Verlorenes Licht

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Deutschland, 25 Februar 2050

„Olivia war besessen davon mich vorzubereiten, auch wenn wir beide nicht wussten worauf. Sie brachte mir mehr bei als ich bei Turin je hätte lernen können. Sie brannte dieses Tattoo. Mein erstes. Sie brachte mir bei, wie ich meine Erinnerungen auf meiner Haut verewigen konnte. Es war etwas, das nur den Großen vorbehalten war. Wenn man so lange lebt, kann der Geist nicht all deine Erinnerungen behalten. Entweder du vergisst alles, oder, wenn du ein schwachen Geist hast, macht es dich verrückt. Aber warum hätten einfache Soldaten dieses Talent erlangen sollen. Wir mussten nur den Befehlen der Großen folgen. Das Denken wurde uns abgewöhnt."
Im ersten Moment, hatte es für mich so geklungen, als wäre die Weiße Armee eine Armee aus Heiligen. Aber während Ginger erzählt hatte, wurde mir immer bewusst, dass sie sich von keiner Armee unserer Welt unterschied. Ein paar wenige, die das Sagen hatten, die entschieden, was richtig und wichtig war, und der Rest, die Soldaten, die jedem Befehl (am liebsten blind) folgen sollten.
Ginger erzählte davon, dass er Tage, Wochen mit seiner neuen Mentorin verbrachte. Jede Sekunde, die er nicht beim Training der Weißen Armee gebraucht wurde und die er zwischen seinen Besuchen bei seinem Bruder Ano frei hatte.
Es rührte mich, dass er seinem Bruder so treu blieb. Und unwillkürlich zog ich Parallelen zwischen Olivia und Kyle und Ginger und mir. Der ältere Mentor, der sein Vertrauen verloren hatte und es in seinem Schützling fand. Hatte er einfach nur sich selbst in jungen Jahren in mir gesehen? Er hatte gesagt, dass er an mich glaubte, daran, dass ich das hier meistern konnte. Aber hatte Olivia nicht das selbe zu ihm damals gesagt? Und heute? Seine Welt war vor Millionen untergegangen. Ich war mir nicht sicher, ob Gingers Geschichte mich zuversichtlicher stimmen oder mich deprimieren sollte. Natürlich, wir standen mit viel mehr Informationen da, als zuvor. Aber zugleich führte es mir nur vor Augen, wie aussichtslos unsere Situation war.
„Über die Zeit, die verging, bekamen Olivia und ich eine Ahnung, was uns bevor stand. Glaubten wir zumindest..." Ginger schwieg einen Moment, Schmerz ließ seine Augen verdunkeln. „Die Fluggleiter der Roten Armee wurden immer öfter über Galaya gesichtet. Sie flogen nicht mehr nur über dem Kratar, sondern zogen ihre Kreise bis zum Hagar und über die Hänge, an denen der Sitz der Weißen Armee lag. Übungsflüge, nannten sie es. Aber wir waren uns sicher, dass sie die Gegend erkundeten. Und so kam es schließlich, dass ich vom Soldaten zum Spion wurde.
Olivia schickte mich auf den Kratar um unsere Regierung auszuhorchen."
Er brach ab, schien sich in Erinnerungen zu verfangen.
„Ja, und?", hakte Zed nach. Er lauschte Gingers Geschichte erstaunlicher weise recht still, den Mund leicht geöffnet. Aber in jeder Redepause, die Ginger einlegte, wurde er ungeduldiger. Und Gingers Pause zogen sich immer weiter in die Länge. Ich glaubte eine langsam eine Erschöpfung in seinen Augen wahr nehmen zu können, die selten in ihnen lagen. Jeder Marathon war für ihn einfacher zu bewältigen, als diese Reise in die Vergangenheit, in seinen geist.
„Jetzt erzähl schon!"
„Zed!", fuhr ich ihn an. „Es reicht. Er kann später weiter erzählen, er brauch auch mal eine Pause!"
Ginger lächelte matt. „Nein, es ist schon okay, ich kann-„
Nein.", fiel ich ihm scharf ins Wort. „Es ist okay, wenn du eine Pause machst. Ruh dich aus. Das ist kein Vorschlag.", fügte ich hinzu, als er zögerte. Er hob die Hände uns sein typisches Ginger-Grinsen zierte seine Lippen. „Ay ay. Ma'm"
Ich erhob mich von unseren decken um ihm Platz zu machen und bedeutete Zed mir zu folgen. Langsam schlenderte ich durch den Raum, beobachtete Alli, die vor einem Schreibtisch saß, Pug vor sich und mit ein paar Stiften auf einem Papier herum kritzelte. Ihr blondes Haar rutschte ihr immer wieder ins Gesicht und immer wieder schob sie es energisch hinter ihre Ohren.
