und ich versuchte meine Hände ruhig zu halten.
Nach qualvollen Minuten tauchte endlich eine hüpfende Gestalt aus der Dunkelheit auf. "It's Partytime, guuuys!", trällerte Millie und stürzte sich mit wehenden Haaren in Phils Arme, der aufgestanden war. Er lachte und wirbelte sie einmal im Kreis. "Na, dann lass uns die Bude mal rocken!"
Wow, so viele Wörter hatte er in unserer ganzen Wartezeit nicht mit mir gewechselte.
Millie zerrte mich lachend hoch und meine Mundwinkel hoben sich wie von selbst. Ihre Laune war ansteckende.
Schon bald schoben wir uns durch die wachsende Menge, Millie in der Mitte, ich links bei ihr eingehackt und Phil rechts.
Wir erreichten die Bar und setzten uns. Phil winkte der Barkeeper und bestellte eine Wodkamischung für uns. Das Getränk brannte mir einen Moment im Hals, doch ich genoss die Wärme, die von meinem Bauch ausströmte. Wir prosteten uns zu und betrachteten die vielen Menschen, die sich im bunten Licht zu lauten Bässen bewegten. Ihr Gejohle steigerte sich von Minute zu Minute. Millie beugte sich zu mir vor und deutete in die Menge, sie wollte tanzen.
Ich stürzte den Rest meines Wodkas hinunter und hakte mich bei ihr ein. Geschickt manövrierte ich uns an eine freie Stelle zwischen den Tanzenden. Phil war sitzen geblieben.
Die nächste Zeit verbrachte wir damit und zur Musik zu bewegen und uns lachend gegenseitig anzutanzen. Ich weiß nicht wie lange wir das trieben, aber als ein blonder Junge begann mich anzutanzen und dann sein Freund auftauchte, der sich ohne Umschweife an Millie ranschmiss, tauchte plötzlich Phil neben uns auf.
Aus seinem Blick sprach deutlich "Verpisst euch" und nachdem die Beiden anstandslos abgezogen waren schlag Millie die Arme um Phils Nacken und legte den Kopf an seine Brust. Sie bewegten sich in einem Takt und das Gefühl in etwas sehr Intimes einzudringen überkam mich. Unauffällig verdrückte ich mich, gabelte unterwegs einen Sekt auf und trank ihn auf einem der Plastikstühle.Die nächste Stunde verbrachte ich mit meinem Sekt (okay, es war nicht mehr das selbe Glas, sondern eher das vierte) und mit meinen Grübelleien. Ich hatte nur noch wenige Monate, bis zu den Prüfungen und danach sollte der Ernst des Lebens beginnen. Ich machte mir keine Sorgen um meine Noten, nur um meine Zukunft, denn ich hatte wirklich keine Ahnung was ich werden wollte.
Dank des Alkohlos flossen meine Gedanken jedoch träge und hüpften hin und her, bis ich mich nur noch für die Discokugel interessierte.
Irgendwann zog Millie mich von meinem Stuhl hoch und zu dritt tanzten wir bis plötzlich die Musik endete und eine Stimme im Micro berkündete, wir sollten alle nach draußen gehen. "In zwanzig Minuten endet das Jahr 2049 und unsere Raketen werden starten!"
Wir schwammen mit dem Strom nach draußen und nahmen uns am Eingang eine Rakete mit. Mit phosphorzierenden Filzstiften konnte man sie bemalen oder beschriften und wir taten das auch begeistert. Auf das geilste Jahr 2k50, darunter setzten wir unsere Signaturen Millie, Phil und Kassie.
Phil steckte die Rakete in eine Flasche, die an einer Brüstung befestigt war. Umzählige andere leuchtend verzierte Raketen steckten bereits dort. Wir traten zurück, alle ließen Platz für den Jungen, der mit einer kleinen Fackel gleich an der Reihe der Raketem entlangrennen und sie entzünden würde.
Dann senkte sich andächtige Stille über den Platz. Außer unserem Atem war nichts zu hören, bis die Stille von einem Ruf durchbrochen wurde: "Zehn!"
Nach und nach fielen alle mit ein und der Cowntdown dröhnte so laut wie die Bässe.
"Neun! Acht! Sieben! Sechs! Fünf! Vier! Drei! Zwei! Eins! NULL! Auf das neue Jahr Zweitausendundfünfzig!"Unter Jubel schossen mehrere Dutzend Raketen in den Himmel und zerrissen mit lautem Knall unsere Namen und Wünsche...
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2050 - Rule one
Science Fiction- Schwer atmend hielt ich in einer Querstraße zu seiner Wohung an und keuchte: "Da ist es." Zed beugte sich vor (kein Stück aus der Puste übrigens) und zog sogleich den Kopf wieder zurück. "Oh shit!" "Was?!" Ich sah jetzt meinerseits um die Ecke und...