Tod im Bunker

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Deutschland, 15. Januar 2050

Die Scheinwerfer warfen einen Lichtkegel vor uns und beleuchteten die Landschaft. Ich beobachtete, wie die Schatten der Bäume sich immer weiter zusammenschoben und dann an uns vorbeiflogen. Das Gras am Straßenrand stand sehr hoch und verbarg seine Bewohner gut. Eine unglaubliche Ruhe überkam mich, als ich so hinaus in die Dunkelheit sah. Der Himmel war von einem dunklen samtigen Schwarz und die Milchstraße war als deutliches Band über uns zu erkennen. Ich fühlte mich so klein und doch als Teil einer wundervollen Welt.
Dadurch, dass an vielen Orten der Strom ausgefallen war und wir uns außerhalb jeder Stadt befanden, konnte man viel mehr Sterne sehen als gewöhnlich und die Nacht war viel dunkler.
Ich ließ das Fenster des Wagens herunter und atmete tief den frischen Wind ein. Er brachte den Geruch nach Kiefern und erinnerte mich schmerzlich an meine Heimat.
Ich erinnerte mich an den Moment, an dem wir uns von Alexandro und Raphael verabschiedet hatten. Ich erinnerte mich daran, wie Raphael mich kurz umarmt hatte und noch einmal in mein Ohr geflüstert hatte, dass ich vorsichtig sein sollte. Danach war ich mit Alexandro ein Stück zur Seite gegangen. Ich hatte sehen können, wie viele Fragen er noch hatte, aber ich konnte sie nicht beantworten. "Du bist ein wunderliches Mädchen, Kassie.", hatte er gesagt. Ich hatte gelächelt und mich kurzfristig dazu entschlossen ihn zu warnen. "Sucher dir einen Ort unter der Erde, such dir einen Ort, der jede Hitze übersteht. Und nimm so viel Wasser mit wie du kannst. Und deine Leute und vergiss Dali und ihre Familie nicht. Ich bin mir sicher, dass ihr so einen Ort bald brauchen werdet." Er hatte mich schräg angesehen. "Ich bin doch wunderlich. Also vertrau mir. Ihr habt mir geholfen und das ist meine Revanche. Alex, es ist nicht vorbei, nach diesem Beben. Es hat gerade erst angefangen." Und er hatte genickt und in seinen Augen hatte ich gesehen, dass er mir glaubte, egal wie bescheuert das klang. "Vielleicht sehen wir uns wieder.", das waren seine letzen Worte, aber daran glaubten wir beide nicht.
Die erste Zeit waren wir schweigend gefahren, dann hatte Zed gewollt, dass ich genau erzählte, was passiert war. Aber ich konnte nicht. Ich wollte nicht, dass irgendjemand wusste, was mit mir geschah, was ich fähig war mit dem Gravar zu tun. Es machte mir Angst.
Also war alles was sie wussten, dass Gaver tot war.
Ich fuhr mir unwillkürlich über die Hand, bei der Erinnerung, wie er mir die Finger hatte brechen wollen.
Das Gravar machte mir Angst, aber es hatte mich davor bewahrt gefoltert zu werden.
Ein Schauer rann mir über den Rücken und Ginger drehte sich zu mir um. "Alles klar, Kleines?"
Ich nickte nur und wandte mich wieder dem Fenster zu.
"Wir brauchen einen Ort zu dem wir jetzt fahren.", brach Zed schließlich die Stille.
"Ich weiß was als nächstes passieren wird.", erklärte ich. Zed und Ginger drehten sich beide gleichzeitig zu mir um und das Auto schlingerte gefährlich auf das hohe Gras zu.
"Zed!", schimpfte Ginger kurz. "Also, Kassie?"
Ich schwieg noch einen Moment und versuchte meine Vermutung in Worte zu formulieren, aber alles klang irgendwie merkwürdig.
"Es wird heiß.", sagte ich schließlich lahm.
"Heiß?", hakte Zed nach.