„Das ist alles ganz schön abgefahren...",begann Zed leise.
„Ja. Ich dachte schon, deine Offenbarung würde den Vogel abschließen, aber Ginger hat noch mal ordentlich ne Schippe drauf gelegt." Ich versicherte mich mit einem Blick zu Alli, dass sie noch beschäftigt war und trat dann hinaus auf den Gang. Wir folgten im ein paar Schritte weiter, bis wir zu der halb intakten Glasfront kamen, die uns den Blick nach draußen ermöglichte.
„Eine außerirdische Macht, Wesen,die nicht einmal plastisch sind und trotzdem versuchen die Menschheit auszurotten... Ein Kristall, der eine wichtige Rolle zu spielen scheint... Vor zwei Monaten war meine größte Sorge noch die Frage nach meinem Studiengang!"
„Zumindest ist ein Rätsel gelöst, auch wenn noch so viele vor uns liegen."
„Ja." Ich musste Zed zustimmen. All die Kleinigkeiten, die wir an Ginger nicht hatten verstehen können, ergaben plötzlich einen Sinn. Wie er schon so viele Identitäten gehabt haben konnte zum Beispiel.
Auf einmal gluckste Zed los. Selten hatte ich ihn lachen gesehen. „Einmal hat er so etwas merkwürdiges von sich gegeben. Dass er nicht Autofahren kann, weil er es in einem dreirädrigen Wagen gelernt hat. Da dachte ich, er wäre völlig Banane."
Auch ich musste schmunzeln. Mein Gott, Ginger war eine lebendige Erinnerung an die Menschheitsgeschichte. Alles, was ich jemals im Geschichtsunterricht gelernt und wieder vergaß, hatte Ginger erlebt. Was hatte er alles gesehen? War er beim Bau der Pyramiden? Welche Menschen hatte er gekannt? Caesar? Napoleon? Jesus?
Mit dem Blick folgte ich den Regentropfen, die immer noch aus schweren grauen Wolken fielen. Fröstelnd rieb ich mir über die nackten Arme. Erst seit einem Tag verbarg die dunkle Wolkenfront die Sonne, aber schon jetzt war es unangenehm kühl. Wie lange würde es noch weiter regnen?
Obwohl die Flutwelle die Stadt längst hinter sich gelassen hatte, inzwischen musste sie sicher verschwunden sein, stieg der Wasserpegel immer weiter an. Das unablässige Pladdern des Regens zeugte davon, dass sich das auch nicht so schnell ändern würde. Das Wasser sperrte uns in diesem gläsernen Turm ein. Wir hatten kaum eine Chance von hier zu verschwinden.
„Wie geht es jetzt weiter?", fragte ich resigniert. „Wir haben kaum Vorräte und sitzen hier fest..."
„Wir finden einen Weg."
„Aber wie viel Zeit bleibt uns?", fragte ich. Ich hob meinen Linken Arm in die Luft. Wie beim Zweiten Sturm hatten sich nun, nachdem das Gravar seine Flut gebracht hatte, die schwarzen Linien und Runen auf meiner Haut zurück gezogen. Aber schneller als beim ersten Mal wanden sich bereits neue, feine Linien über meinen Handrücken und meinen Arm. Wir alle mussten ein Genie sein um zu verstehen, was das bedeutete. Das Gravar arbeitete schneller, es würde uns keine so lange Atempause mehr gönnen, wie zwischen Erdbeben und Hitzewelle. Und wir hatten immer noch keine Ahnung, was der vierte Sturm sein würde.
„Es passiert bald. Und wir können uns nicht darauf vor bereiten."
„Kann dieses... Ding-„
„Meyro!", unterbrach ich ihn. Zed verzog die Lippen.
Meyro kann uns doch sicher sagen, was als nächstes passiert."
Ich wiegte den Kopf. Natürlich dachte auch ich oft darüber nach. Meyro musste wissen, was passieren würde. Er musste auch wissen, wie wir das alles stoppen konnten. Aber er äußerte sich mir gegenüber nie darüber, egal wie oft ich ihn in meinen Gedanken fragte. Aber war das so verwunderlich?