"Ja, habt ihr nicht bemerkt, dass es die letzten Tage immer wärmer geworden ist? Dabei ist Winter. Und man kann inzwischen im T-Shirt rumlaufen." Ich ließ die Scheibe wieder hoch und sperrte das leise Surren des Motors aus.
"Das Beben war krass. Es war überall, auf der ganzen Welt und hat teilweise riesige Schäden angerichtet. Also geh ich mal davon aus, dass es nicht nur angenehm warm wird, sondern wirklich heiß. Aber ich habe keine Ahnung, wie heiß es wird. Wir sollen auf jeden Fall auf Nummer sicher gehen."
Zed nickte bedächtig. "Meine Organisation hat einen alten Bunker, oben in der Nähe von Berlin. Ist mitten in der Pampa, das perfekte Versteck. Als mein Großvater für unsere Sache gearbeitet hat, war er einige Monate dort stationiert, aber inzwischen ist der Bunker stillgelegt. Er hat mir davon erzählt, sollte noch bewohnbar sein."
Ginger zog die Stirn in Falten. "Berlin ist aber ganzschön weit weg. Habt ihr nichts hier in der Nähe?"
"Nichts das uns so optimalen Schutz bietet. Der Bunker ist für den Krieg konzipiert worden. Das sollte ein Schutzort für alle Großen und Mächtigen sein. Er ist in Vergessenheit geraten, aber er ist wirklich stabil gebaut. Da ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er nicht eingestürzt ist. Nach dem Beben habe ich aus dem Hauptquartier die Meldung gekriegt, dass einige Bunker eingestürzt sind. Wir haben Leute dabei verloren."
Ich schwieg betroffen. "Hast du- Kanntest du manche?", wagte ich schließlich die Frage.
Zed nickte sehr leicht und in dem düsteren Innenraum war es kaum auszumachen. Es musste schwer für ihn sein. Ich hatte nie darüber nachgedacht, ob er Freunde verloren hatte. Er ließ nie Anzeichen für Trauer oder Schmerz erkennen.
"Also gut.", sagte Ginger schließlich. "Dann lasst uns nach Berlin fahren."
Ich betrachtete Ginger von meiner Position auf dem Rücksitz aus. Er hatte seinen Zopf geöffnet und seine dunklen Haare fielen ihm über die Schulter. Er hatte seinen Trenchcoat neben mich auf die Rückbank geworfen und trug nur ein T-Shirt. Ich hatte also eine wunderbare Sicht auf seine Tattoos. Wie ich ihn so betrachtete, fragte ich mich, warum er hier war. Er hatte ohne zu Zögern Frankreich verlassen. Wieso? Wieso folgte er uns nach Berlin?
Hatte er keine Familie oder Freunde? Es schien, als hätte er nichts in Frankreich gehabt, das ihn zurückhielt. Da er aber nicht über sich selbst sprach, hatte ich keine Ahnung. Da wusste ich ja mehr über Zed und der hatte die Geheimniskrämerei praktisch erfunden.
"Alles klar, Kleines?", fragte Ginger. "Du starrst mich an." Er klang spöttisch, sah aber weiter aus der Frontscheibe.
Ertappt blickte ich zur Seite. "Das Auto ist klein, irgendwo muss ich ja hinschauen."
Er lachte leise. "Starr ruhig weiter."
"Klar.", grummelte ich und sah wieder aus dem Fenster. Ich musste an das denken, das Raphael gesagt hatte. Aber natürlich war das Quatsch, der Typ war nur etwas zu abergläubisch.
Ginger und ein Dämon. Haha.
Ich lehnte meinen Kopf gegen die kühle Scheibe und schloss die Augen. Ich würde nicht schlafen. Eine leise Angst in meinem Kopf hinderte mich daran.
Ich wollte nicht träumen. Das letzte mal, dass ich in einem Auto geschlafen hatte, hatte ich diesen merkwürdigen Traum von Universen gehabt und darauf konnte ich gerade gut verzichten.
Ich würde darum nicht schlafen, nur ein bisschen meine Augen ausruhen. Ich würde schon nicht schlafen...

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