Er gehörte zu einer Art, die so eng verbunden war, dass sie manchmal wie ein einziges Wesen wirkten. Sie waren eine Macht, in einander verwoben. Ich wusste inzwischen, dass er eigentlich gar nicht bei mir seien dürfte. Er hätte mich töten müssen, so wie das Gravar Zeds Tochter getötet hatte. Aber er hatte es nicht getan. Schon damit hatte er gegen alles verstoßen, für das das Gravar zu existieren schien.
„Ich kann ihn nicht dazu zwingen mit mir zu reden.", hilflos zuckte ich mit den Schultern. „Wenn er will, wird er es schon tun."
„Hoffentlich bevor wir alle tot sind.", brummte Zed. Er wedelte mit der Hand in der Luft, als ich etwas erwidern wollte. „Lass gut sein. Geh zurück zu den anderen, ich werde sehen ob ich hier noch irgendwo etwas essbares auftreiben kann. Snackautomaten... Eine Cafeteria. Irgendwas muss es hier schließlich geben."
Solange es nicht vier Meter tief unter Wasser liegt, fügte ich in Gedanken hinzu.
Er verschwand im Gang Richtung Treppen und ich machte mich auf, um ein Auge auf Alli werfen zu können.
Ginger lag auf unseren Decken, sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig bei jedem Atemzug, Poke und Inger saßen auf der anderen Seite des Büroraumes und steckten die Köpfe zusammen und Alli-
„Alli!", meine Stimme war schrill, als ich meinen Blick ein zweites Mal durch den gesamten Raum schweifen ließ. Der Schreibtisch war leer. Die Papiere lagen kreuz und quer darüber, aber von dem Mädchen und ihrem Teddy keine Spur.
„Alli!", rief ich ein zweites Mal. Ginger war schon bei meines ersten Schrei hochgeschreckt, Poke und Inger sahen hoch.
„Wo ist sie?", ich wedelte wild mit den Armen in der Luft als ich auf die beiden zu stürmte.
Inger zuckte mit den Schultern. „Was geht mich das an? Du hast sie mit geschleppte, dann bist du auch dafür verantwortlich, was mit ihr passiert."
Ich hatte ihm eine gelangt, bevor ich selbst nachdenken konnte. Inger und Poke waren mindestens genauso erstaunt wie ich darüber. Langsam hoch Inger seine Hand an seine Wange. „Verdammt!"
„Ihr sitzt nur hier herum und tragt nichts bei, das nur ein Stück hilfreich wäre. Drei Meter von der entfernt sitzt ein kleines Kind und die bemerkst nicht einmal, wenn sie geht?!", fuhr ich ihn an.
Poke hob die Hände und trat einen schritt vor, bevor ich mich erneut auf Inger stürzen konnte, der nur mit den Schultern gezuckt hatte.
„Entschuldige, okay? Du hast recht, wir hätten ein Augen auf die haben sollen. Aber lass uns jetzt lieber nach ihr suchen, anstatt und hier gegenseitig zu verschlagen, ja?" Ich sah die reue in seinen Augen. Ihm lag wirklich etwas an dem Mädchen.
Angestrengt nickte ich.
„Wir sollten uns aufteilen.", GInger war dicht hinter mich getreten. „Poke, du suchst auf diesem Stockwerk, Inger und ich gehen nach unten uns suchen auf den Ebenen vor dem Wasser."
„Und ich geh nach oben. Zed ist auch hoch gegangen. Vielleicht hat er sie gesehen.", warf ich ein. Ginger nickte, seine stechenden Augen lagen auf mir. „Ihr war sicher nur langweilig und sie ist auf Erkundung gegangen. Wir finden sie schon."
Aber es konnte mich nicht beruhigen. Hier konnte so viel passieren! Sie könnte aus einem kaputten Fenster stürzen und die Treppen zu weit nach unten Laufen und ins Wasser rutschen. Aber all diese Szenarien durfte ich mir jetzt nicht einmal vorstellen, denn dann würde ich verrückt werden.
So schnell ich konnte, stürzte ich aus dem Raum und lief Richtung Treppenhaus, Innger und Ginger dicht auf meinen Versen. Dort teilten wir uns auf. Während sie die Treppen hinabsprangen, sprintete ich nach oben. Auf dem nächsten Absatz schlüpfte ich in den Gang dahinter und rief erneut ihren Namen. Als ich ein Geräusch aus einem der räume vernahm wollte ich schon erleichtert aufatmen, aber es war nur Zed, der den kopf um die Ecke streckte. „Was ist los?"
„Alli muss aus dem Raum gegangen sein, als wir weg waren. Sie ist hier irgendwo und es könnte sonst was passieren!"
Beruhigend rieb Zed mir einmal über die arme. „Ich suche hier weiter, dann geh ich ins übernächste Stockwerk. Du gehst jetzt ins nächste hoch und machst es genauso, dann können wir sie nicht übersehen und suchen nicht doppelt, in Ordnung?" Ich nickte heftig, wirbelte herum und folgte den Treppen weiter nach oben.
Zwei Stockwerke lang blieb meine suche erfolglos. Die Verzweiflung kam in immer neuen wellen über mich. Zwei mal hatten wir alle im Treppenhaus gestanden und uns schreiend über die Absätze hinweg darüber informiert, dass niemand Alli gefunden hatte. Immer wieder drag das Bild unerbittlich vor mein inneres Auge, wie sie ausrutschte, über den boden schlitterte und unerbittlich vonn den Fluten unterhalb unseres Turmes verschlungen wurde.
Mir wurde schwindelig und ich griff nach der Wand um mich abzustützen. Langsam glitt ich daran hinab, versuchte normal zu atmen. Eine Panikattacke half Alli nicht. Ich musste ruhig bleiben!
Plötzlich spürte ich eine tiefe Wärme und Ruhe in mir, die nicht von mir kam. Meyro.
‚Lass mich dir helfen... Ich kann versuchen sie zu spüren...'
Ich schloss die Augen und legte die Hände flach auf den Boden. Erinnerungen durchzuckten mich, als ich im Gebäude von Duce Acano das Leben hatte spüren können. Es war möglich.
Ein Kribbeln breitet sich in meinen Handflächen aus. Ich schloss die Augen, mein Kopf fiel nach vorne auf die Brust. Ich spürte das Gebäude, spürte es wirklich. Ich fühlte jedes Ächzen der Stahlträger. Ich wusste instinktiv, dass ich, dass Meyro sich mit der Materie des Gebäudes verband. So wie er sich mit meiner verbunden hatte um ein Teil von mir zu werden.
Und dann war da Leben. Es war pulsierend und klar. Wie ein Leuchten. Es dauerte einen Moment, bis ich mich an das neue Gefühl gewöhnt hatte, bevor ich Individuen aus dem Leuchten herausfiltern konnte.
Vier Seelen unter mir. Ich wusste, dass Zed, Ginger, Poke und Inger in den Stockwerken unter mir waren. Sie mussten es sein, die ich fühlen konnte.
Ich folgte den Windungen der Treppe nach oben, ließ jedes Gefühl durch die mauern steifen um das Pulsieren erneut zu finden, über mir.
Und da war es! Sehr deutlich spürte ich das Leben. Alli! Aber es war mehr als ein Leuchten... Dicht bei ihr fühlte ich noch etwas...
Erschrocken riss ich die Augen auf, nahm die Hände vom Boden. Sofort riss das Gefühl ab, ein teil des Bauwerks zu sein.
Noch jemand war hier!
Als ich aufsprang drehte sich die Welt für einen Moment vor meinen Augen. Meyros Kraft zu nutzen brachte mich jedes mal an meine körperlichen Grenzen.
Ich nahm mir keinen Moment um auszuruhen, ich rannte die Treppenflucht hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Ich schlitterte um die Ecke des Stockwerks auf dem ich Alli gespürt hatte, verlangsamte meine schritte, lauschte.
„... und Pug ist der Wächter. Er kann jedes Geheimnis waren!" Erleichterung durchströmte mich, als ich Allis sanft Stimme hörte. Aber ein eisiges Gefühl griff nach meiner Brust, als ihr eine tiefe Stimme antwortete.
„Und will dein Pug mir verraten wo das ist? Mit wem ihr zwei unterwegs seid?" Die Stimme sprach ruhig, fast ebenso sanft wie Alli, aber sie jagte mir Schauer über den rücken. Die ganze Zeit war jemand hier gewesen und jetzt war er in dem Raum vor mir, mit Alli.
Langsam näherte ich mich. Ich hätte die anderen holen sollen, aber daran hatte ich nicht gedacht. Jetzt konnte ich keine Zeit verschwenden um noch einmal nach unten zu gehen.
Meyro war bei mir, er konnte mir helfen! Aber die Erschöpfung erschwerte meine Glieder, in meinem Kopf war eine Wolke aus Watte.
Ich erreichte die Tür, zögerte nicht sie aufzustoßen und in den Raum zu treten. Innerhalb von Sekunden nahm ich das Bild auf, das sich mir bot.
Bei dem Raum musste es sich um eine Kantine handeln. Tische waren zu Gruppen zusammengeschoben, ihre Stühle lagen jedoch teilweise kreuz und quer im Raum verteilt. Die Fensterfront war intakt und sperrte den kalten Wind von draußen aus.
Alli saß auf einem der Tische, baumelte mit den Füßen in der Luft neben ihr lehnte ein Mann, der Pug in der Hand hielt.
Sein Haar und Bart war lang und wild, er hatte beides sicher länger nicht gepflegt. Aber was mich wirklich erschreckte, war die Waffe, die im Bund seiner schwarzen Hose steckte. Mein Mund wurde trocken und das Schwindelgefühl verstärkte sich.
„Alli.", brachte ich krächzend hervor. Beide Köpfe schossen in meine Richtung. Allis Augen begannen zu strahlen. „Schau mal, Kassie, ich hab einen neuen Freund!"
„Das sehe ich.", ich rang mir ein Lächeln ab, dass eher wie eine Grimasse wirken musste. „Aber komm, wir müssen wieder runter, wir wollen deinen neuen Freund doch nicht nerven."
Ich streckte meine Hand aus und kam vorsichtig ein paar schritte näher. Als Alli vom Tisch springen wollte, legte der Fremde seine Hand auf ihre Schulter. „Aber nicht doch. Ich Stört doch nicht."
Als ich och einen Schritt näher herantrat, ließ er Pug auf den Tisch fallen, seine Hand wanderte langsam zum Griff seiner Waffe. Mir wurde kalt und ich blieb schlagartig stehen. „Pug ist ein wahrer Geheimniskrämer, aber vielleicht möchte mir deine Freundin Kassie ja verraten, mit wie vielen Freunden ihr da seid und was ihr so dabei habt."
Alli wurde unruhig und ließ ihren Blick zwischen mir uns dem Fremden hin und her wandern. Sie spürte, dass etwas nicht stimmte.
„Wir wollen keinen Ärger.", sagte ich leise, versuchte den Mann zu beruhigen, aber meine Gedanken rasten wie in einer Achterbahn. Ich könnte ihn niemals rechtzeitig erreichen, bevor er Alli etwas antun konnte. Du musst etwas tun!, flehte ich Meyro in Gedanken an.
Das hier war eine Zwickmühle. Der Mann hatte jedes Gemeinschaftsgefühl verloren, im ging es nur um sein Überleben, das wir bedrohten. Und zugleich musste er davon ausgehen, dass wir Lebensmittel bei uns hatten,Vorräte, die er zum überleben brauchte.
„Wie viele ihr seid, will ich wissen!", seine Stimme war schärfer geworden, sein Griff um Allis Schulter stärker und ich sah, wie sie zusammenzuckte. Angst füllte jetzt ihre blauen Augen.
„Fünf!", rief ich und machte noch einen schnellen schritt nach vorne. „Aber nimm deine-"
Er fiel mir ins Wort. „Stopp!" Gleichzeitig hatte er die Waffe gezogen.
„Bitte.", ich zog mich wieder einen schritt zurück. „Sie ist nur ein Kind. Lass uns einfach gehen. Wir wollen wirklich keinen Ärger!", flehte ich ihn an.
„Damit ihr dann eure Freunde hoch schickt, ja?", fragte er höhnisch. Jede gespielte Freundlichkeit war aus seiner Stimme verschwunden, seine Augen waren hart.
„Dann bleib ich hier bei dir, aber lass Alli hier raus gehen. Bitte!" Meyro! Bitte, mach etwas!
‚Ich kann nicht. Du bist schon zu erschöpft. Meine Kraft zu nutzen könnte dich töten!'
„Mir gefällt die Idee viel besser, dass wir uns alle hier hinsetzten und ihr mir ganz in Ruhe von euren Freunden erzählt." Mir der Waffe deutete er auf einen Stuhl, zwei Meter von ihm entfernt. Schnell wog ich meine Möglichkeiten ab, aber eigentlich hatte ich keine, solange er Alli so nah bei sich hatte. Langsam nickte ich und bewegte mich seitlich auf den Stuhl zu, ließ ihn keine Sekunde aus den Augen.
Wenn du es nicht tust, könnte er Alli töten!
Unter seinem stählernen blick ließ ich mich auf der äußersten Kante des Stuhl sinken. „Braves Mädchen.", ein süffisantes Lächeln kroch über seine Lippen. Er stieß sich von dem Tisch ab, auf dem Alli saß, nahm endlich seine Hand von ihrer Schulter. Augenblicklich wollte sie aufspringen. „Bleib sitzen!", herrschte er sie an.
Sie schrie erschrocken auf, Tränen traten in ihre blauen Augen. „Kassie!", hilfesuchend irrte ihr Blick zu mir.
„Lass sie in Frieden!", knurrte ich, beugte mich vor, bereit jeden Moment aufzuspringen und mich auf ihn zu stürzen.
Spöttisch drehte er sich wieder zu mir, schlenderte ein paar Schritte auf mich zu. Mach nur! Trau dich, mich anzufassen!
‚Ich weiß nicht, wie weit ich dir helfen und ich dich beschützen kann! Dein Körper ist ausgebrannt, des vorher hat zu viel Kraft gekostet!' Aber ich ignorierte Meyros Warnung. Es ging hier um Alli, darum sie zu beschützen!
„Bist ja ganz schön mutig. Meinst du, du wärst schnell genug, schneller als meine Kugel?" Er war jetzt dicht  vor mir. Nur noch ein paar schritte...
Und dann beugte er sich vor, streckte die Hand aus und packte schmerzhaft mein kinn. Ich zischte auf.
„Du wirst mir alles verraten, was ich von dir wissen will. Verstanden?" Statt einer Antwort packte ich mit der linken Hand seinen nackten Unterarm. Meyro!
Ich hatte das hier schon getan, mit Gaver, mit Pike! „Alli, lauf!", schrie ich „Jetzt!"
Er ließ mein Kinn los, versuchte sich loszureißen, ich schickte jedes bisschen Macht, das ich finden konnte, seinen Arm hinauf. Aus dem Augenwinkel nahm ich war, wie Alli vom Tisch rutschte. Ich sprang vom Stuhl auf, als der Mann zurückzuckte, wie von einem elektrischen Schlag getroffen und stolperte Alli hinterher. Der Schwindel war stärker geworden, mir war schlecht, ich konnte kaum den Raum vor mir sehen.
Wir hatten fast die Tür erreicht, fast!
„Stopp!" Der Schuss traf neben uns in die Wand, hallte laut durch den Raum. Wie erstarrt blieben wir beide stehen. Nur zwei Meter trennten uns noch von der Tür! Es hatte nicht geklappt, meine Kraft hatte nicht ausgereicht, ihn außer Gefecht zu setzten.
Langsam drehte ich mich um, schob Alli hinter meinen Rücken, sie krallte sich in mein T-shirt.
Der Mann atmete schwer, der linke Arm, an dem ich ihn gepackt hatte, zitterte leicht. Aber seine Rechte, mit der er auf uns zielte, war völlig ruhig. „Das wirst du bereuen!"
Meine einzige Hoffnung war, dass die anderen den Schuss gehört hatten, dass sie uns retten würden.
Adrenalin jagte durch meinen Körper, der einzige Grund, warum ich überhaupt noch stehen konnte, vermutlich.
Mit drei großen schritten war der Mann bei uns, bevor ich reagieren konnte, hatte er mein Haar gepackt und mich zu Boden gerissen. Ich hörte Allis Schrei, als sein Fuß mit meinem Magen kollidierte.
„Nicht!", krächzte ich, als das kleine Mädchen vor stolperte und am Pulli unseres Angreifers riss.
„Lass meine Freundin in Ruhe!", schrie sie dabei.
Er fuhr herum und verpasste ihr mit dem Handrücken einen Schlag ins Gesicht. Jedes Gefühl wich aus meinem Körper, als ich sah, wie sie zu Boden ging.
Wut schwappte in Wellen über mich, ich wollte aufspringen, aber er trat mit dem Fuß nach mir. Ich fiel zurück, mein Kopf schlug auf den Boden. Für einen kurzen Moment sah ich nichts mehr, die Übelkeit kam mit einem Schlag zurück und ich drehte mich würgend zur Seite.
Ich dachte nie, eine solche Angst empfinden zu können, aber als mein blick sich wieder klärte, sah ich, wie er mit der Waffe auf Alli zeigte. Bereit abzudrücken.
Ich schrie, als sich sein Finger am Abzug krümmte. Nie in meinem Leben hatte ich so laut geschrien.

2050 - Rule oneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt